Pflege der Eltern
Über Wünsche im Alter sprechen
Foto: Viktor Schwabenland/pixelio.de
Erst einmal muss sie die Wogen glätten. Wer zu Maria Cloppenburg kommt, ist aufgeregt, hat gefühlt tausend Fragen und findet manchmal vor Sorge nicht mehr in den Schlaf. Wie vor kurzem eine Kollegin. Die vertraute ihr an, dass ihre Mutter an einer beginnenden Demenz leidet. Am liebsten würde sie sie zu sich nach Bremen holen. Aber den Lebensgefährten der Mutter in Berlin zurücklassen? Irgendwie keine Option. Was also tun?
Cloppenburg schlug vor, zunächst einen Pflegestützpunkt in der Nähe zu kontaktieren, einen Pflegegrad zu beantragen und eventuell auch einen Hausnotruf. „Vor einem Umzug der Mutter nach Bremen habe ich ihr geraten, unbedingt auch mit den Kindern des Lebensgefährten zu sprechen.“ Sind die einverstanden, wäre es denkbar, die Mutter auf einer Pflegestation unterzubringen und den Partner im Service-Wohnen. „So könnte sich das Paar besuchen.“
Zuhören, Tipps geben, Ordnung ins Chaos bringen – Pflegelotsen sind Erstkontakte für Berufstätige, die plötzlich Job und Pflege in Einklang bringen müssen. Sie lernen die wichtigsten gesetzlichen Regelungen und Anlaufstellen vor Ort kennen und können so ihre Kolleginnen und Kollegen unterstützen. Eine große Hilfe für pflegende Angehörige – und langfristig ein Gewinn für Unternehmen. Ihren Ausbildungskurs, sagt Maria Cloppenburg, habe sie zum Beispiel mit angehenden Pflegelotsen aus Bäckereien, dem Alfred-Wegner-Institut (Polar- und Meeresforschung) und einer großen Wohnungsbaugesellschaft absolviert.
Sie selbst ist jetzt Ansprechpartnerin für rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bremer Caritas. Seit 2010 leitet sie dort den Bereich Service-Wohnen, vermittelt Wohnungen und begleitet die Mieter im Caritas-Stadtteilzentrum St. Michael und in St. Franziskus.
Häusliche Pflege ist körperlich und emotional anstrengend, kostet Zeit und Nerven. Viele zerreißen sich förmlich in der Sorge um die alternden Eltern – die wiederum ihren gesundheitlichen Zustand oft verharmlosen, um ihre erwachsenen Kinder, die hunderte Kilometer entfernt leben, nicht zu beunruhigen. Und auch wer vor Ort geblieben ist, den hindern manchmal Beruf und Kindererziehung daran, sich den eigenen Eltern zu widmen. Die stationäre Pflege, das erlebt auch Maria Cloppenburg, ist die letzte Alternative. Die Eltern ins Heim zu geben, empfinden viele als Scheitern. Ganz abgesehen von den steigenden Kosten.
Töchtern und Söhnen bleibt also nichts anderes übrig, als ihr Leben neu zu sortieren, wenn sie sich nicht als Pflegekoordinatoren aus der Ferne betätigen wollen. Sie nehmen die Eltern zu sich nach Hause, treten im Beruf kürzer oder geben ihn ganz auf. Die Familie ist der größte Pflegedienst der Nation.
Irgendwann liegt man schlaflos im Bett und denkt: Ich schaff' das alles nicht mehr.
Was auf sie zukommt, ahnen die wenigsten. Fast alle blenden diesen Teil des Lebens aus. Auf einmal muss man sich Fähigkeiten aneignen, die bis dahin fremd waren. Wer weiß schon, wie man Kompressionsstrümpfe überstreift oder eine Insulinspritze setzt? Und es entwickeln sich auf beiden Seiten Gefühle in ungeahnter Intensität: Angst und Wut, Scham, Schuld, Stress, Erschöpfung und Einsamkeit. „Viele merken nicht, dass sie an ihre Grenzen geraten, weil sie ständig damit beschäftigt sind, alles am Laufen zu halten“, sagt Maria Cloppenburg.
Es entlastet Pflegende deshalb ungemein, wenn sie eine Kollegin oder ein Kollege durch das Wirrwarr an finanziellen Hilfen, Beratungsangeboten und flexiblen Arbeitszeitmodellen lotst. „Viele wissen zum Beispiel nicht, dass sie in einer akuten Pflegesituation eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung beantragen können“, sagt Cloppenburg. Das heißt: Um die Pflege eines nahen Angehörigen zu organisieren, besteht das Recht, bis zu zehn Tage der Arbeit fernzubleiben – mit Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatzleistung. Ein Nachweis durch den Arzt genügt. Und Pflegelotsen informieren auch, unter welchen Bedingungen man für längere Pflegezeiten freigestellt werden kann.
Gebrechlich werden – das sei oft ein schleichender Prozess, erklärt Maria Cloppenburg. Auf den täglichen Anruf zu Hause, ob alles in Ordnung ist, folgt die Hilfe beim Einkaufen oder das Begleiten beim Arztbesuch. „Und irgendwann liegt man schlaflos im Bett und denkt: Ich schaff‘ das alles nicht mehr.“ Maria Cloppenburg erlebt immer häufiger, dass pflegebedürftige Eltern zu ihren Kindern ziehen – mehr oder weniger freiwillig. Vor allem, wenn sie ländlich wohnen und immer einsamer werden, weil soziale Strukturen wegbrechen.
Ideal wäre es, sagt Cloppenburg, wenn sich die Familie schon frühzeitig zusammensetzt und bespricht, was sich die Eltern im Alter wünschen, was im Pflegefall passieren soll und was die erwachsenen Kinder leisten können. „So entstehen keine falschen Hoffnungen. Oft ist es ja so, dass Eltern Ansprüche an ihre Kinder haben, sie aber nicht artikulieren, weil sie denken, das geht schon irgendwie.“
Betriebliche Pflegelotsen sind Vertrauenspersonen, die schnell und unkompliziert Beistand leisten und Orientierung geben können. Arbeitgeber, die Pflegelotsen einsetzen, machen sichtbar, dass neben Eltern mit Kindern auch pflegende Angehörige einen enorm wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten.