Schloss Henneckenrode und ihre Schlosskirche

Von Voluten und Bossensteinen

Image

Gotik, Romantik, Barock – fast überall in Europa finden wir diese Baustile. Eine Besonderheit im Norden ist die Weserrenaissance. Baumeister entwickelten sie im 16. Jahrhundert, einer Zeit der Aufbrüche und Übergänge. Ein besonderes Kleinod steht in der Gemeinde Holle bei Hildesheim: Schloss Henneckenrode mit seiner angeschlossenen Kapelle


Ein typisches Beispiel der Weserrenaissance ist Schloss
Henneckenrode bei Hildesheim, erbaut im 16. Jahrhundert.
Die verzierten Giebel sind prägend für den Baustil des
Nordens.

Ein malerischer Ort, umgeben von Fel­dern und sanften Hügeln. Wer Ruhe und Abgeschiedenheit sucht, findet sie hier – im Ortsteil Henneckenrode der Gemeinde Holle im Landkreis Hildesheim. Die repräsentative Schlossanlage und der Wirtschaftshof liegen hinter einem mächtigen Torbogen. „Den Schlüssel zum Schloss findet man in der Kirche“, zitiert die junge Architektin Lea Chantal Mägerle den Gemeindepfarrer Stefan Lampe. Bereits im Mittelalter gab es in Henneckenrode eine Kapelle. Nach der Reformation wurde dort 1597 die schlichte Saalkirche im Stil der Weserrenaissance errichtet, ein Bau auf rechteckigem Grundriss, nur wenige Schritte vom Schloss entfernt. Das Stifter-Wappen mit der Saldernschen Rose über dem Kirchenportal erinnert an den Bauherrn Burchard von Saldern. Dessen Vater hatte um 1580 mit dem Bau der Schloss­anlage begonnen, die einige Jahre später einem Brand zum Opfer fiel, danach barockisiert und erweitert wurde.

Zwerchhäuser und verzierte Giebel

„Wir finden hier viele typische Merkmale der Weserrenaissance“ erläutert Mägerle. In ihrer Masterarbeit hat sie den Schlossbau Schicht für Schicht vermessen, die unterschiedlichen Bauphasen umfassend dokumentiert und stilis­tisch eingeordnet. „Das Schloss besitzt fünf der für die Epoche stilbildenden sogenannten Zwerchhäuser an der West- und der Ostfassade. So nennt man die beiden oberen, mit Werksteinfassungen ummauerten Fenster und die mit Voluten, Obelisken und grob behauenen Bossensteinen verzierten Giebel.“ Der Begriff Zwerch steht hier für quer, gemeint ist das Gliederungsprinzip der Fassade. Auch die Schlosskirche hatte ursprünglich wohl einen solchen typischen reich verzierten Renaissancegiebel. Doch der wurde abgetragen, als die Kirche Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem Turm ausgestattet wurde. Aus der Erbauungszeit stammen das mit gemusterten Quadern verzierte runde Kirchenportal sowie die Laibungen der Fenster. Das reich verzierte Taufbecken im Kirchenschiff entstand wohl ebenfalls im späten 16. Jahrhundert, der bedeutende gotische Schnitzaltar von 1530 hingegen ist etwa ein halbes Jahrhundert älter. Bis heute werden in der Schlosskirche St. Joseph gelegentlich Gottesdienste gefeiert.

Das 16. Jahrhundert war eine Zeit der Aufbrüche und Übergänge. Mit der Entdeckung der Neuen Welt, mit wachsenden Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, mit Wettbewerb und Warenströmen, mit der Medienrevolution durch die Erfindung des Buchdrucks setzte ein enormer Modernisierungsschub ein. Mit Gelehrten wie Thomas Morus oder Erasmus von Rotterdam, die sich mit Glaubensfragen beschäftigten und Kritik an der klerikalen Erstarrung der alten Kirchen übten, mit dem Augustinermönch und Theologen Martin Luther, der die Reformation angestoßen hat, veränderte sich auch das religiöse Selbstverständnis. Die Menschen wurden selbstbewusster. In den Wissenschaften und in der Kunst entdeckten sie die Schriften und das Ideal der Antike wieder – auch beim Kirchenbau. „Vernunft und Geometrie bestimmen die neue Architektur. Klare, klassische Proportionen, vergleichsweise schlichte Formen, zum Beispiel der Halbkreis für Bogenformen und horizontale Steinbänder (Gesimse) betonen die Gestaltung. Alles scheint nach den neuen Gesetzen der Perspektive und ihren sich verkürzenden Proportionen in einem Fluchtpunkt zusammenzulaufen“, schreiben die Religionspädagogen Margarete Luise Goecke-Seischab und Frieder Harz in ihrem „Kirchenatlas“.
 


