Junge Christinnen und Christen im Internet

"Spirituelle Marktlücke"

Image
Bruder Lukas Boving
Nachweis

Screenshot Instagram

Caption

Bruder Lukas Boving

In den Sonntagsgottesdienst gehen junge Menschen kaum noch. Ins Internet dagegen ziemlich oft. Manche verbringen am Tag Stunden auf TikTok, Instagram oder Youtube. Da muss auch Religion und Kirche eine Rolle spielen, finden drei Katholiken, die auf Instagram über ihren Glauben sprechen. Von Luzia Arlinghaus.


Sie zeigt, wie Gott in ihrem Leben wirkt

Sie zeigt sich bei einem Waldspaziergang, mit Freunden im Fußballstadion oder dabei, wie sie strahlend ihr Buch in die Kamera hält. Auf den ersten Blick wirkt das Instagramprofil von Kira Beer wie das anderer Influencer, die sich auf Fotos und Videos in den sozialen Netzwerken darstellen. Ihre Followerinnen und Follower können zusehen, wie sie umzieht, und hören, was sie von ihrem Studium erzählt. Eine Frage, die Beer von anderen Influencern unterscheidet und die sich in fast jeden Beitrag mischt: Wie wirkt Gott auf ihr Leben?

Kira Beer
Kira Beer. Screenshot: Instagram

„Ich habe das Bedürfnis zu erzählen, was ich im Glauben erlebe, weil ich dafür so dankbar bin“, sagt Beer. Sie ist 23 Jahre alt und studiert Theologie in München. Unter manchen Beiträgen erzählt sie, wie ihr Glaube sie bereichert, unter anderen spricht sie von Zweifeln. Vor allem, wenn sie in die Welt schaut, fragt sie: „Wo bist du, Gott?“ – und teilt es mit ihrer Community. „Manchmal erzähle ich, dass ich Gott in meinem Leben gerade gar nicht spüre und eine Wüstenzeit in meiner Spiritualität erlebe“, sagt sie. Dann schreiben Leute ihr, dass sie froh sind, das zu hören, weil es ihnen genauso geht. Beer sagt: „Ich finde es wichtig, aus meinem Privatleben zu erzählen, um verständlich zu machen, wie Gott da reinspielt.“

Wer will, kann ihr so nah kommen, dass es sich fast anfühlt, als wäre sie eine Freundin. Denn Beer spricht auch über Themen, die in der Kirche kaum vorkommen: zum Beispiel darüber, wie realitätsfern es ist, dass die kirchliche Lehre Sex vor der Ehe verbietet. „Kira in Rage“ nennt sie eine Rubrik auf ihrem Profil, in der sie sich über radikal konservative Christen aufregt. Manchmal postet sie Aussagen von Bischöfen, mit denen sie nicht übereinstimmt und entkräftet sie theologisch. Zum Beispiel, dass die Bibel das Priesteramt für Frauen verbiete. „Ich will mit Klischees über Katholikinnen und Katholiken aufräumen, weil ganz viele Leute denken, alle seien konservativ.“ Dass Beer so viel von sich preisgibt, ist ihr Markenzeichen und macht sie mit ungefähr 6000 Followern zu einer der erfolgreichsten katholischen Influencerinnen und Influencern.

Anhand der Kommentare, die sie bekommt, weiß sie, dass die meisten ihrer Follower selbst Christen sind und sich für kirchenpolitische Themen interessieren. Ungefähr 30 Prozent sind 18 bis 24 Jahre alt und 40 Prozent sind 25 bis 34 Jahre alt. Beer erreicht also junge Menschen, die sich für den christlichen Glauben interessieren. Menschen, die in Sonntagsgottesdiensten kaum vorkommen. „In Predigten habe ich oft das Gefühl, dass wir von Gott sprechen, aber sehr abstrakt und sehr unpersönlich. Dabei erleben wir ihn ja eigentlich ständig“, sagt sie.

Ihr Eindruck: „Menschen bekommen einen leichteren Zugang zu Geschichten von Gott, wenn sie auch persönliche Geschichten hören.“ Um ihre Follower in ihrer eigenen Spiritualität zu inspirieren, beantwortet sie Fragen. Woher rührt zum Beispiel ihr Gottvertrauen? Beer erzählt, dass sie viel Tagebuch schreibt. Wenn sie auf alte Seiten zurückblättert und liest, was damals ihre Ziele waren, merkt sie oft, ihre Wünsche haben sich erfüllt. Sie glaubt, da hat Gott gewirkt.


