Ein Wittichenauer in Kolumbien

„Unser Platz ist im Widerstand“

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Der Jesuit Fabian Retschke (30) in Bogotá in Kolumbien
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Fabian Retschke lebt derzeit in Bogotá. Der Jesuitenpater stammt aus Wittichenau. Das Alltägliche des Glaubens in der Lausitz beeindruckt ihn.

Der Jesuit Fabian Retschke (30) lebt derzeit in Bogotá in Kolumbien. Dort setzt er sich als Diakon für die an den Rand Gedrängten und Vergessenen ein. Mit seiner früheren Heimat Wittichenau bleibt er eng verbunden.

Mit Gebet und herzlichen Segenswünschen begleitet die katholische Pfarrgemeinde St. Mariä Himmelfahrt Wittichenau in diesen Tagen Fabian Retschke. Der aus Wittichenau stammende Jesuit lebt seit zwei Jahren in Kolumbien. Dort empfing der 30-Jährige am 11. November die Diakonenweihe. „Es rührt mich an und macht mich sehr dankbar, dass trotz meiner langen Abwesenheit eine Verbindung mit meiner Heimat bestehen bleibt. Mir bedeutet es sehr viel, dass diese Unterstützung mit dem Gebet so treu und regelmäßig kommt“, sagt Fabian Retschke. Der junge Mann versteht sich nach wie vor als Wittichenauer, auch wenn er schon an vielen Orten gelebt hat.

„Ich bewundere den einfachen tiefen Glauben vieler in meiner Heimat“

Geprägt hat ihn seine katholische Familie, die väterliche Seite ist sorbisch. „Die christlichen Traditionen, Prozessionen, Gottesdienste bis hin zur Kirchenmusik – das alles ist in Wittichenau sehr gegenwärtig und gut in die Stadtkultur integriert. Trotz allem ist der Zugang zum Glauben von persönlichen Erfahrungen und Entscheidungen abhängig, das kann niemand ersetzen oder erzwingen. Meine Eltern haben mir Freiraum für diesen persönlichen Weg ermöglicht“, erzählt Retschke und ergänzt: „Das Alltägliche und ,Normale‘ des Glaubens ist das, was Wittichenau und die Lausitz so besonders und so schön macht. Ich bewundere den einfachen tiefen Glauben, die standfeste Aufrichtigkeit so vieler.“

Am 11. November empfing der Jesuit mit fünf weiteren Mitbrüdern aus Lateinamerika und der Schweiz in der St. Ignatiuskirche Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, die Diakonenweihe. „Insbesondere die Anrufung der Heiligen, bei der wir ausgestreckt auf dem Boden liegen, war für mich schlicht überwältigend. Ich habe den Beistand des Himmels und all der Menschen, die mit uns vor Ort und in der Ferne verbunden waren, gespürt. Es ist eine Feier voller besonderer Symbole“, erzählt er.

Als neu geweihter Diakon sieht sich der Jesuit daran erinnert, dass der fürsorgliche Dienst – gerade bei den an den Rand Gedrängten und Vergessenen – „wesentliche Aufgabe und Ausdruck von Kirche ist.“ Dabei schaue Retschke als Diakon nun „gewissermaßen von Amts wegen“ von den Rändern her auf das Gesamte und dabei auch „auf die Risse und Brüche unseres Miteinanders, unter denen manche eben mehr leiden.“ 

Die Weihe selbst sieht er als „unverdientes Geschenk Gottes“, aber auch als Bekenntnis zur amtlich verfassten Kirche und schließlich dazu, „dass Gott in ihr wirkt und durch sie“. Ganz konkret arbeitet Fabian Retschke in der Schulseelsorge eines Jesuitenkollegs mit. Und da die Jesuiten, mit denen er zusammenlebt, an keine Pfarrei angebunden sind, kommt es eher nur zu gelegentlichen Einsätzen als Diakon.
Als großes Vorbild im Glauben nennt der Jesuit den heiligen Oscar Romero, Erzbischof von San Salvador, Märtyrer eines terroristischen Unterdrückerregimes, der für Gerechtigkeit eintrat und starb. Auch die deutschen Jesuiten Alfred Delp und Rupert Mayer, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, sind ihm Vorbilder. „Sie erinnern mich daran, wo unser Platz als Christen ist, wenn nun wieder totalitäre, autoritäre und rechtspopulistische Strömungen Fahrt aufnehmen. Unser Platz ist im Widerstand zu ihnen“, bekennt Retschke.

