Was hält Menschen in der Kirche?

Trotzdem dabei!

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Nur Hohn und Spott bringt Jeremia der Auftrag, das Wort Gottes zu verkünden. Eigentlich würde er es lieber bleiben lassen, aber er kann nicht – irgendetwas treibt ihn weiter. Diese Situation kennen auch engagierte Katholiken. 

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Trotz allem in der Kirche engagiert: Christoph Geffert

Von Susanne Haverkamp

Nein, ausdrücklichen Hohn und Spott erntet Christoph Geffert nur selten. „Aber wenn man in die Gesichter von Leuten schaut, kann man manchmal schon so etwas in der Art sehen.“ Geffert ist einer der Engagierten: Pfarrgemeinderat, Katholikenrat, Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Und bis zum Beginn des Ruhestands Ende Januar Lehrer für Religion und Geschichte am Gymnasium Oesede bei Osnabrück. Hier musste er sich vor allem mit Schülern und Kollegen auseinandersetzen. „Je mehr man als Person geachtet ist, desto weniger kommt es zu Spott und Hohn“, sagt er. „Aber das Unverständnis, warum man bei der Kirche mitmacht, ist schon groß.“ Oder auch die, wie er sagt, „freundliche Nichtbeachtung“.

Und noch eine Parallele sieht Geffert zwischen der Zeit des Jeremia und heute. „Die Könige Judas versuchten ihren Staat durch eigene Anstregnungen zu retten, durch diplomatisches Lavieren zwischen dem babylonischen Großkönig und dem ägyptischen Pharao.“ Natürlich mussten sie dabei auch religiöse Kompromisse eingehen. „Die Götter der anderen mussten respektiert, auch ihnen Rauchopfer dargebracht werden.“ Dadurch hätten die religiösen Führer die Karre selbst vor die Wand gefahren.

Durch eigene Schuld demontiert

Und so ähnlich sei es heute. „Die Kirche ist auch gerade dabei, sich durch eigene Schuld zu demontieren“, sagt Geffert. „Sie ist nicht in der Lage, den Anforderungen der modernen Gesellschaft gerecht zu werden.“ Warum sich also weiter engagieren? „Jeremia ist bei aller irdischen Erfolglosigkeit unverbesserlicher Optimist“, sagt Christoph Geffert. „Er hat keine Angst, weil er sich von Gott getragen weiß.“ Getragen, aber auch angetrieben. „Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so brannte in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es auszuhalten, vermochte es aber nicht.“ So heißt es bei Jeremia. Kann sich Geffert in diesen Worten wiederfinden? „Naja“, sagt er, „ganz so heftig würde ich es nicht formulieren“. 

Aber irgendetwas muss es doch sein, was ihn antreibt weiterzumachen trotz aller Kritik an der Kirche. „In der Schule“, sagt Geffert, „haben mich Schüler manchmal gefragt, ob ich Reli nur unterrichte, weil ich damit Geld verdiene. Aber tatsächlich war mein Antrieb immer zu erleben, dass ab und zu mal was klappt.“ Da ist die Schülerin, die sich nach ihrem Abi dafür bedankt, dass ihr Lehrer sie zum Nachdenken gebracht hat. „Und das hatte nichts mit Zensuren zu tun.“ Da sind die Gespräche über Leben und Tod, über Gut und Böse, die einfach entstehen und über den trockenen Lehrplan hinaus gehen. „Die Schülerinnen und Schüler suchen Leute, die persönlich Position beziehen und von eigenen Erfahrungen reden“, sagt Geffert.
So ein Lehrer zu sein und ab und zu wirklich weiterhelfen zu können, das sei sein Antrieb gewesen – und man merkt ihm an, dass er jetzt im noch ziemlich frischen Ruhestand zwar nicht die Schule, aber doch die Schülerinnen und Schüler vermisst.

Und wie sieht es mit den Ehrenämtern aus, mit Pfarrgemeinderat, Katholikenrat und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken? „Was mich in diesen Gremien hält“, sagt Christoph Geffert, „ist, dass ich selber davon profitiere.“ Manchmal gebe es kluge Vorträge und anregende geistliche Impulse. „Und es gibt interessante Leute und gute Gespräche am Rande“, sagt er. „Die offiziellen Stellungnahmen und politischen Verlautbarungen halten mich eher nicht.“

Was ihn noch hält, und da trifft er sich dann doch mit Jeremia, ist die Überzeugung, dass die Welt die Botschaft von Gott braucht. Und die Botschaft, dass wir Menschen Grenzen haben. „Jeremia sagt: ‚Du hast mich betört und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt‘. Ihm waren die Grenzen seines eigenen Tuns klar. Ihm war klar, dass er nur ein Prophet ist und nicht seine eigene Botschaft verkündet.“ Heute hingegen seien die eigenen Grenzen oft nicht klar. „Dem Menschen ist es nicht gegeben, alle Probleme dieser Welt, die selbstgeschaffenen und die vom Schicksal auf uns zukommenden, zu lösen“, sagt Geffert und nennt die Flüchtlingskrise, den Klimawandel und Corona. 

Diese menschlichen Grenzen, „die wir nur allzu gerne vergessen, aber die dann doch unerwartet wieder auftauchen“, machen Angst, sagt Geffert, eine Angst, die nur der Glaube nehmen könne. „Jeremia sagt: ‚Der Herr steht mir bei wie ein gewaltiger Held‘. Diese Botschaft brauchen wir auch heute.“ Nicht, um Verantwortung abzuschieben und die Hoffnung ins Jenseits zu entrücken, sondern „um ohne menschliche Hybris wenigstens die Probleme sinnvoll anzugehen, die wir Menschen zu lösen in der Lage sind“.

Was hält uns in der Kirche?

Es ist erstaunlich, wie gut der mehr als 2500 Jahre alte Zweifel des Propheten Jeremia in unsere Zeit passt. Als kürzlich die römische Instruktion zur Leitung von Pfarreien herauskam, befürchteten mehrere Bischöfe, dass solch ein Text die Engagierten noch weiter demotivieren würden. Denn heute reicht es nicht mehr, aus Gewohnheit dabeizubleiben, aus Pflichtgefühl oder weil man es eben so gelernt hat. Um trotz allem dabeizubleiben braucht es heute bessere Gründe, die man vor sich selbst und vor anderen vertreten kann. Vielleicht einer von diesen:

» Ich bleibe dabei, weil die Welt die Botschaft von Gott braucht. Weil ich mithelfen will, die Hoffnung und die Kraft, die vom Glauben ausgeht, weiterzugeben: an Kinder und Jugendliche, an Suchende und Zweifelnde, an Einsame und Verlorene.

» Ich bleibe dabei, weil es mir selbst etwas bringt: Gemeinschaft und Freude, Impulse und Anregungen, Ruhe und Kraft, Sinn und Erfüllung, Hilfe auf der Suche nach Gott. Und das lasse ich mir nicht nehmen.

» Ich bleibe dabei, weil mich etwas antreibt, nennen wir es den Geist. Weil mein Herz, das sagt: „Mach es!“ lauter ist als mein Kopf, der sagt: „Lass es!“ Weil Gott mich betört und im Herzen ein Feuer brennt. Wie bei Jeremia.

Und warum bleiben Sie dabei?