Interview mit dem Moraltheologen Alexander Merkl

Suizidbeihilfe ist keine Option

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Der evangelische Landesbischof Ralf Meister aus Hannover hat die Diskussion zu Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen neu angefacht. „Wenn explizit der Wunsch zu sterben geäußert wird, dürfen wir schwerstkranke Menschen nicht allein lassen, wenn sie sterben wollen und um Hilfe bitten“, sagt Meister in einem Interview. Unter bestimmten Bedingungen könne für ihn ein assistierter Suizid ein Akt der Barmherzigkeit sein. Der Moraltheologe Alexander Merkl aus Hildesheim sieht das etwas anders.


Zu den Forschungsschwerpunkten von Alexander Merkl
zählt neben der Friedensethik auch die Medizinethik.

Wie würden Sie die Aussagen von Bischof Meister einordnen?

Zunächst scheint es mir wichtig zu sein, dass Bischof Meister von vielen Seiten Widerspruch erfahren hat und nicht für die Evangelische Kirche in Deutschland insgesamt spricht. Denn diese hatte sich noch im Februar zusammen mit der Deutschen Bischofskonferenz in einer gemeinsamen Stellungnahme sehr kritisch über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts geäußert. Dieses hatte zuvor den als politischen Kompromiss formulierten Paragrafen 217 StGB zur Suizidbeihilfe als nichtig erklärt und an den Gesetzgeber zurückgegeben. Die beiden großen christlichen Kirche sehen darin einen bedeutsamen Einschnitt in ihre auf „Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur“. Es ist also ein gewisser Binnenpluralismus der moralischen Überzeugungen innerhalb der evangelischen Kirche wahrzunehmen.

Eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Suizidbeihilfe ist für Bischof Meister eine verpflichtende Beratung. Ist das realistisch?

Gerade auch die Forderung, Suizidwillige zu beraten, scheint mir Ausdruck eines fraglichen Beratungsoptimismus zu sein, der im evangelischen Kontext schon bei anderen jüngeren Themen – zum Beispiel beim nichtinvasiven pränatalen Bluttest als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherungen – erkennbar wurde. Hier bliebe aber doch zumindest zu konkretisieren, wie eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Beratung personell, finanziell und strukturell überhaupt ermöglicht werden kann, noch dazu zu einem solch sensiblen und existentiellen Thema.

Welche Formen von Sterbehilfe gibt es und wie steht die katholische Kirche dazu?

Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen der aktiven, passiven und indirekten Sterbehilfe sowie der Suizidbeihilfe. Die Katholische Kirche steht der aktiven Sterbehilfe, also der Tötung auf Verlangen durch einen Arzt, und der Suizidbeihilfe, in deren Zuge ein Arzt als Assistent ein tödliches Medikament bereitstellt, das der Suizident jedoch selbst einnimmt, ausnahmslos ablehnend gegenüber.

Welche Gründe werden von katholischer Seite hierfür genannt?

Neben dem biblischen Tötungsverbot wäre noch auf zwei weitere wichtige Argumente hinzuweisen. Zum einen würde die Praktizierung von Sterbehilfe dem ärztlichen Ethos widersprechen. Der Arzt würde nicht mehr als Heiler und Begleiter entlang der zentralen Prinzipien Nicht-Schaden und Fürsorge agieren und wahrgenommen, sondern als Tötungshelfer. Dies widerspräche dem Selbstverständnis der Ärzteschaft. Zum anderen ist davor zu warnen, dass Sterbe- und Suizidbeihilfe zur selbstverständlichen Normalität und anerkannten Therapieoption werden könnten.

Von alten Menschen hört man oft, dass sie ihren Kindern nicht zur Last fallen wollen und deswegen in ein Altenheim gehen. Besteht da jetzt nicht die Gefahr, dass statt Pflegeheim nun direkt der Friedhof gewählt wird – auch aus finanziellen Gründen?

