Heilerziehungspfleger

"Wir fühlen uns vergessen"

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Bundesweit gibt es viel zu wenig Heilerziehungspfleger. Junge Menschen, die sich für diesen Beruf entscheiden, müssen aber für ihre Ausbildung trotzdem oft noch Schulgeld zahlen. Franciska Hoch und Jens Roling finden das ungerecht.


Engagiert: Franciska Hoch und Jens Roling machen sich dafür stark, dass angehende Heilerziehungspfleger und -innen in Niedersachsen kein Schulgeld mehr zahlen müssen. Foto: Petra Diek-Münchow

Franciska Hoch und Jens Roling lieben, was sie lernen: Heilerziehungspflege für Menschen mit Behinderungen. „Das ist so vielseitig und man hat das Gefühl, jeden Tag etwas Gutes zu schaffen“, sagt der 20-jährige Osterbrocker. Seine Klassenkameradin nickt, auch sie empfindet ihre Arbeit gleichermaßen wertvoll wie sinnstiftend. „Das ist für mich der richtige Weaag“, sagt die 21-Jährige aus Meppen und hat daher ihre Berufswahl nie bereut. Die beiden jungen Leute besuchen im dritten Ausbildungsjahr die Marienhausschule in Meppen und können es kaum erwarten, nach ihren Prüfungen zu arbeiten: in einer Werkstatt, in einem Wohnheim oder einem heilpädagogischen Kindergarten. Die Aussichten auf eine Stelle sind nicht schlecht, denn bundesweit werden Heilerziehungspfleger oft händeringend gesucht.

Und deswegen verstehen die zwei Emsländer nicht, warum sie und ihre Mitschüler und -innen noch immer Geld für ihre Ausbildung mitbringen müssen. „Wir verdienen nichts und müssen auch noch dafür zahlen“, bringt Franciska Hoch ihren Unmut auf den Punkt. Denn während der zwar schulischen, aber sehr praxisorientierten Ausbildung bekommt sie – im Unterschied zu vielen Lehrlingen in anderen Berufen – keine Vergütung. Rund 650 Euro Schulgeld pro Jahr muss sie trotzdem aus dem eigenen Portemonnaie zahlen – und an anderen Berufsfachschulen in freier Trägerschaft liegt der Satz nach ihrer Kenntnis oft noch höher. 

Dabei richtet sich die Kritik der beiden jungen Leute weniger an die eigene Schule als mehr an die Landesregierung und die Politik. Denn die hat zwar für die neuen Jahrgänge der Gesundheits- und Krankenpfleger, Erzieher, Logopäden, medizinischen Fußpfleger, Physio- und Ergotherapeuten ab August 2019 die Schulgeldfreiheit beschlossen. Allerdings nicht für die älteren Jahrgänge und gar nicht für die angehenden Heilerziehungspfleger und -innen. „Man hat uns gesagt, dafür sei im Haushalt noch kein Geld. Wir standen wohl nicht so weit oben auf der Liste“, erzählt Jens Roling von einem Besuch im Niedersächsischen Landtag. „Irgendwie fühlen wir uns vergessen“, ergänzt seine Klassenkameradin. Das Thema Schulgeld macht es zudem nach ihrer Einschätzung nicht gerade leicht, bei anderen jungen Leuten für den Beruf zu werben. Auch deswegen haben sich beide an einer Kampagne für die Schulgeldfreiheit beteiligt. 

„Für viele mehr Berufung als nur ein Beruf“

Eva-Maria Meyer, die Leiterin der Marienhausschule, kann den Ärger der Schüler gut verstehen. Sie erlebt die Auszubildenden in der Heilerziehungspflege, die jeden Tag acht bis zehn Stunden Unterricht haben und zudem mindestens 1200 Stunden Praktika leisten müssen, als hoch motiviert und sehr einsatzbereit. „Für viele ist das mehr Berufung als nur ein Beruf“, sagt sie und lobt die jungen Leute für ihre ethische Grundhaltung. Zudem weiß sie, dass der Bedarf nach Heilerziehungspflegern im ganzen Land sehr hoch ist – und dass die Zahl der Auszubildenden im Gegenzug ständig abnimmt. Nicht selten gibt es nach ihrer Kenntnis an den Fachschulen in freier Trägerschaft mangels Schülern oft nur noch eine Klasse. In einigen niedersächsischen Städten haben Berufsfachschulen diesen Zweig sogar schon geschlossen oder es droht das komplette „Aus“. 

