Seelische Erkrankungen in der Corona-Pandemie

"Wir waren oft der einzige Kontakt"

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Die Corona-Krise hat die Probleme für Menschen mit seelischen Erkrankungen noch verschärft. Und der emsländische Verein „Lotse“ fürchtet, dass noch längst nicht alle Folgen bekannt sind. Mitarbeiter und eine Betroffene berichten, wie sie die vergangenen Monate erlebt haben.


Dunkel werden manchmal die Gedanken, wenn es Menschen nicht gutgeht. Die Corona-Pandemie hat sich auf die seelische Gesundheit verstärkt ausgewirkt. Foto: imago images/Westend61

Auch wenn die Infektionszahlen sinken, auch wenn die Beschränkungen gelockert werden – die Situation für seelisch Erkrankte bleibt nach Ansicht von Egbert Schäpker schwierig. Der Fachgesundheits- und Krankenpfleger arbeitet als Pflegedienstleiter für den Verein „Lotse“, der sich im Emsland seit vielen Jahren um Menschen mit psychischen Problemen kümmert (siehe auch „Zur Sache“). „Die Folgen der Pandemie für diese Personen können wir noch gar nicht genau einschätzen, aber es ist nicht gut. Die ganzen Genesungsprozesse laufen derzeit viel langsamer ab, das wird ganz sicher Auswirkungen haben.“

Schäpker verweist dazu auf eine Studie aus dem Frühjahr. Demnach beobachten Psychiaterinnen und Psychotherapeuten eine Verschärfung der Probleme bei Menschen mit seelischen Krankheiten. Sie berichten deutlich häufiger von Angststörungen und Depressionen. „Seelische Risikopatienten geraten rascher in eine Krise“, sagt Schäpker. Über viele Monate hinweg waren für sie wichtige Angebote wie offene Treffs, Selbsthilfegruppen, Sport oder der örtliche Chor kaum und auch jetzt vorerst zum Teil nur eingeschränkt nutzbar. Dazu kommt die unterschwellige Angst vor einer Ansteckung und existenzielle Sorgen. Gerade der zweite Lockdown war laut Schäpker für Menschen mit seelischen Vorerkrankung sehr anstrengend. „Es fehlte die Perspektive, es herrschte ein Stück Hoffnungslosigkeit und ein Gefühl des Ausgeliefertseins.“

Wie belastend die aktuelle Lage ist, bestätigt Petra S. ( Namen geändert). Die 32-jährige Emsländerin ist seit gut einem Jahr an Depressionen erkrankt und leidet an Angststörungen. Mit mehr als zwei Personen zusammen zu sein, fällt ihr schwer. „Dann bekomme ich richtige Panikattacken und Schweißausbrüche, mein Herz fängt an zu rasen und ich zittere am ganzen Körper“, erzählt sie. „Und wenn es ganz schlimm wird, kommt noch eine Psychose dazu.“ Dann hört sie Sätze – obwohl niemand etwas gesagt hat: abfällige Bemerkungen über sie, negative Urteile, Beschimpfungen. Wegen ihrer Erkrankung kann Petra S. nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten, weil sie dort ständig mit vielen Menschen, großem Druck und Stress umgehen müsste. Und auch Freundschaften zu pflegen, ist unter diesen Umständen nicht einfach. „Ich konzentriere mich auf ganz wenige Menschen, bei denen ich mich nicht verstellen muss.“

Schon ohne „Corona“ wäre die Situation für Petra S. sehr belastend, aber die Pandemie verschärft alles noch. „So einfache Dinge wie Sport zu machen oder mal in eine Bücherei zu gehen, war ja kaum möglich.“ Auch wenn sie nur wenige Menschen auf einmal ertragen kann, fehlte dann doch der Austausch und die Abwechslung – „eben vieles, was einem guttut und hilft, aus dem Loch wieder herauszukommen und Lebensqualität zurückzugewinnen.“ 

"Wir mussten sehr viel auffangen"

Auch die Therapien und ein Klinikauf­enthalt mitten in der Pandemie standen ganz unter dem Eindruck von Corona. Petra S. erzählt von eingeschränkten Angeboten, von kleineren Gruppen, von zeitweiligen Besuchsverboten. „Man durfte ja auch seine Liebsten nicht sehen.“ Bestandteil der Therapien ist nach ihren Worten „eigentlich“ das Training bestimmter Alltagssituationen – wie ein Cafébesuch oder der Einkaufsbummel in der Stadt. „Alles das ging halt nicht.“ Und wieder zu Hause fehlte dann der Anschluss, zum Beispiel durch den Besuch einer Selbsthilfegruppe.

Das bestätigt Dagmar Peterson. Die Krankenschwester arbeitet in der psychiatrischen Häuslichen Krankenpflege (pHKP), ein wichtiges Angebot des Vereins „Lotse“. Zwei- bis dreimal pro Woche, im Krisenfall auch fünfmal, besucht sie Patienten und Patientinnen wie Petra S. zu Hause. Für viele war sie über Wochen hinweg die einzige Kontaktperson. „Sie haben sich so gefreut, dass wir gekommen sind. Aber wir mussten dadurch sehr viel auffangen“, sagt Peterson. Das war und ist auch für die Pflegekräfte selbst eine belastende Situation. 

Dass „Corona“ Auswirkungen auf die Therapien hatte, erzählt sie ebenfalls. „Viele Patienten waren in vielen Dingen deshalb nicht so geübt. Da war es umso wichtiger, dass wir kommen.“ Denn Peterson, ihre Kolleginnen und Kollegen helfen den Patienten, sich eine Tagesstruktur zu schaffen und das Alltagsleben zu erschließen. Sie trainiert das regelrecht mit den ihr anvertrauten Männern und Frauen: soziale Kontakte halten und wieder beleben, regelmäßig Einkaufen gehen, kochen und putzen, Medikamente korrekt einnehmen, Spaziergänge machen. „Klar kann man auch allein zu Hause Sport machen“, sagt die Krankenschwester. „ Aber genau das fällt Menschen mit einer Antriebsstörung ja schwer. “ Ohne Ermunterung, ohne Anstoß, ohne den spezialisierten Pflegedienst des „Lotse“, so fürchtet sie, würden viele sich „in ihr Schneckenhaus zurückziehen.“

Petra Diek-Münchow

Informationen zur Psychiatrischen häusliche Krankenpflege gibt es bei Egbert Schäpker: Telefon 0 59 31/88 83 61 23, E-Mail: egbert.schaepker@lotse-emsland.de


Zur Sache 

„Lotse“ berät, unterstützt und begleitet seit über 30 Jahren Menschen mit psychischen Erkrankungen im Emsland: beim Wohnen, in der Lebensgestaltung und der Freizeit. Der Verein ist Mitglied im Diözesan-Caritasverband. 

Zu dem breiten Angebot mit Standorten in Meppen, Lingen und Papenburg zählen unter anderem ambulante Dienste wie die psychiatrische Häusliche Krankenpflege und betreutes Wohnen, außerdem Tagesstätten sowie im stationären Bereich Wohngruppen mit intensiver Begleitung. Darüber hinaus bietet der Verein Gruppen für Angehörige sowie die „Teestuben“ an. Diese Treffpunkte sind für alle Interessierten gedacht. Wegen der Corona-Pandemie sind die „Teestuben“ derzeit allerdings noch geschlossen.