Internationales Treffen der Religionen 2023 für den Frieden in Berlin
Mauern geben keine Sicherheit
Foto: Dorothee Wanzek
Vor einem Monat ist Magdalena Ziern vom Weltjugendtag zurückgekehrt. Das Internationale Treffen der Religionen für den Frieden in Berlin lässt die Erinnerung an Lissabon wieder aufleben: „Der Weltjugendtag war für mich ein Paradebeispiel gelungener Kommunikation. So viele Kulturen waren dort intensiv im Dialog verbunden“, erzählt sie am Ende der Berliner Forumsveranstaltung, die sie mit ihren Mitschülern des Bernhardinums Fürstenwalde besucht hat.
Zweieinhalb Stunden lang hat sie im Forum „Keine Mauer steht ewig“ gestandenen Persönlichkeiten aus Italien, Ruanda, Indien und dem Libanon zugehört, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln die aktuelle Lage der Welt betrachteten. Allen gemeinsam war die Überzeugung: Frieden kann nur durch gute Kommunikation wachsen, indem Konfliktparteien einander zuhören und zu verstehen suchen, was die anderen bewegt.
„Habt Mut!“ ist ein Satz, der während der Veranstaltung mehrfach fiel und den sich die Oberstufenschülerin zu Herzen nehmen will. Es lohnt sich, Ängste und Vorbehalte zu überwinden und aufeinander zuzugehen, ist ihr bewusst geworden. Auch ein Papst-Zitat, das einer der Podiumsteilnehmer in seinen Vortrag einbaute, hallt in ihr nach: „Von oben herab darf man andere nur ansehen, um ihnen aufzuhelfen“.
Die christliche Gemeinschaft Sant Egidio, die seit Anfang der 1980er Jahre die internationalen Treffen der Religionen für den Frieden ausrichtet, hatte Berlin als symbolträchtigen Ort des Mauerfalls für das 37. Treffen ausgewählt. Vom 10. bis 12. September kamen rund 1000 Teilnehmer verschiedener Religionsgemeinschaften in der deutschen Hauptstadt zusammen, um in Kundgebungen und Gottesdiensten ein Signal für den Frieden zu setzen und in 20 zum Teil parallel laufenden Foren neue Wege friedlicher Konfliktlösung auszuloten. „Das Gebet als Quelle des Friedens“ lautete ein Forumstitel, weitere standen unter der Überschrift „Kinderrechte als Verpflichtung der Erwachsenen“, „Migranten: von der humanitären Krise zur Integrationspolitik“ – und ganz vorne im Programm: „Keine Mauer steht ewig“. Magdalena Ziern hörte unter anderem Kardinal Matteo Zuppi zu, den Papst Franziskus jüngst zum Sonderbotschafter für die Friedensbemühungen zwischen Russland und der Ukraine ernannte.
„Mauern werden gebaut, wo Gerechtigkeit fehlt“
„Die Berliner Mauer und alle anderen Mauern dieser Welt haben tiefes Leid hervorgerufen“, rief der Italiener in Erinnerung und stellte die Frage in den Raum: „Warum investieren wir so viel in Mauern, wo sie doch so viel mehr Probleme schaffen als lösen?“ Die Erwartung, ohne Mauern breite sich Chaos aus, bezeichnete er als Illusion. Mauern verschärften Konflikte, führten auf beiden Seiten zu Angst und Gewalt und zur Unfähigkeit zu kommunizieren. In einer Nacht erbaut, brauche es oft Jahrzehnte, um sich von den Folgen eines Mauerbaus zu befreien. Mauern würden dort gebaut, wo es keine Gerechtigkeit gibt, betonte Matteo Zuppi. Es brauche mehr Friedenspropheten, die den Mut hätten, auch für unpopuläre Wahrheiten einzustehen, etwa für die Tatsache, dass Frieden nur gelinge könne, wenn Völker bereit sind, zum Wohl aller auf einen Teil der eigenen Souveränität zu verzichten. „Wir sind eine einzige Menschheitsfamilie; wenn wir das vergessen, erinnern uns Fakten wie die Pandemie daran“, sagte der Kardinal.
