Gott ruft den Menschen

Steh auf!

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Seit Abraham kommt es vor, dass Menschen von Gott gerufen werden. Die Worte, die da gesprochen werden, sind immer die gleichen. Nur die Namen sind immer andere. Achten Sie auf die Antwort! Es wird auch Ihr Name fallen! 

Skulptur des „Denkers“ von Auguste Rodin
Auch dieser Mann sitzt zu viel. Skulptur des „Denkers“ von Auguste Rodin.  Foto: Heinen

In Damaskus, der heute vom Krieg zerschlagenen Hauptstadt Syriens, ereignete sich vor knapp 2000 Jahren etwas, das jedem von Ihnen genauso passieren kann. Die Apostelgeschichte erzählt davon: „Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias. Dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr.“ 

In den ersten drei Sätzen dieser Geschichte kommen schon zwei bemerkenswerte Aussagen. Gott nennt Hananias bei seinem Namen. Und der Angesprochene antwortet ohne zu zögern: Hier bin ich, Herr! 

Hananias hat sich diese Antwort nicht ausgedacht. Er wusste, was zu sagen war. Denn Gott ruft immer so. „Gott sprach zu ihm: Abraham. Und er sagte: Hier bin ich.“ (Genesis 22,1) Der Engel Gottes sagt zu Jakob: „Jakob, Jakob! Und er antwortete: Hier bin ich.“ (Genesis 46,2) Der Herr spricht zu Mose: „Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.“ (Exodus 3,4) „Jesaia!“ „Saul!“ „Samuel!“ Es sind die gleichen Worte, mit denen Gott ruft. Der junge Samuel hört seinen Namen sogar viermal hintereinander. Viermal sagt Samuel: „Hier bin ich.“ 

In der Liturgie der Diakon- und Priesterweihe ist diese Formel aufgegriffen. Auch dort werden am Anfang die Kandidaten mit Namen gerufen und antworten: „Hier bin ich!“ 

Gott wartet auf mein „Hier bin ich!“ 

Genau genommen ist mit diesen Worten – im Hebräischen noch kürzer: „hineni“ – nicht viel gesagt. Gott weiß ja, wo Abraham oder Hananias ist. Aber er wartet, bis das „Hier bin ich“ kommt. Er will das hören. Gott kommandiert die Menschen nicht herum. Er will, dass der Angesprochene nicht nur da ist, sondern ganz da ist, da sein will. „Hineni“ – „Es ist der mächtigste Ausdruck in der hebräischen Sprache für menschliche Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, eine Aufgabe mit eindeutiger Verpflichtung und Präsenz“, sagt der jüdische Rabbiner Yehuda Teichtal. 

Wenn Gott einen Menschen deutlich mit Namen ruft, will er etwas Besonderes. Er hat einen Auftrag. Auch dafür gibt es eine typische Formel, die bei Hananias vorkommt: „Steh auf, geh zur Straße, die man ‚Die Gerade‘ nennt.“ Dort soll Hananias Paulus treffen. „Steh auf und iss!“ (Jakob). „Steh auf, geh nach Ninive!“ (Jona)  „Steh auf, nimm deine Trage und geh!“ Das Wort „Steh auf!“ muss so geläufig gewesen sein, dass der Evangelist Markus es an einer Stelle im hebräisch/aramäischen Original („kum“) zitiert. „Talita kumi“ sagt Jesus zur vermeintlich toten Tochter des Jairus. „Mädchen, steh auf!“ (Markus 5,41) 

Natürlich ist nicht jeder von uns eine Schlüsselfigur der Gottesgeschichte, so wie Abraham oder Hananias. Aber jeder hat einen Namen. Und jeder muss damit rechnen, dass Gott ihn eines Tages bei diesem Namen ruft und sagt: Steh auf! Er sagt das, wenn er den ganzen Menschen fordert. Er sagt das auch zu Menschen, die schon zu lange sitzen, die es sich bequem gemacht haben, die sich im Selbstmitleid zusammenkrümmen, sich in Selbstbetrachtung verlieren oder im Strom ihrer Tage dahinschwimmen. Zu diesen sagt der Herr: Du hast einen Namen. Ich brauche dich ganz. Mach dich nicht kleiner, als du bist. Denn für das, was ich mit dir vorhabe, brauche ich dich aufrecht, in deiner  voller Größe!

Text: Andreas Hüser