Er erreicht mit einem Video Millionen

Bruder Lukas Boving (47) hätte nie gedacht, dass dieses Video in den USA so „dermaßen durch die Decke geht“ . Ja, er wusste: Videos, in denen er seinen Habit und andere Messgewänder anzieht, laufen auf Instagram immer. Aber so gut? Mehrere Millionen Menschen sahen sich an, wie er über seinen schwarzen Benediktiner-Habit eine weiße Kapuze mit weißer Albe und einem grünen Messgewand anzieht. Eine halbe Million klickte auf „Gefällt mir“. Der Grund war so bitter wie kurios: Die weiße spitze Kapuze hat viele Menschen an das Gewand des rassistischen Ku-Klux-Klans erinnert. „Ich bin da in einen Algorithmus hineingeraten, den ich gar nicht voraussehen konnte“, sagt Boving. Durch dieses Video erreichte er Menschen, die sonst überhaupt nichts mit der Kirche zu tun haben. 

Bruder Lukas Boving
Bruder Lukas Boving. Screenshot: Instagram

Der Benediktinermönch aus Nütschau will mit seinem Instagram-Account Leute unterhalten – und gleichzeitig die Botschaft „Gott liebt Dich“ verkünden. Er zeigt sich beim Pilgern auf dem Jakobsweg. Er filmt sich beim Kegeln und schreibt dazu: „Jesu Liebe ist wie Kegeln, umwerfender Erfolg“. Und er macht einen Trend mit, bei dem er ein rosafarbenes Gewand trägt und „Hi Barbie“ in die Kamera sagt. Mit diesen kurzen, selbstironischen Videos zeigt er: Die Kirche muss nicht altmodisch und langweilig sein.

Wenn Boving samstagsabends 40 Sekunden auf Instagram darüber spricht, was ihm das Evangelium in dieser Woche sagt, erreicht er regelmäßig über 1000 Menschen. Davon, schätzt er, haben 300 genau hingehört und können etwas für sich mitnehmen. „In der Predigt erreiche ich die nicht. Instagram ist eine Chance, ganz neue, junge Menschen zu erreichen“, sagt Boving. Zwischen 25 und 34 Jahren sind die meisten seiner fast 7000 Followerinnen und Follower. Er gehört zu den erfolgreichsten katholischen Influencern.

Durch die Beiträge fassen manche von ihnen Vertrauen und schreiben ihm Nachrichten. „Da kommen die eingemachten Fragen, die ich auch in der analogen Seelsorge oder im Beichtstuhl erlebe: Warum bin ich auf der Erde? Warum ist Masturbation eine Sünde?“, erzählt Boving. Manchmal entsteht aus dem Chat ein Telefonat und daraus eine geistliche Begleitung. 20 bis 30 junge Menschen versorgt Boving gleichzeitig seelsorgerisch über Instagram. Zu manchen hat er täglich Kontakt, zu anderen nur alle paar Monate. Die Instagram-Seelsorge ist zu einem großen Teil seiner Arbeit geworden. „Das ist ein ganz neuer Kanal, den wir als Kirche noch gar nicht im Blick haben“, sagt der Benediktiner.

So albern und belanglos seine Videos im ersten Moment auch erscheinen: Sie wirken. Dass junge Menschen sich mit Fragen über den Sinn des Lebens an einen Kirchenvertreter wenden, kommt sonst ja nur noch sehr selten vor. Besonders freut Boving sich, wenn er einen jungen Menschen aus der Instagram-Seelsorge persönlich kennenlernt. Auf dem Weg zu einem Termin in Süddeutschland postete er mal, dass er gerade in Ulm am Bahnhof ist. Ein Follower aus Ulm, den Boving schon vom Chatten kannte, schrieb ihm. Kurzerhand trafen sie sich am Bahnsteig zu einem kurzen Seelsorgegespräch. Und erlebten, dass der Weg von der digitalen in die analoge Welt manchmal ganz kurz sein kann.


Er will sich über den Glauben austauschen

Ich bin ein mystisch-charismatisch faszinierter, links-evangelikaler Reform-Katholik.“ So würde Felix Kramm gerne antworten, wenn jemand ihn nach seiner Konfession fragt. Einfach mal „das Gute in verschiedenen Strömungen und Konfessionen sehen“ wolle er, schreibt er auf seinem Instagram-Profil. Genauso unkonventionell wie seine Selbstbeschreibung sind die Fragen, die er auf seinem Kanal stellt: Wie fasst eine Künstliche Intelligenz die Botschaft der Bibel zusammen? Gibt es eine christliche Ernährung? In welcher Partei wäre Jesus? Fragen, die nah am Alltag junger Christinnen und Christen sind und die Raum für Zweifel am Glauben lassen.