Über das Eigeninteresse des Staates hinausblicken
„Unsere polnischen Bischöfe sagen uns, es brauche die Mauer nach Weißrussland zu unserem eigenen Schutz“, merkte eine junge Polin an, die wie die Schülergruppe aus Fürstenwalde als Gast am Forum teilnahm. Sie verwies auf das Leid der Flüchtlinge, die jenseits der Grenze noch immer in weißrussischen Wäldern ausharren. Matteo Zuppi pflichtete ihr bei: „Was in den weißrussischen Wäldern geschieht, ist untragbar.“ Er halte es für wichtig, nicht in Mauern zu investieren, sondern Lernprozesse zu unterstützen, die Menschen verschiedener Kulturen dazu bringen, gut zusammen zu leben. Als wirkungsvolles Instrument bezeichnete er dabei die „Schulen des Friedens“ der Gemeinschaft Sant Egidio in Berlin und an anderen Orten weltweit, kulturelle Lern- und Begegnungsstätten für junge Menschen verschiedener Kulturen.
Der indische Hindu Puthan Veeti Rajagopal berichtete von Projekten seiner Organisation Ekta Parshad. Sie unterstütze indigene Völker, die ihrer Lebensgrundlagen beraubt und in städtische Slums vertrieben werden. Mit gewaltfreien Methoden Mahatma Gandhis trage Ekta Parshad dazu bei, Denkmuster zu verändern und politische, soziale und wirtschaftliche Mauern abzubauen.
Louise Mushikiwabo, langjährige Außenministerin von Ruanda, berichtete von ihrem Engagement für Versöhnung nach dem Völkermord an den Tutsi in ihrem eigenen Land. Sie selbst ist Tutsi und hat eigene Familienmitglieder verloren. Sie setzt für die Versöhnung besonders auf die junge Generation: „Die Jugend unseres Landes wünscht sich, den Hass zu überwinden und friedlich zusammen zu leben“, sagte sie. Wer Frieden sichern möchte, müsse über die Interessen des eigenen Landes hinausblicken, glaubt sie. Ruanda habe deshalb noch in der Phase des Wiederaufbaus Flüchtlinge aus Libyen aufgenommen und eine Schule für afghanische Mädchen gegründet.
Weltweit nimmt sie aktuell einen Stillstand der Friedensbemühungen wahr, weil zu wenige Politiker sich trauen, über die Interessen ihres Staates hinauszublicken. Sie hoffe auf andere Kräfte der Zivilgesellschaft, zu denen sie auch die Gemeinschaft Sant Egidio zählt: „Manchmal braucht es Organisationen, die das machen, was staatliche Stellen nicht tun“, meint Louise Mushikiwabo.
Für die Schüler des Bernhardinums gab es keine Gelegenheit, nach dem Forum mit Podiumsteilnehmern zu sprechen. „Wir werden in der Schule darüber im Gespräch bleiben und aufgreifen, was sie in Berlin gehört haben“, sagt Markus Mollitor, Gymnasial-Schulleiter im Bernhardinum. Er freue sich für seine Schüler über die Gelegenheit, beim Friedenstreffen über den eigenen Tellerrand zu schauen. Schule dürfe nicht unpolitisch sein, ist er überzeugt und sagt deshalb den Abiturienten gerne: „Ihr habt euch alle Rechte erworben, aber nicht das Recht, unpolitisch zu sein.“
Vieles, was sie in Berlin gehört habe, werde am Bernhardinum bereits gelebt, findet Magdalena Ziern. Sie sei bewusst an diese Schule gewechselt, weil man hier auf Augenhöhe miteinander kommuniziere, auch mit den Flüchtlingen, die hier regulär beschult werden. Es gebe regelmäßige Friedensgebete. Auf Initiative der Gruppe „Jugend Idente“ findet in den Pausen ein „World Youth Parliament“ (Welt-Jugend-Parlament) statt, an dem Christen und Jugendliche ohne religiöses Bekenntnis gemeinsam teilnehmen.
Mauern, die es abzubauen gilt, nimmt sie vor allem außerhalb ihrer Schule wahr, dort wo Gleichaltrige ausgegrenzt werden und wo man sich hinter Vorurteilen versteckt und nicht auf andere zugeht.