Demenzkranke Haustiere
Teddy mag nicht mehr knuddeln
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Er lädt direkt zum Knuddeln ein: Teddy ist ein kleiner, süßer Hund mit treuem Blick und goldbraunem Fell. Die Rasse ist vermutlich „Basset-Fauve de Bretagne“. „Vielleicht ist aber noch was anders drin“, sagt Halterin Anngret Neuwirth lächelnd, „genau wissen wir das nicht“. Denn ihre Tochter hat Teddy vor elf Jahren aus einem Tierheim in Frankreich mitgebracht. Inzwischen ist er über 15 Jahre alt – und nachts unruhig. Dazu kratzt er an Möbeln und weicht nicht aus, wenn Menschen auf ihn zugehen. Für das ungewöhnliche Verhalten hat Anngret Neuwirth nach einer langen medizinischen Odyssee eine Diagnose erhalten: Teddy leidet an Demenz.
Durch eine bessere medizinische Versorgung und Ernährung werden Haustiere immer älter, aber damit nehmen auch Krankheiten wie degenerative Erkrankungen des Nervensystems zu. „Jeder dritte Hund im Alter von zwölf Jahren und jeder zweite Hund im Alter von 15 Jahren ist von kognitiver Dysfunktion betroffen“, sagt die Tierärztin Nina Meyerhoff. Sie arbeitet an der Klinik für Kleintiere an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Dort gibt es seit drei Jahren eine spezielle Sprechstunde für die Halterinnen und Halter von älteren Haustieren, bei denen der Verdacht auf Demenz besteht.
Dabei ist eine Demenz bei Hunden nicht leicht zu diagnostizieren. Hinter Verhaltensänderungen könnten auch erkrankte Organe wie Leber, Herz oder Harnwege stecken, sagt Meyerhoff: „Letztlich müssen Faktoren wie körperliche Gesundheit, Verhalten, kognitive Fähigkeiten und Gedächtnisleistung berücksichtigt werden, um eine Diagnose zu erstellen.“ Es wird zum Beispiel getestet, ob ein Hund das Futter im Raum noch finden kann. Im Gespräch mit den Haltern wird mit einem Fragebogen der Verlauf der Erkrankung geklärt. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns soll Tumore oder Entzündungen ausschließen und kann auf eine kognitive Dysfunktion hinweisen, wenn bestimmte Gehirnareale geschrumpft sind. Bei Teddy wurden diese degenerativen Gehirnveränderungen per MRT festgestellt: Anngret Neuwirth suchte verschiedene Tierärzte auf, Medikamente gegen Depression oder zur Beruhigung brachten keinen Fortschritt.
In der Tierärztlichen Hochschule ist dann ein Behandlungskonzept entwickelt worden. Dazu gehören Medikamente, Lasertherapie, angepasstes Futter, um die Gehirndurchblutung zu verbessern, und auch Physiotherapie wie das Stehen auf einem Wackelbrett. „Wie beim Menschen lässt sich Demenz auch bei Hunden nicht heilen, aber man kann die Symptome lindern und den Verlauf verlangsamen“, erläutert Meyerhoff.
Beruhigung mit Meeresrauschen
Auch Tierärztin Svenja Joswig hat sich auf Geriatrie bei Tieren spezialisiert. Sie weiß aus den Erfahrungen in ihrer Praxis im niedersächsischen Hankensbüttel, wie vielfältig sich das Verhalten von Hunden ändern kann, wenn sie an Demenz leiden. Neben einem gestörten Schlaf-Wach-Zyklus wie bei Teddy sind manche Hunde plötzlich nicht mehr stubenrein oder erkennen bestimmte Personen nicht mehr. „Erkrankte Hunde wollen auch häufig nicht mehr so oft gestreichelt werden oder haben kein Interesse an Ballspielen“, erläutert die Tierärztin. Das hat auch Anngret Neuwirth erlebt: „Früher konnte man mit Teddy sehr viel knuddeln“, erzählt sie. Heute lasse er sich zwar noch streicheln, aber vermeide engen Kontakt, möge sich nicht festhalten oder hochheben lassen.
Für Frauchen und Herrchen von dementen Hunden wird der Alltag schwieriger, denn die erkrankten Tiere brauchen eine besondere Pflege: „Der Tagesablauf sollte regelmäßig sein, damit sich die Tiere besser orientieren“, erläutert Svenja Joswig. Bei Spaziergängen sollte der Hund an der Leine geführt werden, damit er sich nicht verirrt. In der Wohnung muss darauf geachtet werden, dass nicht zu viele Kabel im Weg liegen – für demente Hunde sind das Stolperfallen. „Auch eine bekannte Geräuschkulisse wie ein Radio kann beruhigend wirken und nachts das Einschlafen erleichtern“, sagt die Tierärztin.
Tatsächlich spielt auch Anngret Neuwirth ihrem Teddy schon mal vom Handy Beruhigungs-Apps mit Meeresrauschen vor, damit er besser einschläft. Dass das Leben mit dem erkrankten Hund zu einer großen Herausforderung geworden ist, bestätigt sie: Teddy kann nicht mehr alleine sein. Auch wenn der Hund oft langsamer und labil wirke, komme es doch vor, dass er plötzlich wieder Kraft habe und mit hoher Geschwindigkeit durch die Wohnung stürme. Neuwirth: „Inzwischen können wir mit der Krankheit gut umgehen und freuen uns über jeden Tag, den Teddy bei uns ist.“
Michael Ruffert (epd)