Anstoß 34/2023

Mitten im Leben

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Mein Großvater hatte in seiner Küche im Schrank einen Rosenkranz liegen. Er lag dort in einer Schublade neben vielen anderen Dingen, die er ab und an brauchte.

Seinen Rosenkranz jedoch gebrauchte er nicht nur ab und an, sondern täglich. Jeden Tag betete er einen Rosenkranz. Bevor er als Soldat in  den Ersten Weltkrieg zog, hatte ihm ein Beichtvater gesagt, er solle nie das Beten vergessen und ihm den Rosenkranz empfohlen. Das hat er Zeit seines Lebens beibehalten. 

Andrea Wilke
Andrea Wilke
Rundfunkbeauftragte/ Bistum Erfurt 

Ich finde die Erinnerung an den Rosenkranz in der Küche ganz schön. Dort im Küchenschrank lag er, griffbereit. Mein Großvater hätte ihn auch im Buffetschrank in der guten Stube, wie ein Wohnzimmer damals genannt wurde, aufbewahren können. Oder auf seinem Nachtschränkchen im Schlafzimmer. Aber nein, sein Rosenkranz lag in der Küche. Weil sich dort sein Leben abspielte. Die gute Stube war das Zimmer für Ausnahmen. Wenn sein Geburtstag gefeiert wurde oder, als er im hohen Alter nicht mehr in die Kirche gehen konnte, der Pfarrer ihm die Kommunion brachte. Aber die Küche war der Ort,  an dem er mehrheitlich war. Hier wurde nicht nur gekocht und abgewaschen, hier wusch er seine Wäsche, trank er seinen Kaffee, beantwortete die Post, las er die Zeitung und hielt am Küchentisch so manches Mittagsschläfchen. 
Das tägliche Beten, der Rosenkranz, hatte einen Platz mitten im Leben. Die Länge eines Rosenkranzes war für ihn nichts Zusätzliches. Sie gehörte zu seinem Tag dazu. 
In der letzten Zeit kam mir schon oft die Frage, ob wir, oder besser gesagt, ob ich zu wenig bete. Tagsüber bin ich mit Gott mehr oder weniger sporadisch im Gespräch, kleine Stoßgebete – mal als Dank, mal als Bitte. Abends schlafe ich nicht ohne das Vaterunser ein. Doch wäre es angesichts der gegenwärtigen Situation, die vielen Kriege in der Welt als ein Beispiel, nicht notwendig, mit vereinten Kräften den Himmel zu bestürmen? Nicht nur auf Stoßgebete beschränkt. 
Ein Rosenkranz am Tag (oder andere Gebete) für den Frieden – im Vertrauen auf das Wort Jesu „Bittet, und es wird euch gegeben“. Bei Gott bleibt nichts unerhört.

Andrea Wilke