Idole für Jugendliche

Was taugen die Helden auf Youtube?

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Idole hatten wir alle – aber solche? Die Influencer in den sozialen Netzwerken sind für Eltern manchmal schwer zu ertragen, weil sie oberflächlich und eitel daherkommen. Die Helden der Teenies sind wichtige Begleiter in der Jugendzeit, sie weiten den Horizont, aber verschwinden auch wieder.


Schwärmereien gehörten schon immer zum Selbständigwerden dazu. Foto: Michael Bönte

Da kann es Mutter und Vater schon mal schütteln: Der Blick auf die Tablets oder Smartphones ihrer Kinder offenbart nicht selten eine Fankultur, die früheren Generationen fremd ist. Nicht, dass die Teenager früher keine Idole hatten. Beatles, Madonna oder Take That haben die Jugendlichen seinerzeit auch hysterisch werden lassen. Fußballstars wie Diego Maradona oder David Beckham wurde auf den Bolzplätzen stundenlang nachgeeifert. Und Leinwandhelden wie ein Leonardo DiCaprio ließen ganze Generationen „dahinschmachten“.


Ein neuer Typ Star
Die klassischen Gruppen, in denen die Teen­ager seit Jahrzehnten ihre Idole finden, sind mittlerweile von neuen Typen eingeholt worden. Musiker, Sportler oder Schauspieler sind nicht mehr die Nummer eins bei den Jugendlichen, sondern Internetstars. 36 Prozent der Zehn- bis 18-Jährigen gaben in einer Studie des Digitalverbands Bitkom 2018 an, ihre Helden bei Youtube zu finden. Twitter, WhatsApp und Instagram sind vergleichbare Bühnen.

Influencer werden sie genannt und sind eine neue Gattung der Stars. Sie haben eine so große Präsenz im Internet, dass Teenager nicht um sie herumkommen. Die Jugendhelden von heute müssen nicht singen können, keine herausragenden sportlichen Leistungen vollbringen oder schauspielerisches Talent mitbringen. Sie sind in der Regel gutaussehend, reich und von Beruf Trendsetter. Diese Voraussetzungen reichen, um die Jugend zu begeistern und sie per Videos, Fotos und Kurznachrichten mehr oder weniger rund um die Uhr an ihrem Leben teilhaben zu lassen.


Ein Millionengeschäft
Eine junge Frau wie Dagi Bee schafft es, allein auf Youtube fast vier Millionen Abonnenten um sich zu scharen. Ihre Themen: Welche Frisur ist angesagt, wie mache ich mein Make-Up, welcher Bikini passt zu meinem Urlaub? Wahlweise wird auch um die Wette Wasser gegurgelt und „Wahrheit oder Pflicht“ gespielt. Das reicht mittlerweile, um einen Hype auszulösen. Mechanismus ist einfach: Wer mitreden möchte, muss mitgucken. Und so schafft sich die heutige Teeniegeneration ihre Idole selbst: Die Anhängerschaft wächst kontinuierlich. Und die Werbeindustrie hat ihre Chancen längst gewittert. Nicht wenige Influencer sind mittlerweile Millionäre.


Idole sind wichtig
Was wird aus meinem Kind, wenn es diesen Menschen nacheifert? „Die Irritation ist verständlich“, sagt die Psychologin Ilona Bürgel aus Dresden. „Aber eigentlich nicht nötig.“ Denn Fakt ist, dass Idole in der Jugendzeit wichtig sind. „Sie sind fester Bestandteil im Prozess des Umbruchs.“ Dass es dabei irrational, schwärmerisch und übersteigert zugehen kann, gehört dazu. Für die Eltern scheint es dann, als nähme der Verstand der Teen­ager eine Auszeit. Für ihre Kinder aber ist das Schwelgen in einer unerreichbaren, fast überirdischen Welt ein wichtiger Schritt. „Idole inspirieren, lassen träumen, weiten den Horizont.“

Und sie helfen bei der Emanzipation. Die Jugendlichen wollen weg von der Familie, hin zu Freunden. Sie wollen sich von ihrem kindlichen Leben abgrenzen, neue Bezugspersonen finden, andere Themenfelder besetzen. Das geschieht nicht nur beim Äußerlichen, auch der Kopf sucht diese Herausforderungen. Ein neues soziales System öffnet sich für sie: In der Begeisterung für eine unerreichbare Person können sie Geborgenheit, Akzeptanz und Orientierung in der Gruppe finden.


