Missbrauchsstudie: Zahlen aus dem Bistum Osnabrück
Was muss jetzt daraus folgen?
Generalvikar Theo Paul räumt ein, dass auch im Bistum Osnabrück Fehler in Bezug auf den Umgang mit Missbrauchstätern gemacht wurden. Die Opfer seien völlig außer Acht gelassen worden. Der Generalvikar hat ein klares Ziel. Heute Abend stellt er sich zudem live Hörerfragen auf NDR Info.
Die katholische Kirche ist in schwerem Fahrwasser. Vor acht Jahren ist der über Jahrzehnte in ganz Deutschland vertuschte sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen bekannt geworden, viele Menschen haben sich seitdem von der Institution abgewendet. Jetzt stellen die Bistümer eine Studie vor, die konkrete Zahlen ans Tageslicht bringt. Generalvikar Theo Paul hat zur Pressekonferenz eingeladen, selten kommen so viele Journalisten wie heute. Er sei erschüttert über die bisher bekannten Ergebnisse der Studie, sagt er. „Aus heutiger Sicht sind auch im Bistum Osnabrück auf den verschiedenen Ebenen schwerwiegende Fehler gemacht worden“, fügt er hinzu und zählt auf: Missbrauchstäter seien in eine andere Gemeinde versetzt worden, in erster Linie sei es um das Ansehen der kirchlichen Institution gegangen, die Opfer seien völlig außer Acht gelassen worden.
Mitarbeiter des Bischöflichen Generalvikariats haben den Wissenschaftlern, die die Studie erstellt haben, zugearbeitet, haben in Akten nach möglichen Verdächtigen geforscht. Einer der Mitarbeiter war Stefan Schweer. „Wir haben alle Personalakten von Priestern gesichtet, die in den Jahren 2000 bis 2015 im Dienst waren“, sagt er dem Kirchenboten. Eine Personalakte wird in dem Moment angelegt, in dem sich der Mann als Priesteramtskandidat bewirbt. Alles, was von nun an von Belang ist, wird in der Akte hinterlegt. Immer, wenn Schweer Hinweise auf ungewöhnliche Vorgänge entdeckte, legte er einen Ermittlungsbogen an.
Wurde ein Geistlicher zum Beispiel ungewöhnlich häufig versetzt? Gab es Anzeichen darauf, dass er einmal eine Therapie gemacht hatte? Hatte es Beschwerdebriefe aus der Gemeinde an den Bischof gegeben? Gab es Auffälligkeiten bei der Lebensgestaltung? Manchmal stießen die Mitarbeiter auf Querverweise. Zum Beispiel, wenn unmittelbar vor einer Versetzung ein längerer Aufenthalt in einer Reha-Klinik hinterlegt war.
Neben Zufallsfunden hatte Schweer auch verschiedene Personen im Hinterkopf, die bereits einmal strafrechtlich belangt worden sind. Auf diese Weise sind 35 Beschuldigte ermittelt worden, die zum größten Teil schon verstorben sind, 68 Betroffene sind genannt. Wobei einer der schon in früheren Jahren ermittelten Täter allein 16 junge Menschen missbraucht hatte.
Sexueller Missbrauch kommt auch in anderen Umfeldern vor, und zum Beispiel in den 1950er Jahren wurde er auch anders bewertet. Doch es ist nicht die Zeit, die Taten der Priester zu relativieren, immerhin hat gerade die Kirche eine ausgesprochen hohe Meinung von sich – und legt die Messlatte an die eigenen Mitarbeiter zu Recht sehr hoch. Dem Generalvikar ist trotzdem dieser Hinweis wichtig: Vieles Verschleiern sei auch aus Unwissenheit und Unvermögen geschehen, „trotzdem ist es eine bittere Erkenntnis und Wahrheit, dass die Kinder und Jugendlichen Opfer von Verbrechen wurden“.
Die Kirche will von den Opfern lernen
Der Blick in die Vergangenheit offenbart Schreckliches. Stefan Schweer entdeckte Protokolle von Missbrauchstaten, die in einigen Fällen bereits von der Staatsanwaltschaft ermittelt worden waren. „Wenn ich das las, habe ich manchmal gedacht, dass das doch so nicht gewesen sein kann. Und dann kommt die Erkenntnis, dass es aber genau so war“, sagt er. Zum großen Teil lagen die Taten im Bereich unsittlicher Berührung, in einzelnen Fällen ging es aber auch bis zur vollendeten Vergewaltigung.
