Vom Pfarrhaus ins Tiny House

Schön bescheiden

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Pfarrer Jörg Meyrer während seiner Zeit im Tiny House.
Nachweis

Daniel Robbel

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Jörg Meyrer in seinem Tiny House. Viele Flutopfer aus dem Ahrtal haben vorübergehend in einem der Minihäuser in Ringen gewohnt.

Die Flut im Ahrtal hat auch das Pfarrhaus von Pfarrer Jörg Meyrer beschädigt. So ist er für acht Wochen in ein Tiny House gezogen. Und fragt sich seitdem noch mehr als vorher: Wie können Priester heute zeitgemäß wohnen?

„Ja, ich wohne sehr groß und auch ein gutes Stück herrschaftlich“, sagt Jörg Meyrer ein wenig selbstironisch. Als Pfarrer der katholischen Pfarrei von Bad Neuenahr-Ahrweiler wohnt er neben der Kirche St. Laurentius im denkmalgeschützten Pfarrhaus von 1773. Der Bau mit dem orangen Anstrich und den großen, weißen Sprossenfenstern entstand in der ausgehenden Barockzeit und bietet viel Platz.

Meyrer mag seine Wohnung im Obergeschoss und ist dankbar für die schönen, hohen Räume. Doch er spürt auch seit Jahren den Wunsch, mit weniger auszukommen. Dass das geht, hat er schon oft getestet, zum Beispiel als Pilger auf dem Jakobsweg. Wochenlang hatte er nur das Allernötigste bei sich. 

Anfang dieses Jahres, in den acht Wochen vor Ostern, nutzte Meyrer die Gelegenheit, eine neue Wohnform auszuprobieren: in einem Tiny House im Nachbarort Ringen. Dort wurde eine ganze Siedlung dieser kompakt eingerichteten Minihäuser von 30 bis 40 Quadratmetern Wohnfläche errichtet. Der Umzug auf Zeit war eine Folge der Flut, die das Ahrtal im Juli 2021 verwüstet hat. Auch Meyrers Pfarrhaus wurde beschädigt, und während er fort war, konnten dort die letzten Reparaturen an der Elektroinstallation erledigt werden.

„Ich brauche ganz viel Platz nicht“

Spannend ist Meyrers Erfahrung vor allem deswegen, weil heutzutage an vielen Orten darüber nachgedacht wird, wie zeitgemäße Wohnformen für Priester aussehen können. Wohnformen, die Einsamkeit verhindern, Nähe zur Gemeinde schaffen und gewinnbringend für eine zunehmend säkulare Gesellschaft sind.

Zuerst also die Frage: Was hat er in der Zeit vermisst? Der Pfarrer aus dem Ahrtal überlegt lange und sagt dann: „Nix.“ Sorgsam hat er die Sachen gepackt, die er ins Tiny House mitnehmen wollte. Zwischendurch immer mal wieder Dinge aus seiner Wohnung im Pfarrhaus zu holen, war für ihn keine Option. Er wollte ja testen, mit wie viel weniger er auskommt. Sein Resümee: „Ich brauche ganz viele Bücher nicht. Ich brauche ganz viele meiner Haushaltssachen nicht. Ich brauche ganz viel Platz nicht.“ Und: Er wäre gerne länger geblieben. „Weil das einfachere, das bescheidenere Wohnen auch Freiheit bedeutet“, sagt er. Um alles, was man besitzt, muss man sich schließlich kümmern: „Alles, was ich habe, hat mich auch.“ 

Gemerkt hat er im Tiny House auch: „Ich habe es sehr genossen, dass Dienst und Privates zum ersten Mal in meinem Leben deutlich getrennt waren. Das hat mir sehr viel Ruhe gegeben.“ Bisher hat er immer im Pfarrhaus und damit an seinem Arbeitsplatz gewohnt. Nun erlebte er: „Wenn ich in meine Wohnung fahre, dann ist dort kein Dienst mehr – außer, wenn das Handy klingelt.“ 

Tiny House Siedlung in RingenDauerhaft käme er aus dem Pfarrhaus so einfach nicht raus. Würde er in eine kleinere Wohnung ziehen, müsste die Pfarrei weiterhin die Pfarrwohnung im Pfarrhaus vorhalten. Doch immerhin wohnt er dort schon seit Jahren nicht mehr allein. Die Gästezimmer unter dem Dach wurden zu Wohnungen umgebaut. Seitdem haben immer wieder Paare, Familien, Geflüchtete oder Mitbrüder dort gewohnt. 

Dass noch andere Menschen mit ihm im Pfarrhaus wohnen, ist Meyrer wichtig. „So ein großes Haus entspricht nicht mehr dem Priesterbild, das wir heute haben“, erklärt er. Kritik von anderen hat er zwar noch nicht gehört, aber er sagt: „Der Priester ist nicht mehr der Herr, der Pfarrherr, der in irgendeinem tollen Schlösschen wohnt.“

Ein Priester, so findet Meyrer, sollte heute „bescheidener, kleiner, mitten unter den Menschen, nicht in so einem Haus extra nur für sich“ wohnen. Entscheidend ist für ihn auch nicht, ob das Pfarrhaus mitten in der Stadt liegt, sondern ob er erreichbar ist. „Wenn die Menschen wissen, sie erreichen mich, wenn sie mich brauchen, und das geht ja meistens übers Telefon, dann ist es egal, wo ich wohne.“

„Miteinanderwohnen kostet Zeit und Kraft“

Meyrer glaubt nicht, dass bescheidener, aber allein zu wohnen, schon die Lösung für ihn ist. „Ich weiß, dass Miteinanderwohnen immer auch Zeit und Kraft und Energie kostet. Das ist nicht einfach. Aber es bedeutet auch mehr an Gemeinschaft“, sagt er. Der Pfarrer kann sich vorstellen, mit anderen Parteien nicht nur zusammen zu wohnen und zum Beispiel eine gemeinsame Küche zu haben, sondern auch Austausch, gemeinsame Abende,   Mahlzeiten miteinander zu teilen – und Ressourcen: „Es muss nicht eine Person eine Waschmaschine haben“, sagt Meyrer.

Wie genau er sich mit seiner Pfarrei demnächst für gemeinschaftliche Wohnprojekte einsetzt, wird noch geplant. Ideen gibt es und eine Machbarkeitsstudie. Und in ihm nun einen Pfarrer, der schon erlebt hat, wie es anders geht als gewohnt.