Für derartige Entwicklungen gibt es natürlich noch keine Belege. Aber es schließt an das gerade Gesagte an. Wird die Sterbehilfe zur Option, so würde der innerliche wie äußerliche (Rechtfertigungs-)Druck auf Menschen in besonders vulnerablen Situationen erhöht. Es ließe sich fragen, warum sie diese Option nicht wahrnehmen oder nicht zumindest bedenken, damit sie zum Beispiel Angehörigen nicht zur Last fallen. Derartige Dammbrüche sind daher immer im Blick zu halten.

Welche Rolle kann dieser Druck – zum Beispiel von den eigenen Angehörigen oder auch von der Gesellschaft – für die Entscheidung zur Sterbehilfe spielen?

Dieser implizite oder explizite Druck kann den „vermeintlich“ autonom geäußerten Sterbewunsch als ein eben sehr vielschichtiges, variables und inkonstantes Phänomen erheblich beeinflussen. Denn familiäre und soziale Bedingungsfaktoren nehmen erheblichen Einfluss auf unsere individuellen Entscheidungen, die dann oftmals gar nicht mehr so radikal selbstbestimmt sind, wie die Befürworter von Sterbehilfe gern postulieren. Sicherlich gibt es aber Menschen, die aufgrund von Krankheit, Leid oder Alter sich auch ohne irgendwelchen Druck frei für eine Form der Sterbehilfe entscheiden.

Kann Sterbehilfe nicht tatsächlich ein Akt der Barmherzigkeit sein, wie Landesbischof Meister sagt?

Persönlich kann ich dem so nicht folgen. Vielleicht verstehe ich etwas anderes unter Barmherzigkeit. Seinem Wortsinn nach meint Barmherzigkeit, sein Herz bei den Armen und Notleidenden zu haben, ja gar zu lassen. Es geht um erbarmende Liebe, zu der Jesus im Lukasevangelium 6,36 aufruft. Die Antwort auf diesen Ruf kann aber doch nicht Suizidbeihilfe als Hilfe zum Sterben sein, sondern nur Sterbebegleitung als Hilfe im Sterben wie es im Kontext der Palliativmedizin und Hospizarbeit praktiziert wird.

Was zählt für katholische Einrichtungen mehr: der persönliche Wille mit der Entscheidung, seinem Leben – eventuell auch mit Hilfestellung – ein Ende zu setzen oder das kategorische „Nein“ der katholischen Kirche zur Sterbehilfe?

Ich denke nicht, dass man beides, individuelle Selbstbestimmung und die ablehnende Haltung der Katholischen Kirche zur Sterbehilfe, gegeneinander ausspielen sollte. Denn es geht nicht darum, die Selbstbestimmung irgendwie einzuschränken oder in ihrer Bedeutung zu mindern als vielmehr darum, entschieden für das Leben und dessen absolute Würde einzutreten. Es geht nicht um ein „Nein“ gegenüber der menschlichen Selbstbestimmung, sondern um das „Ja“ zum Leben und zur Begleitung im Sterben. Darin zeigt sich, dass Selbstbestimmung nie absolut und grenzenlos ist.

Kann das „Nein“ zur Sterbehilfe einer kirchlichen Einrichtung nicht auch zu Wettbewerbsnachteilen führen oder lässt sie sich dieses „Nein“ auch als Marke einsetzen?

Die Positionierung für das Leben und gegen jede Form aktiver Sterbehilfe oder Suizidbeihilfe scheint mir den Wesenskern kirchlicher Einrichtungen zu kennzeichnen. Diese Klarheit und Entschiedenheit zeugt nicht nur von Transparenz, sondern ist gegebenenfalls auch attraktiv, auf jeden Fall aber authentisch und wichtig.

Interview: Edmund Deppe

Alexander Merkl, geboren 1987, ist promovierter Moraltheologe und arbeitet als Juniorprofessor am Institut für Katholische Theologie der Universität Hildesheim.