Der Generalvikar bleibt beim Blick in die Vergangenheit nicht stehen – obwohl er für das Bistum Osnabrück durchaus auf Veränderungen hinweisen kann. So gebe es seit dem Jahr 2010 verschiedene Maßnahmen, Missbrauchsfälle aufzuarbeiten, Hinweisen konsequent nachzugehen und die Prävenation stärker in den Blick zu nehmen. Gerät ein kirchlicher Mitarbeiter in Verdacht, wird der Fall zur Staatsanwaltschaft weitergereicht, um zur Aufklärung beizutragen. Das kann auch im Sinne eines Beschuldigten sein, wenn es sich zum Beispiel um einen unbegründeten Verdacht handelt.
Seit 2011 gibt es im Bistum einen Präventionsbeauftragten, der verpflichtende Studientage für die Mitarbeiter anbietet. Außerdem gibt es zwei unabhängige Ansprechpartner für Missbrauchsopfer – den früheren Präsidenten des Landgerichts und eine Frauenärztin. Bischof Franz-Josef Bode hat Wert darauf gelegt, selbst mit Opfern zu sprechen. Diese persönlichen Kontakte haben – das hat er in mehreren Gesprächen betont – seinen Blick auf die Opfer verändert. Nicht zuletzt war er es, der Ende 2010 in einem öffentlichen Bußakt im Dom um Verzeihung bat. Diese persönlichen Kontakte, so Generalvikar Paul jetzt in der Pressekonferenz, sollten weitergehen. „Wir wollen die Missbrauchsopfer aktiv, systematisch und – sofern sie dies möchten – langfristig begleiten.“
Der Generalvikar stellt klar, dass das Bistum weiter an dem Wechsel auf die Opferperspektive hinarbeiten werde. „Dies wird eine Herausforderung für Gemeinden, Schulen, Krankenhäuser, Altenheime, Sozialeinrichtungen und Verbände sein.“ Kritik an der Arbeit in kirchlichen Einrichtungen oder mit der Umgehensweise mit Gewalt wolle die Kirche als Hilfe ernst nehmen, sagt er. Anfang 2019 werden die Verantwortlichen des Bistums ein Gespräch führen mit der Leitung des Canisiuskollegs Berlin, wo 2010 der Missbrauch durch Ordensleute öffentlich gemacht wurde.
Und der Generalvikar formuliert ein klares Ziel: „Würden wir uns in zehn Jahren hier zum Thema Missbrauch treffen, dann möchten wir sagen: ,Wir haben als Institution von den Opfern und mit den Opfern gelernt. Wir sind transparenter und entschiedener geworden.‘“
Matthias Petersen
Zur Sache
35 Beschuldigte, 68 Betroffene
35 Beschuldigte und 68 Betroffene hat die Studie für das Bistum herausgefunden. Elf Beschuldigte ließen sich ermitteln, weil sich nach 2010 Opfer meldeten und einen Antrag auf Anerkennung des Leids stellten. Aus dem Aktenstudium ergaben sich neun Vorfälle, weitere 15 waren den Ermittlern bereits bekannt. 15 Anträgen auf Anerkennung des Leids wurde stattgegeben, in diesem Zusammenhang wurden 81 000 Euro gezahlt. (pe)
Live zum Thema Missbrauch
Generalvikar Theo Paul stellt sich heute Abend, Dienstag, 25. September, live den Fragen der Hörer auf NDR Info zum Thema Missbrauch. Die Sendung „Redezeit“ geht von 20.30 bis 22 Uhr. Domkapitular Ulrich Beckwermert spricht am Mittwoch, 26. September, die Morgenandacht im Deutschlandfunk zum gleichen Thema. Sendezeit: 6.35 Uhr.
Die Deutsche Bischofskonferenz schaltet ein persönliches Beratungtelefon für Opfer von sexualisierter Gewalt. Telefonnummer: 08 00/00 05 640, anonym und innerhalb Deutschlands kostenfrei im Mobil- und Festnetz, verfügbar zunächst bis Freitag, 28. September 2018. Der Anschluss ist täglich besetzt von 14 bis 20 Uhr – außerhalb dieser Zeiten rufen die Berater nach Wunsch zurück. Auch im Internet gibt es ein Beratungsangebot: www.hilfe-nach-missbrauch.de