Von Sehnsucht getrieben
Suchend quer durch Europa: Gabor Zsigmondi
Gabor Zsigmondi, 73, ist ein Europapilger. Er ist durch 24 Länder gereist und hat weit mehr als 200 000 Kilometer zurückgelegt – vor allem mit dem Rad, per Bahn und zu Fuß. Er wurde von Sehnsucht getrieben und sagt selbst, seine Pilgerreisen seien religiös motiviert gewesen. Jetzt lebt er im Rheingau. Von Christa Kaddar
Viele Wallfahrtsorte hat er besucht und unterwegs oft erfahren, dass Klöster, Pfarrhäuser und religiöse Einrichtungen ihm für einige Tage Unterkunft und Verpflegung gewährt haben. Als er im März 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, ins Franziskanerkloster Marienthal kam, blieb er vier Monate. Im Sommer, als die Regeln etwas gelockert wurden, zog es ihn noch einmal nach Süddeutschland. Doch bevor es Winter wurde, kehrte er nach Marienthal zurück, wo er die längste Gastfreundschaft erfahren hatte. Gabor Zsigmondi hatte keine Krankenversicherung, doch er war krank. Seine Füße und Beine waren wund und er war auf Hilfe angewiesen Der Guardian des Klosters Marienthal, Pater Paul Waldmüller, und seine Mitbrüder standen und stehen Gabor Zsigmondi zur Seite. „Unser Ordensgründer, der heilige Franziskus, hat uns aufgetragen, das Evangelium zu leben“, erklärt Pater Paul den Grund des Handelns. Darin sage Jesus klar: „Was ihr einem meiner geringsten Schwestern oder Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Geholfen mit Spenden aus dem Freundeskreis
Als die Franziskaner feststellten, dass Gabor Zsigmondi allein auf sich gestellt war, haben sie getan, was möglich war. Eine Weile lebte er im Kloster und danach haben sie ihm geholfen, ein Zimmer in Geisenheim zu finden und bislang für seinen Lebensunterhalt gesorgt. „Wir haben dafür auch Spenden aus dem Freundeskreis des Klosters bekommen“, erklärt Pater Paul. „Die kleine Rente aus Frankreich und Sozialhilfe konnte er nur beantragen, wenn er einen festen Wohnsitz hat.“ Letzteres wurde gerade genehmigt. Inzwischen hat sich Gabor Zsigmondi schon ein wenig eingelebt in Geisenheim und versteht ein bisschen Deutsch. Das Gespräch mit ihm fand auf Französisch statt, das er fließend spricht. Mit Pater Paul unterhält er sich in fließendem Italienisch.
Stolz zeigt er seine laminierten Zeitungsartikel und Fotos. Hunderte von Stempeln der Klöster hat er zu einem mehrere Meter langen Leporello aneinandergereiht. Aber wie kam es überhaupt zu dieser außergewöhnlichen Wanderschaft durch Europa? „Ich bin mit einem Bruder in Ungarn aufgewachsen. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater Tierarzt. Ich machte eine Ausbildung zum Lokführer und war ein paar Jahre in meinem Beruf tätig“, erzählt er. „Aus politischen Gründen habe ich 1975 Ungarn verlassen und wurde in Frankreich als Flüchtling aufgenommen.“ Dort hielt er sich mit Hilfsarbeiten als Kellner, Maler oder Bauer über Wasser. Nach ein paar Jahren trieb ihn die Sehnsucht nach anderen Ländern und die Suche nach Gott in die Ferne. Sein erstes Ziel war ein Kloster in der Schweiz, dann pilgerte er nach Rom. Zwischendurch kehrte er wieder nach Frankreich zurück, jobbte eine Weile und ging wieder auf neue Pilgerreisen. Er war in Lourdes, in Santiago de Compostela, in Fatima, Assisi, Padua, Jugoslawien, Griechenland und sogar am Polarkreis. Einige Wallfahrtsorte, Kirchen und Klöster im Süden Europas hat er mehrmals besucht.
Der Wunsch nach fester Bleibe ist gewachsen
Alle fünf bis zehn Jahre kam er zu einem kurzen Aufenthalt nach Marienthal. Auch in Ungarn versuchte er noch einmal sein Glück, aber sesshaft werden konnte er dort nicht. „Die Ungarn wollen mich nicht mehr“, stellte er betrübt fest. Familiäre Bande gibt es auch nicht mehr. Rund 180 000 Kilometer hat er mit dem Fahrrad zurückgelegt – besser gesagt, mit sieben Fahrrädern in gut 20 Jahren. Nach einem schweren Unfall 2004 bekam er ein künstliches Hüftgelenk; seitdem ist er noch rund 30 000 Kilometer zu Fuß gewandert. Doch inzwischen hat sich sein Gesundheitszustand, unter anderem durch eine Embolie, so verschlechtert, dass er sein Pilgerdasein aufgeben muss.
Es sind zwar gesundheitliche Gründe, die ihn dazu zwingen, aber auch der Wunsch nach einer festen Bleibe ist mit den Jahren gewachsen. Vielleicht lässt sich seine Suche quer durch Europa mit einem Zitat des heiligen Augustinus beschreiben: „Unruhig ist unser Herz bis es ruht in dir, o Herr.“ Gabor Zsigmondi darf sich glücklich schätzen, dass er bei seiner Suche auf Pater Paul Waldmüller und die anderen Franziskaner-Brüder in Marienthal getroffen ist.
Von Christa Kaddar