Wie aus dem Beispiel der Brotvermehrung ein Hilfswerk wurde

Wenn jeder gibt ...

Image

... was er hat, dann werden alle satt. Was bei der Brotvermehrung geklappt hat, hat auch ein schottischer Katholik erlebt. Er wollte nur ein paar Hilfsgüter sammeln. Doch viele kleine Gaben machten daraus ein großes Hilfswerk.

Foto: wikimedia
Mary’s Meals ernährt Schulkinder – wie hier auf Haiti. Begonnen hat die Hilfsorganisation aber ganz woanders. Foto: wikimedia


Magnus MacFarlane-Barrow war 24 Jahre alt, als er 1992 zusammen mit seinem Bruder Fergus im Fernsehen einen Bericht über das vom Krieg zerrissene Bosnien-Herzegowina sah. Eigentlich waren sie nur in den Pub von Dalmally, einem kleinen Dorf irgendwo im schottischen Hochland, gegangen, um ein Feierabendbier zu trinken. Und dann lief da dieser Film.

Magnus und Fergus ließ die Geschichte auch deshalb nicht kalt, weil sie die Gegend kannten. Die gläubigen Katholiken waren als Jugendliche in Medjugorje gewesen, die dortigen Marienerscheinungen hatten sie bewegt. Die ganze Familie war fromm – die einzigen Katholiken weit und breit. Ihre Lodge, in der sie regelmäßig Angeltouristen beherbergten, wurde phasenweise zum Gebetshaus umfunktioniert. Glauben und Helfen waren Eckpunkte des Lebens der Familie MacFarlane.

Magnus und Fergus beschlossen also zu helfen. Ein bisschen. Eine Woche Urlaub wollten sie nehmen, um einen Transporter mit Hilfsgütern nach Bosnien-Herzegowina zu fahren. Die Hilfsgüter bettelten sie zusammen bei Freunden, Bekannten, Nachbarn, bei früheren Gästen der Lodge. „Es dauerte nicht lang, bis Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten bei uns daheim eintrudelten“, erinnert sich Magnus in seinem Buch „Eine Schale Getreide verändert die Welt“.

Schnell füllte sich die Garage auf dem elterlichen Grundstück, und auch Geldspenden gingen ein. Von denen kauften die beiden jungen Männer einen gebrauchten Landrover, mit dem sie die Hilfsgüter nach Medjugorje bringen wollten – und den sie dann dortlassen wollten, weil in den Bergen dringend geländegängige Autos für die Verteilung der Hilfe gebraucht wurden.

Aus einem kleinen Bach wird eine Sintflut

Alles klappte gut. Erstaunlich gut für ein Kriegsgebiet. Doch dann geschah etwas Unerwartetes: „Zurück zu Hause machte ich eine erstaunliche Entdeckung: Die Spenden von Hilfsgütern und Geld, die auf unseren ersten kleinen Aufruf hin eingegangen waren, hatten nicht nachgelassen – aus dem kleinen Bach war mittlerweile geradezu eine Sintflut geworden. Der Schuppen neben Craig Lodge, den ich von meinem Vater ausgeborgt hatte, war bis unter die Decke voll mit medizinischen Hilfsmitteln, Nahrungsmitteln, Decken, Kleidung.“ So berichtet MacFarlane-Barrow in seinem Buch.

Und er berichtet von einer Entscheidung, die er zu treffen hatte: Bleibt es bei dieser einmaligen Aktion oder wird mehr daraus? „Nach mehreren Tagen des Gebets und des Nachdenkens reichte ich meine Kündigung bei der Fischfarm ein und bot mein Haus zum Verkauf an. Es war keine schwere Entscheidung; ich hatte schon eine Weile nach etwas anderem in meinem Leben gesucht.“ In kürzester Zeit „ohne genauen Zeitrahmen und Masterplan im Kopf und ohne diesbezügliche Erfahrungen“ war Magnus MacFarlane-Barrow zum Leiter einer Hilfsorganisation beworden. „Marys Meal’s“ nannten er und sein Bruder Fergus sie – in Anlehnung an die Erscheinungen in Medjugorje.

Und die ganze Familie packte mit an. „Mum schrieb jede katholische Gemeinde in Schottland an und bat um Hilfe“, erzählt MacFarlane in seinem Buch. Vorträge in Schulen und Kirchengemeinden kamen dazu, Handzettelwerbung auf der Straße. „Die Reaktion war unglaublich.“ Geld- und Sachspenden gingen täglich in Craig Lodge ein, anderes musste überall im Land abgeholt werden.

Der Helferkreis wurde immer größer, und waren es anfangs katholische Gemeinden, die sich engagierten, kamen nun andere hinzu. „Als die muslimische Gemeinde von Glasgow von unserer Arbeit hörte“, schreibt Magnus MacFarlane-Barrow, „brachte sie sich ebenfalls sehr engagiert ein. Die Muslime organisierten regelmäßige Nahrungsmittelsammlungen in den Moscheen und transportierten unglaubliche Mengen in unsere Lager.“ Supermärkte spendeten Trocken- und Konservennahrung, fast sämtliche Kisten zum Verpacken wurden von Whiskyfirmen zur Verfügung gestellt – was übrigens manche Sonderkontrolle beim Zoll zur Folge hatte. Unfassbar, was zusammenkommt, wenn jeder ein klein wenig von dem gibt, was er hat.

Von Bosnien weiter in alle Welt

Und dann war irgendwann das Schlimmste in Bosnien-Herzegowina überstanden. Doch es gibt so viele andere Gegenden der Welt, in denen Not herrscht. Vor allem in Afrika. Und so breitete sich „Mary’s Meals“ aus und fand die Aufgabe, die bis heute den Schwerpunkt der Hilfsorganisation bildet: der Kampf gegen den Hunger bei Kindern.

Gegenwärtig stellt Mary’s Meals rund 1,2 Millionen Kindern auf vier Kontinenten an jedem Schultag eine nahrhafte Mahlzeit bereit – und ermöglicht es vielen dadurch erst, überhaupt die Schule zu besuchen. Klein- und Kleinstspenden bilden nach wie vor das Gerüst der Organisation. Der Häftling aus  Kansas, der regelmäßig fünf Dollar im Briefumschlag schickt, wird genauso gewürdigt wie die Grundschule, die einen Basar veranstaltet, damit andere Kinder eine Schüssel voll Getreide haben. Fünf Brote und zwei Fische – nichts zum Sattwerden, aber ein Anfang.

Infos: www.marysmeals.de

Von Susanne Haverkamp