Winfried Verburg von der Schulstiftung im Bistum, Träger der Marienhausschule und weiterer Berufsfachschulen, kann den Protest der jungen Leute gut nachvollziehen. Er empfindet es ebenfalls als Ungleichbehandlung, dass die künftigen Heilerziehungspfleger von der Schulgeldbefreiung bisher ausgeschlossen sind – und wünscht sich, dass das Land im nächsten Jahr dafür mehr Geld in den Haushalt einstellt. 

Cornelia Kammann, die Leiterin des Geschäftsbereiches Behindertenhilfe und Psychiatrie beim Diözesan-Caritasverband, spricht gleichfalls von einer ungerechten Situation. „Wir sind an dem Thema schon länger dran.“ Sie mutmaßt, dass die Politik die Heilerziehungspfleger vielleicht übersehen haben, „weil sie nicht so eine große Lobby haben“. Daher versucht die Caritas auf Bistums- und auf Bundesebene nach ihren Worten den Beruf in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen und dafür zu werben. „Stärken und sichern“, sagt sie. Denn auf der einen Seite sei der Fachkräftemangel in diesem Bereich fast dramatisch hoch, aber auf der anderen Seite gebe es zunehmend weniger Auszubildende. In Arbeit ist laut Kammann daher ein Forderungskatalog, den die Caritas mit anderen Verbänden der freien Wohlfahrtspflege an die Landtagsabgeordneten schicken will, um im nächsten Jahr eine Schulgeldbefreiung zu erreichen.

Viele arbeiten zusätzlich am Wochenende

Darauf hoffen derzeit die Auszubildenden in der Heilerziehungspflege. Nach Worten von Jens Roling und Franciska Hoch können viele das Schulgeld nur bezahlen, weil Eltern entweder finanziell helfen oder weil sie am Wochenende arbeiten. „Fast 90 Prozent unserer Klassenkameraden machen das“, sagt der Osterbrocker. Und was ist mit Mittagessen, Kinobesuch, der neuen Jeans oder gar einem Kurzurlaub? Denn neben dem Schulgeld müssen sie ohne Ausbildungsvergütung auch ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die beiden schauen sich mit einem schiefen Lächeln an. Da ist von Ersparnissen die Rede, von dem Nebenjob, von Mama und Papa – und von „Zurückstecken.“ 

An eine eigene Wohnung können die jungen Erwachsenen gar nicht denken. „Man verwehrt uns irgendwie, auf eigenen Beinen zu stehen“, sagt Franciska Hoch. Die zwei jungen Leute beginnen jetzt die letzte Phase ihrer Ausbildung. Von einer möglichen Schulgeldbefreiung werden sie daher nicht mehr profitieren – aber an dem Thema wollen beide trotzdem dranbleiben.

Petra Diek-Münchow


Zur Sache

Heilerziehungspfleger begleiten, unterstützen und pflegen Menschen mit Behinderung, damit diese ihre Leben so selbstständig wie möglich führen können. Die Ausbildung für diesen Beruf findet mehrheitlich an Fachschulen in freier Trägerschaft statt. Das Land erstattet über die Finanzhilfe diesen Schulen einen großen Teil der Personalkosten. Für den Rest und besonders die Sachkosten müssen die Schulen in freier Trägerschaft selber aufkommen. Um den Betrieb qualitativ auf hohem Niveau zu gewährleisten, wird unter anderem Schulgeld erhoben.