"Alte Mauern - neues Leben": Niederhone
Schafstall – Kirche – Lagerhalle
„Alte Mauern – neues Leben“: Einmal im Monat führt diese Reiseseite zu Stätten, an denen einst kirchliches Leben blühte. Heute geht es nach Eschwege in Nordhessen. Dort ist aus einer Dorfkirche eine Lagerhalle geworden. Doch der Kirchturm verrät noch die alte Nutzung. Von Hans-Joachim Stoehr
„Das Gebäude hat schon Charme.“ Jens Rohmund spricht von der Lagerhalle seines Unternehmens. Zwischen 1962 und der Profanierung 2008 war das Bauwerk im Eschweger Stadtteil Niederhone eine Kirche. Und davor wurde das Gebäude als Schafstall genutzt.
Der elterliche Betrieb, den Jens Rohmund übernahm, befindet sich unweit der einstigen Kirche St. Martin in Niederhone. Damals wollte Rohmund eine Lagerhalle errichten. Von einem Bekannten erfuhr der Unternehmer, dass das Grundstück neben der Kirche zum Verkauf steht, also in unmittelbarer Nähe. Er nahm deshalb Kontakt mit dem damaligen Eschweger Pfarrer Mario Kawollek auf. Im Gespräch erfuhr Rohmund, dass die Kirche auch demnächst zum Verkauf stünde. „Ich war sehr überrascht, dass dies überhaupt möglich war“, erinnert er sich. Andererseits entsprach der Kirchenraum genau seinen Vorstellungen von der Halle, die er errichten wollte. Dort lagert er heute Möbel, Werkzeug und anderes, was er dann von dort zu den Kunden bringt.
Zum Verladen brauchte Rohmund ein großes Zufahrtstor. Dieses befindet sich nun im Bereich der früheren Altarwand an der Rückseite der Kirche. Die steinerne Fassade mit dem offenen Glockenturm sowie die Kirchenfenster durfte Rohmund aus Gründen des Denkmalschutzes allerdings nicht verändern.
Wehmut in der Nachbarschaft
Der Unternehmer ist mit 20 Mitarbeitern im Ladenbau tätig. Er beliefert Buchhandlungen, aber auch Bäckereien und Geschäfte aus dem Textilbereich mit der entsprechenden Einrichtung.
Bereits 2008 wurde die Kirche St. Martin profaniert. Für Rohmund war der Kauf eine schwierige Zeit. Denn die älteren Gemeindemitglieder hingen an der Kirche. Viele hatten für den Umbau des Stalls in eine Kirche kräftig gespendet. Und: „Sie kannten meine Eltern.“ Und manche ließen es Rohmund spüren, was sie von der Übernahme der Kirche hielten. „Obwohl ich ja nicht daran schuld war.“
Besonders am Gotteshaus hing Rosa Grebe, die das Haus neben der Kirche bewohnte und sich als Küsterin um den Sakralraum kümmerte. Bei der Profanierung äußerte sie den Wunsch, die Sakristei weiter als kleinen Andachtsraum nutzen zu dürfen. Rohmund entsprach der Bitte.
Zu den Gemeindemitgliedern, die in der früheren Kirche mit Hand anlegten, gehört Karl Manegold. „Ich habe mindestens einmal im Jahr alle Kirchenfenster saubergemacht“, erinnert er sich. Etwas wehmütig erzählt der gebürtige Eichsfelder von der Zeit vor 60 Jahren. „Wer zu spät zur Messe kam, musste stehen. So voll war Kirche."
Bärbel von Eschwege hat die Anfänge im neuen Gotteshaus als junges Mädchen miterlebt. Zusammen mit Manegold steht sie vor dem einstigen Gotteshaus. „So schön war unsere Kirche vorher nicht“, sagt die heute 69-Jährige beim Anblick des Gebäudes. Denn: Das Dach der einstigen Kirche ist von Rohmund neu eingedeckt worden. Auch die Seitenwand mit dem Fachwerk des einstigen Stalls ist sauber gestrichen. Das Gemeindemitglied erinnert sich daran, dass früher die Männer rechts und die Frauen links saßen – und die Kinder in den vorderen zwei Bänken.
