Impuls zum Sonntagsevangelium am 31.03.2024
„Wie ein Traum wird es sein ...“
Foto: istockphoto/FangXiaNuo
Er war ein Albtraum für die Jüngerinnen und Jünger Jesu, dieser Freitag vor knapp 2000 Jahren. Sie hatten gehofft, in Jerusalem – gesteckt voll mit Pilgern zum jüdischen Passahfest – neue Anhänger zu gewinnen. Vielleicht könnten sie sogar den Hohen Rat überzeugen, dass eine religiöse Reform notwendig ist. Weniger Ge- und Verbote und mehr Liebe, so wie Jesus das predigt – das kann doch nur im Sinne Gottes sein.
Doch dann setzten sich die anderen durch. Diejenigen, die es für Zeitgeist und Häresie hielten, alte Gebote zu relativieren: die Sabbatruhe zum Beispiel oder die Reinheitsgesetze. Und, ja, ein bisschen fürchteten diese anderen wohl auch um ihre Macht. Zu viel religiöses Selbstbewusstsein von Wanderpredigern aus Galiläa kratzt natürlich an der Autorität der Priesterschaft im Tempel. Und dort in Jerusalem, nicht in der Provinz nah am Gebiet der Heidenvölker, ist das Zentrum des Glaubens.
Es war ein Albtraum für die Jüngerinnen und Jünger, als Jesus im Eilverfahren abgeurteilt und ans Kreuz geschlagen wurde, als er unter Hohn und Spott elendig verreckte. Als sich die Aussicht auf einen gehobenen Posten in einer neuen dynamischen Bewegung in Todesangst wandelte. Als die übriggebliebenen Männer sich verbarrikadierten und die schnelle Bestattung ein paar Frauen überließen. Deshalb hielten sie es auch für einen Wunschtraum, als dieselben Frauen zwei Tage später erzählten, das Grab sei leer. Für Geschwätz. Oder für Grabschändung, wer weiß.
„Wie soll es nur weitergehen?“, mögen Petrus und Johannes, Maria Magdalena und Salome gedacht haben. „Wird Gott uns befreien aus unserer Angst, aus unserer Not? Wird er uns hineinführen in das Reich Gottes, wie Jesus es zu Lebzeiten versprochen hat?“ Und vielleicht haben sie dabei an die Exodus-Geschichte gedacht, schließlich steht sie im Mittelpunkt des Passah-Festes, zu dem sie nach Jerusalem gekommen waren: die wunderbare Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Raus aus einem Leben in Angst und Not, rein ins gelobte Land.
Wie ein Traum wird es sein, wenn der Herr uns befreit – zu uns selbst und zum Glückseiner kommenden Welt.
So dichtete der Frankfurter Priester Lothar Zenetti im Jahr 1970. Als ob er dabei gewesen wäre hinter den verschlossen Türen im Jerusalemer Versteck. Oder als ob er denken würde, dass diese alte Geschichte auch unsere Geschichte ist. Dass auch wir Befreiung brauchen, Glück und eine Welt, in der Liebe mehr zählt als Hass, Barmherzigkeit mehr als das Recht des Stärkeren.
Zenetti war Optimist. Denn offenbar hielt er diese Aussicht nicht nur für einen Wunschtraum. Es „wird sein“, schrieb er, nicht „würde sein“; und: „wenn der Herr uns befreit“, nicht „falls“. Interessant ist auch, was der Inhalt dieser Befreiung ist. Nicht „von schlechten Regierenden“ oder „von ausbeuterischen Wirtschaftsbonzen“, gar kein „von“ ist Inhalt der Befreiung, sondern ein „zu“: zu uns selbst.
Was das heißen könnte, schrieb Zenetti auch. Zum Beispiel dies:
Geduckte heben ihre Köpfe, Enttäuschte entdecken: Die Welt ist so bunt. Verplante machen selber Pläne, die Schwarzseher sagen: Es ist alles gut.
Es ist, als seien diese Zeilen für heute gemacht. Für Sie und für mich, für unsere Familien, Nachbarn und Bekannten. Denn Geduckte und Enttäuschte, Verplante und Schwarzseher gibt es auch heute zuhauf. Was wird das für eine Befreiung sein: die Köpfe zu heben; die Buntheit der Welt zu schätzen; Zeit zu haben für uns selbst; zuversichtlich ins Leben zu blicken. Eine Auferstehung wird das sein – zu uns selbst und mitten im Leben. Auch in dieser Strophe:
Die Alleswisser haben Fragen, der Analphabet liest die Zeichen der Zeit. Wer nichts besitzt, spendiert für alle; die Herrschenden machen sich nützlich im Haus.
Welch ein neues Leben: Wenn Menschen sich fragen, ob wirklich allein sie recht haben; wenn Bildungsferne und Arme ihr Lebenswissen einbringen; wenn die Leitungsebene versteht und lebt, wie Jesus das mit dem Diener-aller-Sein gemeint hat.
Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu war der Karfreitag ein Albtraum. Und der Ostersonntag war ein Wunschtraum, denn sie verstanden noch nichts, wie es im Evangelium heißt. Erst Tage, Wochen, Jahre später wurde aus dem Wunschtraum Gewissheit: Jesus lebt weiter, in uns und mit uns. Damit auch wir auferstehen zu neuem Leben. Im Hier und Jetzt und auch nach dem Hier und Jetzt. Traumhaft, herrlich wird das sein, wenn der Herr uns befreit. Zu uns selbst und zum Glück seiner kommenden Welt.
Allerdings mussten die Jüngerinnen und Jünger Jesu auch das lernen: Der Traum wird nicht von selbst Wirklichkeit; der Herr schmeißt nicht einfach Glück vom Himmel und die kommende Welt kommt nicht von allein. In der Osterlesung aus dem Kolosserbrief heißt es deshalb völlig zu Recht: „Ihr seid mit Christus auferweckt, darum strebt nach dem, was im Himmel ist.“ (Kolosser 3,1) Was ja wohl heißen soll: Auferweckung ist nicht irgendwann einmal und nicht nur jenseitig. „Ihr seid auferweckt!“, sagt Paulus – Präsens, darum macht jetzt was daraus!
Oder um noch mal mit Lothar Zenetti zu sprechen: Alle – Geduckte und Enttäuschte, Verplante und Schwarzseher, Alleswisser und Habenichtse, Herrscher und Beherrschte – können dazu beitragen, dass das Leben kein Albtraum ist, kein Wunschtraum, sondern ein Traum, der wahr wird: Leben in Fülle.