Besitz bei den Aposteln

Wie viel ist nötig?

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Die Apostelgeschichte erzählt, dass die ersten Christen alles gemeinsam hatten und jedem so viel zugeteilt wurde, „wie er nötig hatte“. Aber: Wie viel ist nötig? Fragen an den Franziskaner und früheren Banker Johannes-Baptist Freyer.

Eine Fotocollage zeigt eine westliche Frau, die Gemüse schneidet und eine afrikanische Frau, die in einem Topf rührt.
Was zum Leben nötig ist, wird im reichen Norden sicher anders beurteilt, als in den armen Ländern des Südens. 

Pater Johannes, „alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen“ steht in der Lesung. Waren die ersten Christen Kommunisten?

Das glaube ich nicht. Der Text der Apostelgeschichte stellt ein Idealbild vor für eine Gemeinde, in der es durchaus auch Krisen gegeben hat. Kurz nach dieser Stelle ist von einem Ehepaar die Rede, das Geld unterschlägt. Beim Verkaufen von Besitz geht es nicht darum, einfach alles wegzugeben und nichts mehr zu besitzen, sondern eher darum, dass jemand von dem Überfluss, den er hat, denen abgibt, die Not leiden. 

Geht es hier um ein Programm für gutes Wirtschaften?

Als Wirtschaftsprogramm taugt es vielleicht in dem Sinn, wie wir die Soziale Marktwirtschaft verstehen: der soziale und verantwortliche Umgang mit Besitz und Eigentum.

Was heißt das für die Kirche und den Glauben?

Die Bibelstelle steht im Horizont der Auferstehung Christi. Es geht also um das Teilen des Glaubens, das Teilen des Lebens und der neuen Botschaft. Da ist die ganzheitliche Dimension im Blick: Der Mensch in seiner religiösen und spirituellen Dimension wird nicht einfach abgekoppelt vom Besitz und der materiellen Situation. Wir sind nicht nur sonntags die Kirchgänger und der Alltag und der Beruf haben damit nichts zu tun.

Da steht „Jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte“. Kann man objektiv von außen messen, was jemand nötig hat?

Ja, das, was man braucht, um überhaupt leben und überleben zu können. Jeder Mensch braucht zum Leben Essen, Trinken, Schlafen, Zuwendung. Es ist auch hier nicht nur an Materielles zu denken, sondern an das, was wir Grundbedürfnisse des menschlichen Lebens nennen.

Ist das nicht für jeden und jede unterschiedlich?

Franziskanerpater Johannes-Baptist Freyer
Der Franziskanerpater Johannes-Baptist Freyer
ar vor seinem Ordenseintritt Bankkaufmann.
Heute lehrt er als Professor Theologiegeschichte
und Franziskanische Spiritualität.

Es gibt auch sehr persönliche Bedürfnisse. Manche haben bestimmte kulturelle Dinge nötig, die ein anderer vielleicht nicht so braucht. Das hängt auch vom persönlichen Charakter und der Kultur ab, in der man lebt. Aber es gibt ein Grundbedürfnis, das jedem zum Leben zustehen sollte, weltweit.

Wie kann das bemessen werden?

Das geht nur im solidarischen Austausch und im gesellschaftlichen Dialog miteinander. Um es an einem Beispiel konkret zu machen: Die Mindestsicherung etwa im Hartz-IV-Satz bei uns wird auf Euro und Cent berechnet. Dazu braucht es eine Autorität, die das unter Berücksichtigung der Gegebenheiten festlegt. In der biblischen Stelle ist von den Aposteln die Rede, die zuteilen. Bei uns können das die Mandatsträger sein als gewählte Vertretung der Gesellschaft in den Parlamenten und in der Regierung. Im Auftrag der Gemeinschaft legen sie Dinge fest, müssen sich aber auch der Verantwortung stellen gegenüber denen, für die sie die Entscheidungen treffen. Und sie entscheiden immer nur für eine begrenzte Zeit, weil sich die Situation der Gesellschaft ja auch immer wieder ändert. Es geht also um eine dienende Autorität zum Wohl der Gemeinschaft und in ihrem Auftrag, nicht gegen sie oder über ihr.

Derzeit gibt es die Diskussion um die Impfungen in der Corona-Zeit: Eine solche Impfung braucht objektiv vielleicht jeder, aber es ist im Moment nur begrenzter Impfstoff da.

Es gibt natürlich Situationen, in denen eine lange Diskussion nicht weiterführt, etwa in der Pandemie. Da muss schnell gehandelt werden. Da muss es politische Institutionen oder zum Beispiel einen Ethikrat geben, um im Auftrag der Gesellschaft Kriterien festzulegen. Hier etwa auch, wer als Erster die vorhandenen Ressourcen, den Impfstoff, beanspruchen kann. Da sind die Verletzlichsten und die, die am meisten Kontakt mit Risiken haben, etwa die Pflegekräfte.

Wie kann ich für mich selbst prüfen, was ich nötig habe, was ich brauche?

Im Johannesevangelium ist von der Erfüllung des Lebens die Rede und von der Freude. Ich kann mich fragen, was für mich ein erfülltes Leben ausmacht; was mir hilft, dass mein Leben gelingt, einen Sinn hat. In der franziskanischen Tradition gibt es diese Unterscheidung von dem, was ich wirklich brauche, und was Güter sind, die Luxus sind, die mich aber nicht wirklich glücklicher machen. 

Welchen Rat geben Sie Menschen, die nicht wie Sie im Kloster leben, aber von dieser Spiritualität profitieren wollen? 

Mein Rat ist: Das, was ich habe, mit anderen zu teilen. Selbst eine Pizza, die ich mit anderen teile, bringt mir mehr – etwa das Erlebnis von Gemeinschaft. 

Aber wenn ich mir – im übertragenen Sinn – die Pizza gar nicht leisten kann?

Jeder Mensch hat etwas zum Teilen. Das ist ja nicht nur materiell gedacht. Ich kann meine Zeit und Zuwendung teilen. Ich höre jemandem zu. Ich kann offen auf andere zugehen, auch wenn ich materiell arm bin. Auch dann kann ich etwas teilen. Und daraus können neue Perspektiven erwachsen.

Interview: Michael Kinnen