Niels-Stensen-Akademie zum Thema Leistungssport

Zwischen Frust und Freude

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Macht der Leistungssport die Freude an der Bewegung kaputt? Oder fördert die Aussicht auf sportlichen Erfolg die Bewegung von Kindern und Jugendlichen? Die Niels-Stensen-Akademie kam zu keinem eindeutigen Schluss.


Michael Vesper hielt ein Plädoyer für die verbindenden Werte des Sports. Foto: Thomas Osterfeld

Worüber reden wir hier eigentlich genau? Über Sport und Leistungsdruck? Profisport und Knebelverträge? Über Schulsport, der Kindern die Freude an der Bewegung nimmt, oder über Jungen und Mädchen, die Lust haben, ihr sportliches Talent zu entfalten und mit anderen in einen Wettbewerb zu treten? Es ging einiges hin und her in der Debatte beim Abend der Niels-Stensen-Akademie im Osnabrücker Schloss zum Thema „Leistungssport zwischen sozialen Sprungbrettern und modernem Sklavenhandel“. 

Zum Auftakt referierte der Soziologe Michael Vesper, Gründungsmitglied der Grünen und von 2006 bis Ende 2017 Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Er hat mehrere Olympische Spiele begleitet und sprach über Leistungssport in olympischen Disziplinen. Manche Sportarten führen ein Nischendasein, andere werden so populär, dass die sportlichen Erfolge Einzelner sich auf den Breitensport auswirken können. Sportvereine seien Organisationen, die viele Menschen zusammenbringen. „Im Verein ist Sport am schönsten“ lautete früher ein Werbespruch, und dies sei heute noch so: Sport werde zusammen mit anderen ausgeübt, Fairness von klein auf trainiert. Nicht von ungefähr bezeichne die Formulierung „unsportliches Verhalten“ unfaires Tun. In Wettbewerben trete man zwar gegeneinander an, aber in der Trainingsgruppe gebe es auch viel Unterstützung. 

Wenn Vesper von Leistungssport spricht, hat er nicht den Fußball im Blick, er sagt, diese Sportart nehme eine Sonderstellung ein und sei durch und durch kommerzialisiert. Beim Stichwort Fußball-Weltmeisterschaft in Katar verwahrte sich Vesper dagegen, den Weltfußballverband FIFA mit dem Olympischen Sportbund (OSC)  zu vergleichen. Nach seinen Angaben fließen etwa 90 Prozent der Erlöse aus Olympischen Spielen in die Athletenförderung, für Rudern, Taekwando oder Kanusport. 

Und, so gab Vesper zu bedenken, totalitäre Regime, die Spiele ausrichten, kauften immer auch die Berichterstattung über Missstände im Land ein. So sei im Vorfeld der Sommerspiele 2008 in China viel über die Lage in Tibet berichtet worden. Olympischer Sport vereine Stars ihrer Sportart und unbekannte Sportler im Olympischen Dorf und bringe nach wie vor Menschen zusammen. Vesper betonte, dass es Flüchtlingsteams gibt und dass auch die Paralympics für Sportler mit Behinderungen stattfinden. 

"Der Konsument erwartet viel"

Dieses uneingeschränkt positive Bild des Leistungssports wollte Sportjournalist Harald Pistorius nicht stehenlassen. Sicher seien beispielsweise 100-Meter-Läufe faszinierend; aber hinter jedem aufgedeckten Dopingfall im Leistungssport stehe nicht nur der betroffene Athlet, sondern auch ein Arzt, ein Trainer und ein Manager. In vielen Sportarten gehe es vor allem um Geld und „ein perfektes Hochglanzereignis“, sicher sei der Fußball auch die Sportart, die am meisten von der Kommerzialisierung profitiert.  

Michael Welling, Geschäftsführer des VfL Osnabrück, merkte an, man sei als Verein Teil des Systems. Gleichzeitig könne man sich bemühen, Werte zu etablieren und zu leben. Das sei nicht leicht. „Je mehr Geld im System ist, desto schwieriger ist es, Werte zu transportieren.“ Das bestätigte Christoph Rasche, Professor für Sportökonomie an der Universität Potsdam. „Der Konsument erwartet viel“, so Rasche, die Vereine müssten etwas bieten; die Folge: Ausländische Investoren kauften sich in Vereine ein, der Kapitalismus habe den Sport im Griff, so Rasche.

Entsprechend alarmiert zeigte sich Renate Zimmer, Professorin für Sportwissenschaft an der Universität Osnabrück, die seit Jahren für mehr Bewegung von Mädchen und Jungen wirbt. Sie könne vor dem Leistungssport nur warnen. Lehrer entfachten Begeisterung für den Sport, „und was wird daraus, wenn die Kinder erst mal in den Fängen der Vereine und Verbände angekommen sind?“, fragte Zimmer. 

Das stieß bei Vesper auf Widerspruch und veranlasste eine Mutter, sich zu melden. Ihre Tochter habe sich selbst für Leistungssport entschieden, sagte sie, und sei jetzt im Perspektivkader der Speedkletterer. „Wir als Eltern haben das nie gepusht“, so die Frau, das Kind sei glücklich. „Die hat einen tollen Trainer und eine tolle Gruppe.“

Die Akademie war eine Kooperation des Bistums mit der Universität und der Hochschule und wurde von Heinz-Wilhelm Brockmann moderiert. Bischof Franz-Josef Bode erinnerte daran, dass es in der Bibel heißt, jeder Mensch möge seine von Gott gegebenen Talente nutzen und entfalten.

Andrea Kolhoff