Blick in die Schlosskirche von Henneckenrode. Noch
immer ein Ort für Gottesdienste.

Der neue Baustil setzte sich von Italien aus in ganz Europa durch. Doch kaum sonst gibt es so viele Renaissancebauten wie im Einzugsgebiet der Weser mit ihren rund 450 Kilometern Länge. Ein Strom, der die hiesige Wirtschaft ankurbelte. Das Baumaterial kam meist aus den Steinbrüchen in Obernkirchen und wurde von dort aus auf der Weser verschifft und teils sogar in Übersee verbaut. Auch das Rathaus zu Antwerpen beispielsweise wurde Mitte des 16. Jahrhunderts aus Obernkirchner Sandstein errichtet, die Weserrenaissance wurde für die Zeit um 1500 bis zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618 stilprägend. Zwischen Osnabrück, Wolfsburg und Hann. Münden konnte sich eine wichtige Kulturregion entwickeln. Es gab einen regelrechten Bauboom, nicht nur der Adel, auch das Bürgertum begeisterte sich für den repräsentativen Baustil. Neben Schlössern und Kirchen wurden auch neue Rathäuser und Schulen in dieser Art gebaut. Zu den bekanntesten Bauwerken der Weserrenaissance in der Umgebung gehören das Rattenfängerhaus und das Hochzeitshaus in Hameln.

Herrschaftlicher Sitz als Waisenhaus

Das Schloss auf dem ehemaligen Rittergut Henneckenrode durchlief, anders als die  Schlosskirche, mehrere Bauphasen. Im 18. Jahrhundert wurde die großzügige Dreiflügelanlage errichtet, die bis heute erhalten geblieben ist. 1820 kaufte der Landrentmeister Friedrich Blum die Schlossanlage und verfügte in seinem Testament, dort ein Waisenhaus einzurichten. Dadurch ergaben sich im Innern enorme räumliche Veränderungen. Hinter dem Schloss erstreckt sich eine weitläufige Gartenanlage, die in Teilen denkmalpflegerisch rekonstruiert worden ist.

2011 wurde auch die Außenfassade des Schlossbaues saniert. Bis 2017 betrieb der Caritasverband hier ein Kinder- und Jugendheim, seitdem steht das Schlossgebäude leer. Die „Blumsche Waisenhausstiftung“, die vom Bischöflichen Generalvikariat verwaltet wird, hatte zunächst die Absicht, sich von großen Teilen des Gutes zu trennen, das Vorhaben wurde jedoch aufgegeben. Inzwischen sucht das Bistum nach einer geeigneten Nachnutzung des denkmalgeschützten Schlosses. Vorstellbar wäre eine nachhaltige, gemeinwohlorientiere Wohn- und Lebensform, bei der auch die kleine Ortsgemeinde eingebunden ist. Es gibt mittlerweile Überlegungen und erste Gespräche über ein mögliches alternatives Wohnprojekt – in neuer Nachbarschaft zur historischen Schlosskirche im Stil der Weserrenaissance.

Informationen zu den Gottesdiensten und Öffnungszeiten der Schlosskirche
St. Joseph in Henneckenrode unter www.wohldenberg.de.

Karin Dzionara

 

Stilelemente

Daran erkennen Sie eine Kirche im Stil der Weserrenaissance:

  • Hohe Dreiecks-Giebel
  • Verzierte Säulenkapitelle
  • Schlichte Portale und Fenster
  • Fächerrosetten als Schmuck