Felix Kramm
Felix Kramm. Screenshot: Instagram

Dem Juristen Kramm (30) aus Heidelberg macht es Spaß, seine religiösen Ideen zu aktuellen Themen auf Instagram zu teilen. Als die Umfragewerte der AfD stiegen, überlegte er, welche Partei Jesus wählen würde, und analysierte, welche der Parteien im Bundestag zu Haltungen Jesu passen. Sein Fazit: „Es gibt gute Gründe, als Christin oder Christ jede demokratische Partei zu wählen. Aber sei nicht neutral, wo auch Jesus nicht neutral war. Sag Nein zur AfD.“

Kramm ist überzeugter Christ. Er sagt: „Mir gibt der Glaube ganz viel und ich will darüber mit anderen in den Austausch kommen.“ Er ist überzeugt davon, dass Menschen ein Bedürfnis nach Spiritualität haben: „Ein Teil von uns ist, dass wir uns die ganz großen Fragen stellen.“ Ein Problem der Kirche sei, dass viele Menschen nicht mehr neugierig seien, sagt Kramm: „Mir fällt auf, dass viele Leute denken, sie wüssten viel über den Glauben, weil sie zur Konfirmation oder Firmung gegangen sind. Aber eigentlich wissen sie nicht viel.“ 

Deshalb versucht er zu zeigen, was Christentum auch sein kann. Zum Beispiel: eine Religion, der die Bewahrung der Schöpfung, also Umwelt- und Klimaschutz, sehr wichtig ist. „Das Christentum hat sich sehr von seiner Bindung zur Natur entfernt, aber ich finde, das muss nicht so sein“, sagt Kramm. „Jesus hat viel Kraft und Inspiration für seine Gleichnisse aus der Natur geschöpft.“ Und Papst Franziskus ist einer der größten Verfechter des Klimaschutzes. Auf Instagram zitiert Kramm aus Laudate Deum, einem Schreiben des Papstes, in dem er dazu aufruft, die Erderhitzung entschlossen zu bekämpfen. 

Die meisten der circa 1600 Menschen, die ihm auf Instagram folgen, sind zwischen 20 und 35 Jahren alt. Viel jünger also als die meisten Kirchenmitglieder in Deutschland. Das liegt daran, dass Kramm „spirituelle Marktlücken“ füllt, wie er seine Themen nennt.

Von der Kirche wünscht er sich, dass sie Social Media mehr nutzt. Er glaubt, dass das notwendig ist – weil sie sonst irrelevant wird. Jede Kirchengemeinde könne wenigstens Beiträge über Veranstaltungen veröffentlichen, Ehrenamtliche würdigen und zwischendurch ein Interview mit einem engagierten Gemeindemitglied posten. „Wie ist es denn außerhalb der Kirche? Jeder Optiker hat einen eigenen Instagram-Account. Die Aufmerksamkeit ist dort, die Menschen sind dort“, sagt Kramm. Also ist auch er dort – und merkt immer wieder mal, dass das Internet und der Glaube sich gar nicht so fremd sind. Einmal hat er Chat GPT, die Künstliche Intelligenz, gefragt, wie sie die Bibel zusammenfassen würde. Ihre Antwort: „Die Bibel verkündet Gottes Liebe.“
 

Frage und Antwort

Zeigt, was Ihr könnt

Was ist ein christlicher Influencer?
Christliche Influencer, Christfluencer genannt, sind Menschen, die auf den sozialen Netzwerken, also zum Beispiel auf Instagram, Youtube oder TikTok, über ihren Glauben sprechen und andere damit beeinflussen wollen. Manche geben Impulse, andere wollen missionieren. Wie immer auf den sozialen Netzwerken geht es Christfluencern auch darum, sich selbst zu präsentieren.

Welche Christfluencer sind die erfolgreichsten?
Die meiste Reichweite und damit auch die meisten Followerinnen und Follower haben fundamentalistische Christfluencer. Sie stammen meistens aus evangelikalen Freikirchen und haben in Deutschland teilweise über 10 000 Follower, in den USA sind sie noch erfolgreicher.

Was macht sie gefährlich?
Oft wirken rechts-evangelikale Christfluencer in ihren Videos modern und aufgeschlossen, weil sie jung sind. Sie kleiden sich modern und sprechen jugendlich. Viele vertreten aber sehr konservative Werte und versuchen Ängste zu schüren, indem sie behaupten zu wissen, was Gottes Wille sei und was nicht. Oft benennen Christfluencer ihre Meinungen nicht konkret, sondern verweisen auf Bibelstellen und sagen, man solle auf die Stimme Gottes hören. Während der Corona-Zeit postete ein Christfluencer zum Beispiel ein Video, in dem er eine Maske an ein Kreuz hing und schrieb: Beim Thema Corona solle man nicht auf die Regierung oder sonst jemanden hören, sondern nur auf Jesus. In einem YouTube-Video verbreiteten Christfluencer, wer in seiner Jugend Pornos schaue, der werde eher pädophil. In anderen Videos zeigen sie sich, wie sie durch Gebete angeblich Verletzungen heilen. Ein Mann legt seine Hand auf den Fuß eines anderen, spricht ein Gebet und ruft laut, als wäre es ein Zauberspruch, „amen“. Der angeblich Verletzte hat plötzlich überhaupt keine Schmerzen mehr.

