Duderstädter Gespräche
Schöne neue Welt?
Kann die Kirche angesichts der rasanten weltweiten Digitalisierung eine Rolle spielen – und wenn ja: welche? Sollte sie darauf achten, dass ethische Maßstäbe nicht aus dem Blick geraten – und wenn ja: warum? Das waren wesentliche Aspekte der Duderstädter Gespräche zum „Wertewandel 4.0“
Das Thema war ernst, aber trotzdem gab es auch etwas zum Lachen. Heinrich Festing, ehemals Kolping-Generalpräses, wäre heute vermutlich peinlich berührt, könnte man ihn mit seiner Aussage konfrontieren: „Das mit dem Computer ist irrelevant und wird sich nicht durchsetzen“, zitierte ihn sein Nachfolger Monsignore Ottmar Dillenburg. Wobei Dillenburg in der Pointe einen nachdenklich stimmenden Aspekt herauspickte: „Weder unsere Kirche noch unser Kolpingverband zeichnen sich durch Experimentierfreude aus“, sagte er. Die aber sei dringend nötig, wenn beide die durchaus gegebenen Chancen der Digitalisierung nutzen wollten.
Und die sieht der Generalpräses: Nie sei es so einfach gewesen, mit Partnern auf allen Kontinenten in Kontakt zu treten. Nie hätten die Menschen in den armen Ländern einfacher und schneller Zugang zu Wissen und dadurch bessere Bildungschancen gehabt.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten – und so hatte Dillenburg jede Menge kritische Fragen. Zum Beispiel: Wird die Welt durch Digitalisierung tatsächlich gerechter und sozialer? Zwar führe sie bei der Energienutzung oder bei Car-Sharing tatsächlich zu einer Effizienzrevolution – dem gegenüber stehe aber der hohe Verbrauch an seltenen und wertvollen Rohstoffen, weil es der Werbung gelinge, in kurzen Abständen zum Kauf neuer Smartphones und Computer zu animieren. „Wir brauchen kritische Konsumenten, wenn unser ökologischer Fußabdruck nicht durch die Decke schießen soll.“
Kritische Anmerkungen hatte der Kolping-Generalpräses auch zum Versprechen, die Digitalisierung sorge für allgemeinen Wohlstand. „Die Rationalisierungswelle trifft nicht einzelne Berufe, sondern alle mit Ausnahme hochqualifizierter Arbeitskräfte. Wer Algorithmen und Daten besitzt, wird immer reicher, die anderen vielleicht zu neuen Tagelöhnern.“ Das Ziel einer solidarischen Gesellschaft rücke in weite Ferne, wenn sich die wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht auf wenige weltweit agierende Konzerne konzentriert. „Die ethischen Fragen dürfen wir nicht den Technokraten überlassen. Es müssen die Fragen der Zivilgesellschaft sein, die von der Politik umzusetzen sind“, forderte Dillenburg. Durch die Digitalisierung werde es ganz klar Verlierer geben. „Als Christen, als Sozialverband müssen wir sie im Blick haben.“
„Die Gesellschaft wartet darauf, dass sich die Kirchen in Sachen Digitalisierung zu Wort melden“, hatte zuvor Joachim Valentin gesagt. Der Professor für katholische Theologie und Direktor des Frankfurter „Haus am Dom“ räumte allerdings ein, dass sie sich hier schwer tun; denn die Entwicklung der technischen Möglichkeiten führe zu einer offenen Gesellschaft ohne Kontrolle und Autorität – „und genau mit dieser Dezentralität haben unsere Kirchen ein Problem.“ Trotzdem müsse es gelingen, der Allmachtsphantasie der Digitalisierung die Endlichkeit des Menschen gegenüber zu stellen. Denn: „Was bleibt von einem Gott, wenn künftig Scheitern nicht mehr vorgesehen ist?“
Der katholische Journalist Felix Neumann riet den Kolpingmitgliedern zu „Emotionen statt Verbandsverlautbarungen. Bewegen Sie die Menschen.“ Die hätten kein Interesse an kirchlichen Strukturdebatten, aber an Glaubensbeispielen, Ideen und Emotionen. Neumann: „Angesichts der technischen Möglichkeiten kann jeder von Ihnen Speerspitze kirchlicher Kommunikation sein. Dann bekäme der Auftrag der Missionierung einen ganz anderen Aspekt.“ Erfolgreiche Verkündigung heiße für ihn: „Machen Sie einfach!“
Stefan Branahl