Kirchliche Trauerarbeit

Theologische Floskeln helfen nicht weiter

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Trauerarbeit geht nur persönlich. Mit dieser Haltung begleitet der Osterbrocker Diakon Ansgar Maul trauernde Menschen: in Gemeinden, im Krankenhaus und als Notfallseelsorger.


Die Trauer um einen geliebten Menschen begleitet uns lange. Wenn der Weg zu schwer wird, hilft auch die Kirche. Foto istockphoto/Contributor

Trauergespräche und Trauerbegleitung sind seit vielen Jahren Ihre Schwerpunkte. Was heißt das für Sie persönlich?

Persönlich ist dabei tatsächlich das wichtige Stichwort. Diese Aufgabe kann ich nur machen, wenn ich mich da komplett hineinbegebe: nicht allein kopfgesteuert, sondern mit Herz und Bauch. Ich muss mich an- und berühren lassen, sonst funktioniert kein Gespräch und keine Begleitung. Da reicht es eben nicht, irgendwelche theologischen Floskeln rauszuhauen oder einen Segen drüberzusetzen, und alles soll wieder gut sein. Das ist es eben nicht für Trauernde.

Sondern was wäre wichtig in dieser Situation?

Ich muss mich an dem Menschen gegenüber ausrichten. Er oder sie bestimmt die Richtung und das Tempo – nicht ich, nicht irgendwelche Regeln, nicht irgendein Programm. Ich will gar nicht der theologische Profi sein, sondern jemand, der zuhört, der die Hand reicht, mitgeht, auch mal mitweint oder mitlacht. Nur so geht das und nicht mit schönreden oder beschwichtigen. Eins muss uns Seelsorgerinnen und Seelsorgern klarer werden: Wir können es für die Angehörigen nicht leichter machen und wir können ihren Verlust nicht ausgleichen. Was wir aber machen können, ist hingehen, die Situation mit aushalten und einen Raum eröffnen, in dem alle Gefühle sein dürfen. Dieses Signal will ich setzen.

Und wie genau setzen Sie das?

Indem ich zum Beispiel für das Trauergespräch vor der Beerdigung Zeit mitbringe. Das geht nicht in einer halben Stunde, das dauert auch mal zwei Stunden. Ich versuche dabei die Verstorbenen wirklich kennenzulernen, lasse mir Fotos und die Trauerkarte zeigen, lasse mir von ihm oder ihr erzählen: was wichtig war oder welche Musik er oder sie gemocht hat. Ich muss also die Menschen an ihrer Biografie treffen, denn sie waren und bleiben etwas Besonderes. Nur so kann ich auch eine persönliche Trauerpredigt füllen: nicht einfach nur mit Daten, sondern mit einem echten Bild. 

Gehen Sie später noch mal auf die Familien zu?

Das versuche ich, denn die Trauerpastoral darf nicht mit der Beerdigung oder dem Sechs-Wochen-Amt vorbeisein. Das wäre keine echte Trauerpastoral. Aber Trauernde rufen nicht immer von sich aus automatisch noch mal an, dafür fehlt ihnen manchmal die Kraft. Wenn ich sie sehe, dann spreche ich sie schon an und frage, ob ich noch mal kommen soll. Es wäre wirklich ideal, wenn wir als Kirche das öfter machen würden: einfach von sich aus melden und nachfragen. Einer meiner Schwerpunkte in der neuen Pfarreiengemeinschaft Twist wird sein, Ehrenamtliche für solch eine breiter aufgestellte Trauerpastoral zu gewinnen, denn da gibt es tolle Leute.

Eins dürfen wir bei dem Thema aber nicht vergessen: Nicht jeder Trauernde braucht Hilfe. Hier im Emsland funktioniert das Miteinander in der Familie, mit Freunden oder Nachbarn noch gut. Wenn zum Beispiel eine Clique es schafft, diese Situation mitzutragen und mitauszuhalten, dann gibt es nichts Besseres. 


Ansgar Maul (53) arbeitet als hauptamtlicher
Diakon in der Pfarreiengemeinschaft Twist. Foto: privat

Sie begleiten auch Menschen über einen längeren Zeitraum. Ist es da ähnlich?

Das ist ein Unterschied zu dem Trauergespräch vor der Bestattung. Falls Angehörige, Freunde oder Nachbarn spüren, da braucht jemand Hilfe, dürfen sie immer gerne meine Telefonnummer weitergeben. Aber anrufen oder mir eine WhatsApp schicken, muss der Trauernde selber, denn das ist der erste Schritt, dass er oder sie das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Wir vereinbaren erst mal ein Kennenlern-Treffen, wobei ich am Ende sage: „Wenn ich Ihnen guttut, dann melden Sie sich wieder.“ 

Wie geht es dann weiter?

Ich mache bei dieser langfristigen Trauerbegleitung verschiedene Angebote, die mein Gegenüber in aller Freiheit annehmen kann, aber nicht muss. Dazu gehören zum Beispiel ein Bild zu malen, ein Tagebuch zu führen oder bestimmte Atemtechniken zu üben. Manchmal telefonieren wir lange oder ich fahre mit dem Trauernden in die Niederlande nach Ootmarsum ins Atelier von Ton Schulten. Dort schauen wir uns seine Bilder von Licht und Dunkel an, denn dazwischen bewegen wir uns im Leben. Wichtig ist immer, Empathie mitzubringen, den Menschen ernst zu nehmen und nicht einfach ein Programm abzuarbeiten. 

Was macht diese Arbeit mit Ihnen selbst?

Natürlich kostet diese Arbeit Kraft – gerade, was ich in den vergangenen Jahren im Krankenhaus oder als Notfallseelsorger erlebt habe. Das steckt man nicht immer so einfach weg, denn das hat auch mit der eigenen Person und der eigenen Sterblichkeit zu tun. 
Es gibt Tage, da kommt man selbst ins Zweifeln und da möchte man am liebsten das Kreuz in die Ecke pfeffern. Das muss man dann aber aushalten. 

Was hilft Ihnen dabei?

Das Gefühl, dass ich diesen Weg nicht allein gehe, sondern dass Gott ihn mit mir geht. Ich habe ein kleines Kreuz dabei, dass ich dann ganz fest in meiner Hand drücke. Und oft denke ich nach einem Gespräch: Mensch Ansgar, da warst du nicht allein, da ist dir durch diese Beziehung zu Gott ein guter Gedanke gekommen. Für mich ist die Aufgabe, Menschen an solchen Lebenswenden begleiten und ihnen nahe sein zu dürfen, ein wirkliches Geschenk. 

Interview: Petra Diek-Münchow

Weitere Artikel über Angebote der katholischen Kirche für Trauernde lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Kirchenboten.