Wie stellen sie sich dar?
Christfluencer vermitteln ein modernes Bild von Kirche und Religion. Sie gehen raus und sprechen Menschen auf der Straße auf ihren Glauben an. Ob die Begegnungen in der Fußgängerzone tatsächlich spontan sind oder ob sich die Personen kennen, kann man nicht sagen. Sie mischen Beiträge zu ihrem Glauben oft mit privaten Bildern, indem sie sich auf ihren Profilen im Familienglück, nachdenklich in der Natur oder in romantischer Zweisamkeit mit dem Ehepartner zeigen. Es scheint ihnen immer gut zu gehen. Schlecht ging es ihnen vor allem, bevor sie zum Glauben fanden. Wem es im Leben schlecht geht, der glaubt nicht richtig, scheint die Botschaft zu sein.

Warum sind die Radikalen so erfolgreich?
Das hat auch mit dem Algorithmus zu tun. Vor allem Tiktok, aber auch andere soziale Netzwerke bevorzugen Videos mit radikalen Inhalten. Die Videos werden insgesamt mehr Nutzerinnen und Nutzern automatisch angezeigt. Dadurch erreichen sie schneller große Reichweiten als Videos mit Inhalten, die nicht radikal sind.

Welche Christfluencer können uns inspirieren?
Die katholische Kirche hat ein Netzwerk gegründet, das sich Bodenpersonal nennt. Christfluencer aus ganz Deutschland, teils mit theologischem Studium, teils hobbymäßig, sprechen auf Instagram und YouTube über ihren Glauben, erklären christliche Feiertage und informieren über den Synodalen Weg.

Warum sind Christfluencer für die katholische Kirche wichtig?
Felix Kramm, Kira Beer und Bruder Lukas erreichen Menschen auf Instagram, die in der Kirche nicht mehr vorkommen. Junge Leute, vor allem zwischen 20 und 35, die Religion grundsätzlich offen gegenüberstehen, aber in der Kirche kein Angebot finden, das sie anspricht. Die Kirche spielt im Leben vieler junger Leute keine Rolle mehr. Wenn, dann vor allem in Negativschlagzeilen über Missbrauch und als Institution längst vergangener Zeiten. Social Media ist der Ort, an dem sich junge Leute aufhalten. Hier kann die katholische Kirche versuchen zu zeigen, was sie wirklich ausmacht.

Wie kann eine Kirchengemeinde ein bisschen Christfluencer sein? 
Rebecca Weidenbach ist Pastoralreferentin und hat Crossmediale Glaubenskommunikation studiert. Sie schlägt vor, dass Kirchengemeinden auf Social Media einfach zeigen sollten, was sie anbieten. Sie können zum Beispiel Fotos und Videos aus dem Zeltlager und vom Seniorencafé veröffentlichen. Oder sie vernetzen sich mit einem Bürgerverein und zeigen, bei welchen Angeboten in der Stadt die Kirche mitmischt. Eine Person aus der katholischen Gemeinde und eine aus der evangelischen können sich zusammen vor die Kamera stellen und zeigen, wie Ökumene im Ort funktioniert. Ein Instagram-Account, so Weidenbach, sollte auf keinen Fall ein „digitaler Schaukasten“ sein, in dem nur Termine angekündigt werden.

Wer kann helfen, wenn es hakt? 
Wenn es in der Gemeindeleitung niemanden gibt, der sich mit Social Media auskennt, kann sie Ehrenamtliche fragen, ob sie sich um einen Account kümmern möchten. Dabei sollte sie wissen, dass Social Media nichts ist, was man nebenbei machen kann. Einen guten Beitrag zu gestalten, braucht Zeit und dazu kommt das Community Management, also auf Kommentare zu antworten und anderen Accounts zu folgen zum Beispiel. Wichtig ist, dass die Gemeindeleitung die Arbeit der Person wertschätzt, dass sie ihr vertraut und sie nicht ständig kontrolliert. Denn Social Media ist schnell und manchmal muss man spontan reagieren ohne jeden Post vorher abzusprechen. Vor allem aber kann Social Media Spaß machen und dazu gehört, dass man sich ausprobiert.

 

Luzia Arlinghaus