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War Judas ein Verräter oder Werkzeug Gottes?

War Judas Verräter oder Werkzeug Gottes? R. G., 56075 Koblenz

Judas ist nicht nur einer der zwölf Apostel, er war in allen Evangelien auch der, der die Auslieferung Jesu an den Hohen Rat und die Römer ermöglichte. Schon das Lukas-
evangelium bezeichnet ihn deshalb als Verräter, dessen schlechter Ruf im Laufe der Jahrhunderte so weit ausgebaut wurde, dass bis heute Judas in Deutschland ein Vorname ist, der von Standesämtern abgelehnt wird.

Dabei zeichnen schon die Evangelien selbst ein unterschiedliches Bild von Judas. Erwähnt das Johannesevangelium, dass Judas gierig war, Geld aus der Apostelkasse veruntreute (Joh 12,4–6) und Jesus für Geld verriet, so ergreift in Lukas 22,3 der Satan selbst Besitz von Judas, während Matthäus Judas als reuigen Sünder sieht. Alle Evangelien aber sehen ihn auch als Werkzeug Gottes, da es zum Plan der göttlichen Erlösung gehört, dass Judas Jesus ausliefert (Mk 14,20f; Joh 17,12).

Das führt zu der Frage: Hat Judas überhaupt schlecht gehandelt, als er Jesus verriet, oder musste es nicht genau so sein? Und wäre es dann noch sein freier Wille gewesen? So stellt zum Beispiel der frühchristliche Theologe Origenes Judas als Heiligen dar, da er die Erlösung der Menschen durch den Tod Jesu mit ermöglichte. Andere Kirchenväter wie Irenäus aber verstärken das negative Image des Judas als eines für die Ewigkeit verworfenen Verräters. Durch das ganze Mittelalter hindurch fand diese Ansicht einen enormen Widerhall bis hin zu Martin Luther, der Judas häufig als Schimpfwort für Habgierige, Häretiker und persönliche Feinde wie auch das ganze jüdische Volk nahm.

Seit der Aufklärung aber häufen sich auch deutlich nuanciertere Deutungen der Judasgestalt. So kann er im 20. Jahrhundert sogar zu einer nur allzu menschlichen Person werden, wenn sich in seinem Schicksal die vielen Sünden der Christen als ein ständiger Verrat an Jesus spiegeln, wie der Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti schrieb: „ach, was war / dein einer verrat / gegen die vielen / der christen der kirchen / die dich verfluchen“. In diesem Sinne lässt sich nur hoffen, dass Gott sich aller Sünden – auch der des Verrats an Jesus – erbarmt, solange diese bereut werden.

Von Christoph Buysch