Erfahrungen im Bibelkreis stärken Glauben und Gemeinschaft

Zusammen wächst was

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Austausch im Bibelkreis
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Foto: Christof Haverkamp

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Intensiver Austausch: Die Gruppe trifft sich regelmäßig im Pfarrhaus St. Josef, um über Bibelstellen zu diskutieren.

„Das Wort kommt nicht leer zu mir zurück“, heißt es in der Jesaja-Lesung an diesem Sonntag. Ein Bremer Bibelkreis erlebt, was das bedeutet: gemeinsam lesen, verstehen, diskutieren – und neue Erkenntnisse ermöglichen.

Die Arbeit an den biblischen Texten vergleicht Schwester Theresia Fuhrmann mit dem Zusammenlegen eines Mosaiks: „Jeder gibt etwas dazu: einen Gedanken, eine Anregung, einen Impuls. Und alles hilft uns, um uns im Verständnis des Textes weiterzubringen und neue Perspektiven zu öffnen“, sagt sie. „Nur gemeinsam kann ein neues Bild entstehen.“

Gemeinsam mit Schwester Mirjam Baumgarten leitet sie den Bibelkreis, der sich alle zwei Wochen im Pfarrhaus St. Josef der Bremer St.-Marien-Gemeinde trifft. Gut zwölf Männer und Frauen kommen zusammen, um über biblische Texte zu sprechen, um Gedanken auszutauschen, zu diskutieren und gemeinsam zu überlegen, was diese Bibelstelle mit ihrem Leben zu tun hat. Bei den Treffen erfahren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das, was Jesaja in der ersten Lesung an diesem Sonntag beschreibt: „Das Wort kehrt nicht leer zu mir zurück.“ 

Tatsächlich verändert sich etwas, wenn die Frauen und Männer über das Wort Gottes sprechen. Sie entdecken neue Aspekte an den Texten – und diskutieren lebhaft darüber. „Geplant ist, dass wir uns eineinhalb Stunden am Abend treffen. Aber oft bleiben wir länger zusammen, weil die Diskussionen so spannend sind“, sagt Schwester Theresia. 

Eine Debatte ist Michael Neumann besonders in Erinnerung geblieben. „Da ging es um Paulus. Das war legendär. Von diesem Abend haben wir noch lange gesprochen“, sagt er. Er habe Paulus sehr verteidigt, ein anderer Teilnehmer sah den Missionar deutlich kritischer. Es ging um die Frage, was für ein Missionar Paulus war, welches Bild er von den Menschen hatte und wie er mit der Lehre Christi umging. „Ich glaube, wir können froh sein, dass es Paulus gab und dass er den Glauben in der Urkirche verbreitet hat. Aber natürlich ist auch die Kritik berechtigt“, sagt Neumann. Er ist begeistert von der Haltung, mit der debattiert wurde. „Wir haben leidenschaftlich, aber sachlich die Argumente ausgetauscht. Das war ein toller Abend“, sagt er. 

Texte zu Themen, die gerade bewege

Schwester Mirjam und Schwester Theresia wählen die Textstellen aus, die der Kreis liest. „Wir schauen, wo steht die Gruppe gerade? Was sind die Themen, die uns alle bewegen?“, sagt Schwester Theresia. „Und manchmal teilen wir die Texte, die uns beide in den vergangenen zwei Wochen beschäftigt haben“, sagt Schwes-ter Mirjam, die mit Schwester Theresia als eine kleine geistliche Gemeinschaft lebt. 

„Gerade das ist total schön“, sagt Elsbeth Sommer, die ebenfalls bei fast jedem Treffen des Bibelkreises dabei ist. „Dann ist die Bibelstelle schon gut vorbereitet und wir kommen schneller und intensiver rein, mit guten Hintergrundinformationen und anregenden Gedanken“, sagt sie. 

Wenn es immer nur um die Sonntagslesungen ginge, fände sie das langweilig. Zu Beginn der Treffen lesen die Teilnehmer die Bibelstelle. Jeder überlegt für sich: Was fällt mir auf? Welche Fragen kommen mir? Was spricht mich an? Was ist für mich widersprüchlich? „Am Anfang schweigen wir oft erst einmal“, sagt Neumann. „Und dann sprudelt es auf einmal aus uns heraus. Dann kommt das Gespräch richtig in Fahrt.“ 

Wenn der erste Austausch abebbt, geben Schwester Theresia und Schwester Mirjam Impulse in die Runde: Was haben Theologen oder Kirchenlehrer zu dieser Stelle geschrieben? Welche Interpretationen kommen aus dem Judentum? Gibt es verschiedene Bedeutungen in den Übersetzungen? „Ganz nebenbei bekommen wir dieses Wissen mitgeliefert, ohne uns durch theologische Literatur quälen zu müssen“, sagt Neumann. „Wenn wir diese Quintessenz dann mit unseren eigenen Gedanken mischen, dann wird daraus ein neues Ganzes.“ 

Und das habe einen konkreten Bezug zur Lebenswelt aller Teilnehmer, sagt Sommer. „Der eine hört diesen Aspekt, ein anderer legt seinen Blick auf etwas ganz anderes. Jeder bringt seine Geschichte mit, seine Ansicht und sein Empfinden zu Texten. Das bereichert die ganze Gruppe“, sagt sie. Im Gottesdienst wisse man oft schon nach wenigen Worten, welcher Text an der Reihe ist, und lasse sich von der Liturgie und dem Ablauf berieseln.
Bei den Bibelkreis-Treffen ist sie selbst gefordert: „Wir wagen uns hier ganz anders an die Texte heran. Wir wälzen sie gemeinsam hin und her. Und dann bleibt immer eine Erkenntnis übrig, die ich für mich mit nach Hause nehmen kann.“ Oder mit Jesaja gesprochen: Das Wort Gottes keimt und sprießt und wird zu nahrhaftem Brot.

Und manchmal entdecken die Teilnehmer biblische Perlen, wie Neumann es nennt. „Deuteronomium, Kapitel 30 – die anderen schmunzeln schon, wenn ich diese Stelle nenne. Aber dieser Text ist mein Highlight“, sagt er. „Siehe, hiermit lege ich dir heute das Leben und das Glück, den Tod und das Unglück vor“, heißt es dort. „Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich diese Sätze höre. Es zeigt mir: Das Wort Gottes ist nicht weit von mir entfernt. Es ist ganz nah“, sagt Neumann. Jahrelang hätte er zum Gottesdienst gehen können und dort nicht einmal diesen Text gehört. „Dabei ist er so genial.“

Ein kleines Labor für die Kirche der Zukunft

Er glaubt, dass Bibelkreise ein Weg sein können, der Christen anspricht, die sich im Gemeindegottesdienst nicht wiederfinden. „Was wir machen, ist vielleicht ein kleines Labor für die Kirche der Zukunft“, sagt er. „Wenn wir fragen, wie Kirche anders sein kann und welche Alternativen es gibt, ist das vielleicht ein Weg: kleine Kreise, die sich intensiv mit dem Wort Gottes auseinandersetzen – so wie es in der Urkirche war.“

Die Gemeinschaft, die neuen Erkenntnisse und die Aha-Momente bleiben den Frauen und Männern aus dem Bibelkreis in Erinnerung. Und sie geben Kraft – weiter über die Treffen der Gruppe hinaus. „Und genau darum geht es doch“, sagt Schwester Mirjam. „Den Glauben stärken und miteinander schauen: Wie lebe ich meinen Glauben – genährt vom Wort Gottes?“

Kerstin Ostendorf