Über den Schmerz, wenn Kinder nicht zur Kirche gehen

"Was haben wir falsch gemacht?"

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Junger Mann sieht unterwegs einen Wegweiser zur Kirche
Nachweis

Foto: birdys/Photocase

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Da geht’s lang zur Kirche? Viele junge Menschen interessiert das wenig.

Viele Eltern und Großeltern schmerzt es sehr, dass ihre Kinder und Enkel kaum mehr zur Kirche gehen. Wie können die Alten damit leben? Wie können sie den Jungen Vorbilder sein und den Glauben vielleicht doch weitergeben? Antworten von Dominik Blum, Theologe, Buchautor und vierfacher Vater.

Was genau quält Menschen, wenn ihre Kinder und Enkel nicht mehr glauben?

Diese Menschen sagen: In unserer Generation waren die Kirchen noch voll und jetzt ist niemand mehr da. Was haben wir falsch gemacht?

Was raten Sie ihnen?

Ich rate ihnen, Verständnis aufzubringen für diese Generation, die die Kirche nicht mehr braucht. Und andere Leute zu fragen: Wie ist das in eurer Familie? Wer das macht, wird merken, dass er nicht allein ist mit diesem Problem. Am wichtigsten aber ist vielleicht zu beten: Gott, wie kann das sein? Warum bist du meinem Kind oder meinem Enkel nicht so wichtig?

Warum hilft das?

Es hilft, weil ich ja nicht für den Glauben meiner Kinder verantwortlich bin. Ich kann nur eine gute Umgebung dafür schaffen, dass er wächst. Verantwortlich für den Glauben der Menschen ist Gott, davon bin ich zutiefst überzeugt. Gott schenkt Glauben. Glauben ist Gnade. Und deshalb brauche ich mir auch keine Vorwürfe zu machen, wenn meine Kinder und Enkel nicht glauben. Das zu sehen, entlastet.

Und wenn Menschen denken, sie hätten keine gute Umgebung für den Glauben geschaffen?

Dann würde ich sagen: Sie können gar nicht allein dafür verantwortlich gewesen sein, ob es mit dem Glauben klappt. Denn es gibt so viele andere Einflussfaktoren: Erzieherinnen, Religionslehrer, Erstkommunionkatecheten, Priester. Spätestens wenn Jugendliche sich von ihrer Familie emanzipieren, können Eltern und Großeltern nichts mehr gegen diese anderen Einflussfaktoren ausrichten – egal wie gut oder schlecht sie es auch machen. Das ist wie im Gleichnis mit den Samenkörnern: Ob etwas Frucht bringt, das liegt nicht in unserer Hand.

Aber was, wenn die Leute sich dennoch Vorwürfe machen?

Selbstvorwürfe sind immer schlecht. Sie machen nur krank und traurig und ziehen runter. Wenn sie ihr Bestes gegeben haben, dann ist das genug. Der Rest liegt bei Gott.

Und wenn sie aus der Trauer über die ungläubigen Enkel einfach nicht herausfinden?

Dann frage ich oft: Was daran, dass Ihre Enkel glauben, ist Ihnen denn so wichtig? Warum glauben Sie, dass die das tun sollten? Was verpassen Ihre Enkel sonst, das Ihnen selbst guttut?

Was sagen die Leute dann?

Bei manchen werden die Antworten ziemlich dünn. Weil hinter ihrem Schmerz oft Gewohnheit, tief sitzende Verlustängste und ein schlechtes Gewissen stecken. Gedanken wie: Die Enkel sind doch nur gegen uns Großeltern. Sie tun etwas, was sich nicht gehört. Oder sogar: Wenn sie nicht glauben, wer weiß, ob sie dann gerettet werden! Andere geben bessere Antworten. Sie erzählen, was sie an ihrem eigenen Glauben als befreiend, als heilend, als aufrichtend empfinden. Wenn Menschen das bewusst ist, dann kann ich leichter mit ihnen darüber reden, warum sie wollen, dass ihre Kinder und Enkel den Glauben auch in ihrem Leben erfahren. Und diese Menschen können mit dem Thema auch besser umgehen.

Druck zu machen, bringt gar nichts, oder?

Nein. Je älter die Kinder werden, desto weniger bringt Druck. Aber das sehen viele nicht. Die Firmung zum Beispiel ist ja das Sakrament, das die Eigenständigkeit im Glauben markieren soll. Es ist ganz schlecht, einem Jugendlichen Druck zu machen, dass er sich firmen lassen soll – oder ihn mit 1000 Euro oder einem neuen Mofa zu locken. Entweder löst das eine Trotzreaktion aus. Oder es führt zu einer gekauften, oberflächlichen Entscheidung. Das ist doch nicht erstrebenswert.

Wie können die Alten die Jungen auch dann im christlichen Sinne stärken, wenn die das Beten und den Gottesdienst doof finden?

Zuallererst können sie stellvertretend für sie beten. Weil das eine ganz starke innere Überzeugung zum Ausdruck bringt: Dieses Kind bleibt mir wichtig, egal welche Wege es geht. Jesus hat die Menschen immer so angenommen, wie sie sind. Und er ist gerade auf die zugegangen, die von ihm eigentlich nichts wissen wollten. Er hat sie nicht verurteilt, sondern aufgerichtet und liebgehabt. Diese Haltung könnten Eltern und Großeltern sich als Vorbild nehmen. Ansonsten könnten sie, ganz einfach: gläubig weiterleben.

Was bewirkt das?

Wenn Großeltern wirklich gläubig leben, wird ihr Alltag ja ein bisschen anders sein als in Familien, in denen der Glaube keine Rolle spielt. Sie werden beten, zum Gottesdienst gehen und sich wahrscheinlich mit ihren Talenten für etwas Gutes engagieren – etwa in der Frauengemeinschaft, bei Kolping, in der Flüchtlingshilfe oder bei der Tafel. Das geht an Enkeln nicht spurlos vorüber. Die werden sich fragen: Warum machen Oma und Opa das? Und sie werden merken: Der Glaube macht einen Unterschied. Das wird ihnen im Gedächtnis bleiben – ob sie den Glauben für sich übernehmen oder nicht.

Interview: Andreas Lesch

Dominik Blum
Dominik Blum
Foto: privat

Dominik Blum (55) ist Theologe und Autor mehrerer Bücher über Glaube und Familie. Er hat mit seiner Frau vier erwachsene Kinder und arbeitet als Gemeindeleiter der Pfarreiengemeinschaft Artland im Bistum Osnabrück.