Aber: In den 1970-er Jahren ging der Gottesdienstbesuch langsam zurück, noch stärker dann in den 1990er Jahren. Der Grund, so Bärbel von Eschwege: Viele der Jüngeren zogen weg, in die Städte. Zurück blieben die Älteren. Sie erinnert sich, als ihre Kinder im Schulalter waren. „Da gingen wir auch nach Eschwege in die Kirche, denn da waren die Schulfreunde meiner Kinder. Ich weiß noch, dass der Pfarrer sich bei mir beschwerte, dass ich nicht hier in die Messe ging. Aber hier waren fast nur ältere Leute im Gottesdienst.“
Neben der Altersstruktur entstanden bauliche Probleme, die im Lauf der Jahre zunahmen. Aus den Anfängen waren etwa noch elektrische Nachtspeicher als Heizung eingebaut – einschließlich des Asbests darin. „Es war immer kalt in der Kirche“, erinnern sich Manegold und von Eschwege. Es hätte viel investiert werden müssen. Und das für ein Dutzend meist älterer Gottesdienstteilnehmer. Die Entscheidung war eine andere: Das Kirchlein wurde verkauft.
ZUR SACHE
Vertreibung und Landflucht
Die Nachkriegszeit war für das Bistum Fulda eine große Herausforderung. Durch den Zuzug von Flüchtlingen stieg die Zahl der Katholiken von 370 000 auf bis zu 840 000 an. Bärbel von Eschwege, die damals mit ihrer Familie nach Bad Sooden-Allendorf kam, erinnert sich, dass es in der dortigen Pfarrei dann mehr katholische Heimatvertriebene gab als bereits zuvor dort Ansässige.
In zahlreichen Orten wurden wie in Niederhone neue Kirchen errichtet. Im Zeitraum von 1947 bis 1969 waren dies 201 Gotteshäuser im gesamten Bistum Fulda. Sie boten Platz für insgesamt 47 300 Gottesdienstteilnehmer.
Der Bau dieser Kirchen wurde durch Spenden – etwa von Heimatvertriebenen – unterstützt. Oder sie halfen bei den Bauarbeiten mit. So entstanden rund um Eschwege mehrere Kirchen: 1953 in Abterode und Reichensachsen, 1957 in Eltmannshausen, 1961 in Jestädt, 1965 in Grebendorf, 1966 in Hoheneiche und 1967 in Eschwege-Heuberg. Manche Gotteshäuser waren nicht sehr groß: 42 Plätze in Eltmannshausen, 46 in Jestädt. Zum Vergleich: Die Kasseler Innenstadtkirche St. Elisabeth, ebenfalls ein Nachkriegsbau, bietet Platz für 470 Menschen.
Neben Niederhone sind inzwischen weitere Gotteshäuser profaniert beziehungsweise verkauft: die Kirchen in Eltmannshausen, Germerode, Hoheneiche, Jestädt und Reichensachsen. (st)
ZUR CHRONIK
Messe im Kino
Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die einzigen katholischen Kirchen in der Gegend rund um Eschwege in der heutigen Kreisstadt selbst und im weiter östlich im Werratal gelegenen Wanfried. Die Elisabeth-Kirche in Eschwege wurde 1905 geweiht. Davor fanden katholische Gottesdienste in der Schlosskapelle statt. Durch den Zuzug von Heimatvertriebenen entstanden in der Region neue Kirchen beziehungsweise wurden in weiteren Orten Gottesdienste gefeiert. So gab es in Niederhone alle zwei Wochen einen Gottesdienst in einem Kinosaal. Oder die Katholiken aus Niederhone gingen in das nahe gelegene Jestädt, wo es seit 1961 eine Kirche gab. (st)
Von Hans-Joachim Stoehr