Die Telefonseelsorge wird in der Pandemie wichtiger

Sich alles von der Seele reden

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Die Corona-Krise verstärkt Depressionen und Einsamkeit. Deutlich mehr Menschen rufen deshalb bei der Telefonseelsorge an, auch im Emsland und der Grafschaft Bentheim. Die Ehrenamtlichen dort sind für die Anrufer ein Anker. 


Reden hilft – und reden ist nötig. Denn in der Corona-Krise treten vermehrt seelische Probleme auf. Deshalb verzeichnet die Telefonseelsorge größeren Zulauf. Foto: Theresa Brandl

 

Noch ist die Krise nicht vorbei, noch ist die Statistik daher nur vorläufig, aber für Ludger Plogmann ist schon jetzt klar: „Wir haben wegen der Corona-Pandemie über zehn Prozent mehr Anrufer als sonst“, sagt der Geschäftsführer des Vereins. Besonders in den Zeiten der Kontaktbeschränkungen klingelte es häufiger als sonst bei der Telefonseelsorge Emsland/Grafschaft Bentheim.

Besonders oft ging es dabei nach seinen Worten um die Ängste, die die Situation bei vielen Menschen auslöst: Trifft es mich oder meine Familie, behalte ich meine sozialen Kontakte, verliere ich meinen Arbeitsplatz, wer hilft mir da durch und wie lange dauert das alles noch? Corona hat dabei nach Einschätzung von Plogmann oft zuvor vorhandene Probleme wie Einsamkeit oder Depressionen wie durch ein Brennglas befeuert: „Die haben sich dadurch zum Teil verschärft.“

Im Leben scheint nicht immer nur die Sonne

Das hat auch Renate R. gespürt. Die 54-jährige Emsländerin ist eine der Ehrenamtlichen, die grundsätzlich anonym bleiben. Früher hat sie im medizinischen Bereich gearbeitet, seit drei Jahren engagiert sie sich aktiv in der Telefonseelsorge. Nach schweren Erkrankungen und Schicksalsschlägen in der Familie und im Freundeskreis weiß sie, dass im Leben nicht immer nur die Sonne scheint – und wie wichtig es ist, dann jemanden an der Seite zu haben. Das hat ihren Blick verändert, das hat sie sensibilisiert. „Jetzt geht es mir gut und ich will nun etwas für die Menschen machen und der Gesellschaft etwas zurückgeben.“ 

Dieses Bedürfnis, dem Anrufer am anderen Ende der Leitung in einer vielleicht dunklen Stunde zu helfen, treibt sie an. Ausdrücklich lobt sie im Rückblick die intensive Ausbildung der Telefonseelsorge. Durch den Kurs fühlt sie sich gut vorbereitet auf ihre Einsätze. „Das hat mir persönlich sehr viel gebracht.“

Wer über Probleme spricht, sieht oft klarer 

Nicht immer sind die Gespräche leicht zu ertragen. Renate R. hört manchmal erschütternde Geschichten von Leid und Schmerz, von Krankheit und Trennung, von Angst vor der Zukunft.  Geduldig hört sie zu und versucht aufzubauen, Mut zu machen und bestärkt die Anrufer darin, sich Hilfe zu holen. Wer über seine Probleme spricht, sieht sie danach manchmal klarer vor sich – und entdeckt im Telefonat, welche Ressourcen in einem selbst stecken.“ Das geht mit einem neutralen, unbekannten Zuhörer oft leichter als mit der Freundin oder dem Nachbarn. Diese Anonymität und der geschützte Raum sind ihrer Ansicht nach ein Trumpf der Telefonseelsorge.   

Gerade in der Corona-Zeit hat Renate R. bemerkt, wie die Situation einen Teil der Anrufer verunsichert hat – vor allem Menschen, die an Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. „Manchmal haben sie nur erst geschluchzt und geweint am Telefon, wussten nicht mehr ein noch aus und waren voller Ängste“. Das hat sie deutlich mehr erlebt als vor der Krise – und auch, wie dankbar diese Menschen dafür sind, dass jemand da ist und zuhört. „Ich versuche, ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind und dass sie sich bei mir alles von der Seele reden können.“ Die Emsländerin sieht die Telefonseelsorge als eine Art Anker für die Anrufer.

Wo sie ihren eigenen Anker für diese herausfordernde Arbeit findet? Zu Hause, bei ihrem Ehemann, aber auch in ihrem Glauben. Vor vielen ihrer Dienste spricht Renate R. ein Gebet und bittet um die Kraft, „dass ich die richtigen Worte finde.“ Ein wichtiger Bestandteil für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge sind nach ihren Worten die Gespräche in den Supervisionsgruppen, die in regelmäßigen Abständen stattfinden. Sie selbst lebt noch bewusster, seitdem sie sich in der Telefonseelsorge engagiert – weiß auch die kleinen Dinge des Alltags noch mehr zu schätzen.

Ehrenamtliche sind das Rückgrat der Seelsorge

Die Ehrenamtlichen wie Renate R. sind laut Ludger Plogmann das Rückgrat der Telefonseelsorge. 60 Männer und Frauen engagieren sich derzeit aktiv, sitzen im Wechsel in der Woche für mehrere Stunden am Telefon, zum Teil auch nachts. Im vergangenen Jahr haben sie über 5000 Stunden Dienst geleistet. Plogmann hat größte Hochachtung vor dieser Arbeit. Insgesamt verzeichnet der Verein pro Jahr im Durchschnitt über 14000 Kontakte, aus denen sich gut 7000 intensive Gespräche ergeben – viele dauern eine halbe Stunde oder noch länger. 

Die Corona-Krise stellt den Verein in seinem Jubiläumsjahr noch vor ein besonderes Problem. „Es gibt deutlich weniger Spenden und darauf sind wir eigentlich angewiesen“, sagt Ludger Plogmann. Auch da mögen die Unsicherheiten bei vielen Menschen und Firmen eine Rolle spielen. Zudem fällt das Benefiz-Konzert, dessen Erlös ebenfalls in die Arbeit der Telefonseelsorge investiert werden sollte, wegen der Pandemie aus. „Wir hoffen, dass wir das irgendwie auffangen können.“

Petra Diek-Münchow

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr gebührenfrei unter den Rufnummern: 08 00-1 11 01 11 und 08 00-1 11 02 22 zu erreichen.