Lebensstationen waren Minden in Westfalen, wo er aufgrund eines Arbeitsplatzwechsels seines Vaters seit 2008 lebte und 2011 sein Abitur ablegte. Danach ging er zum Theologiestudium nach Freiburg im Breisgau und für ein Jahr an die Hochschule der Jesuiten in Frankfurt am Main. „In all den Jahren war die Berufung zum Priestertum präsent, obwohl mir bald klar wurde, dass ich eher nicht für den Dienst und das Leben als Pfarrer geschaffen bin“, erzählt Retschke. 2017 trat er dem Jesuitenorden bei. Über seine Beweggründe sagt er: „Ganz grundlegend wichtig war für mich die Erfahrung der Exerzitien, der geistlichen Übungen in Stille und Gebet mit Betrachtungen biblischer Texte und des Wirkens Gottes in meinem Leben.“ Exerzitien gehen auf Ignatius von Loyola zurück, auf einen der Ordensgründer. „Diese Form des Gebets und meine geistlichen Erfahrungen, aber auch die Lebensweise der Jesuiten in Kommunitäten mit einem einfachen Lebensstil, mit größtmöglicher Orientierung auf das sogenannte Apostolat –  also das Arbeiten in der jeweiligen Aufgabe, die sehr vielfältig sein kann und sich auf große Teile der Welt erstreckt –  kurzum, diese Fülle, Tiefe und Weite im Glauben gaben den Ausschlag“, so Retschke über seine Entscheidung

Jesuiten haben weder Klöster noch gemeinsames Stundengebet oder Ordenskleidung und nur selten Pfarreien. Sie sind in Bereichen wie Schulen, Flüchtlingsdienst, in spirituellen Zentren oder Entwicklungsprojekten tätig. „Die Grundmotivation ist: Gott in allen Dingen suchen und finden, indem eine besondere Aufmerksamkeit auf seine Bewegungen in der Gegenwart und im eigenen Inneren gelegt wird. Darum ist es so wichtig, an nichts zu stark zu kleben, denn Gott bewegt sich ständig“, erklärt der junge Mann. In Kolumbien beindrucke ihn der Einsatz für Versöhnung und Frieden der Jesuiten in dem bis heute von gewalttätigen Konflikten zwischen bewaffneten Gruppen bestimmten Land.

Der Mensch ist von Gott und der Schöpfung abhängig – auch als Mann

Seit 2021 lebt Fabian Retschke dort und schreibt seine Dissertation, in der es um die Auseinandersetzung mit dem männlichen Machtstreben geht.  Er erläutert: „Das, was man uns als ,wahres Mann-Sein‘ verkaufen will, ist eine Ideologie, die das Leben auf dem Planeten ruiniert: überlegen sein und beherrschen, sich bereichern, stark sein, das alles führt zu einem Zusammenleben im ständigen Wettstreit, der als Wirtschaftsordnung Gewässer, Böden, Luft und Beziehungen vergiftet.“ Dagegen findet er: „Den Menschen als von Gott und der Schöpfung abhängiges, in vielfältige Beziehungsnetze eingebundenes und nur in ihnen sinnvoll lebendes Wesen zu verstehen, soll eine christliche Sichtweise sein, die dem männlichen Machtstreben widersteht.“  

Über Kolumbien sagt der Jesuit: „Bereichernd ist, Bekanntes und Fremdes hier kennen- und schätzen lernen zu können. Fast jeder Taxifahrer hat ein Andachtsbild der Maria vom Karmel im Auto. Viele gehen regelmäßig in die Kirche, es gibt einige landeseigene Traditionen. Der Katholizismus ist, zumindest dem Anschein nach, noch recht selbstverständlich, mit allerdings sichtbaren Abbrüchen in den jüngeren oder eher progressiven Milieus. Die Fähigkeit, trotz der langen und sehr verletzenden Gewaltgeschichte hier immer wieder aufstehen und weitermachen zu können, zeugt von einer im Glauben verwurzelten Hoffnung.“ (ak/tdh)