Auch Influencer vermitteln Werte
„Auch diese Idole vermitteln mehr als nur das Vordergründige“, sagt Bürgel. „Da ist nicht nur heiße Luft.“ Ihre Ideen, ihr Fleiß, ihre Fähigkeit zu organisieren, wird mittransportiert. Auch darin können die jungen Menschen ein Wertesystem finden. Es muss nicht immer gleich der Weltfrieden sein.

Zur Beruhigung der Eltern: Das diffuse Bild des reichen und schönen Alleskönners, der alles hat und alles darf, wird in der Regel später wieder auseinandergenommen. Vielleicht gefallen dem Teenie dann noch die Einrichtungsideen des Influencers, seine Kleidung aber schon nicht mehr. Im besten Fall bleibt ein Idol übrig, bei dem die Jugendlichen schlechte Eigenschaften von erstrebenswerten unterscheiden können. „Die große Herausforderung dabei ist es zu erkennen, was von der großen Angebotspalette eigentlich wirklich zu mir passt, wo ich mich mit meinen Fähigkeiten einordnen kann“, so Bürgel.


Reale Vorbilder schaffen
An diesem Punkt kommt eine andere Größe ins Spiel: das Vorbild. Quasi ein geerdetes Idol – ohne Verherrlichung oder Schwärmerei, sondern konkret und greifbar. Oft sind es Personen aus der Familie und aus dem sozialen Umfeld. Oder Menschen, die man aufgrund einer speziellen Fähigkeit nachahmenswert findet. „Wie mein Opa mit Menschen gesprochen hat“, nennt Bürgel ein Beispiel. Oder: „Wie mein Lehrer Streit schlichtet.“ Oder auch: „Wie dieser Schauspieler sein Privatleben meistert.“

Das Idol nimmt das ganze Leben in Beschlag, Vorbilder hingegen besetzen einzelne Lebensbereiche. Sie helfen dabei, das Verrückt-Schwärmerische der Teen­agerzeit in die Wirklichkeit zu holen, und sie bringen erreichbare Zielsetzungen. Auch wenn Kinder in der Pubertät in ihren Eltern ungern Vorbilder sehen wollen, so ist doch sicher, dass sie in der Familie ein grundlegendes Gefühl für die Wahl ihrer Vorbilder mitbekommen. Bürgel beruhigt alle besorgten Eltern zusätzlich: „Idole und Vorbilder verändern sich von Lebensphase zu Lebensphase – schauen Sie doch mal in die eigene Vergangenheit.“ Nicht selten tauchen irgendwann auch Mama und Papa in der Rangliste der Vorbilder wieder auf. Der Stellenwert von Idolen wird hingegen geringer, wenn mit dem Älterwerden die Fähigkeit zu schwärmen schwindet. Bürgel aber rät, „das spielerisch Leichte des Idols auch im Erwachsenenalter nicht zu verlieren, um aus Träumen Machbares entwickeln zu können“.

Michael Bönte

 

Zur Sache

Der Begriff Influencer kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Beeinflusser“. Das Angebot an Influencern ist unübersichtlich. Zu jedem Thema finden sich in den sozialen Netzwerken Menschen, die sich Fragen jeglicher Art stellen. Oft steht dabei das Alltägliche im Mittelpunkt. Es gibt Stars auf dieser Bühne, etwa die 24-jährige Dagi Bee mit vier Millionen YouTube-Abonnenten, die Beautytipps gibt. Oder Sami Slimani, der seinen 1,6 Millionen Anhängern Koch- und Einrichtungsvorschläge macht.