Auf der Suche
„Ein bewusst offener Kirchort“
Fotos: Maria Schmidt
Hoch hinauf konnten Interessierte am 11. und 12. November in der St.-Wigbert-Kirche in Erfurt gelangen. Denn die Gemeinde lud dazu ein, ihren Kirchturm zu besteigen und in rund 30 Metern Höhe einen weiten Blick über Erfurt zu genießen. Anlass für diese nicht alltägliche Möglichkeit war das 550. Weihefest des Gotteshauses mitten im Zentrum der Stadt, das mit einer Ausstellung zur Geschichte, Führungen und Vortrag, Musik, Gottesdienst und Begegnung begangen wurde.
„Uns war es wichtig, dass die Menschen um uns von diesem Fest erfahren“, sagt Gerd Schmidt (74). Er ist seit Kindertagen Mitglied der Gemeinde, die seit 2017 als Kirchort zur Erfurter Innenstadtpfarrei St. Laurentius gehört. Ein solches Jubiläum sei schließlich für ein katholisches Gotteshaus in der ostdeutschen Diaspora eher selten. Im Übrigen verstehe sich St. Wigbert „als bewusst offene Gemeinde mit einer offenen Kirche“, betont Schmidt.
Sein Schwiegersohn Stephan Schmidt (52), der Mitglied im Kirchortrat Crucis-Wigbert ist (St. Crucis gehört seit 1982 dazu), kann das nur unterstreichen: „Wir möchten viele Menschen ansprechen und entwickeln verschiedene Aktivitäten, damit dies gelingt. Als Kirchort probieren wir gerade aus, wo unser Platz in der Stadtpfarrei ist“.
Offene Kirche, Ökumene, Willkommenskultur
„In St. Wigbert gibt es eine relativ starke Initiative von 20 überwiegend älteren Personen, die stetig die Kirche offen hält“, sagt Gerd Schmidt, der 16 Jahre Pfarrgemeinderatsvorsitzender und 12 Jahre Kirchenvorstandsmitglied war. Seinen Angaben zufolge würden in den Sommermonaten 70 bis 80 Personen täglich in das Gotteshaus schauen. Ein Vorteil sei natürlich die Lage am Erfurter Anger und direkt an einer Straßenbahn-Haltestelle. Es gäbe recht unterschiedliche Besucher: „Die einen schauen nur kurz rein, andere zünden eine Kerze an und beten, wieder andere suchen das Gespräch.“
Im Sinne einer Willkommenskultur würden in St. Wigbert vor jedem Sonntagsgottesdienst zwei Vertreter vom Kirchortrat besonders fremde und neue Gottesdienstbesucher begrüßen, sagt Kirchortsrat Schmidt. Um bewusst auch Nichtgemeindemitgliedern ein Angebot zu machen, lade die Gemeinde seit Jahren am Heiligabend zu einer Christvesper ein, zu der nicht zuletzt auch Familien kommen. Aber etwa auch die „Game Nights“ (Spiel-Nächte) für junge Leute oder der Seniorentreff im Wigberti-Hof an der Kirche richteten sich bewusst auch an nichtchristliche Erfurter. Seit eineinhalb Jahren lädt der Kirchort zudem monatlich zur Ma(h)lZeit ein. Dabei trifft sich eine eher kleine Gruppe von Interessierten, um sich „mal Zeit“ zum Reden über Probleme zu nehmen und auch gemeinsam „Mahl zu halten“.
Ein anderes wichtiges Thema am Kirchort sei die Ökumene, sagt Kirchortsrat Schmidt. Vor Jahren, damals noch als eigenständige Pfarrei mit Pfarrer Peter Mattheis, sei dazu eigens eine Partnerschaft mit der evangelischen Thomasgemeinde vereinbart worden. „Wir feiern gemeinsam zwei Familiengottesdienste im Jahr. In der Fastenzeit laden wir zusammen zum Kreuzweg durch die Stadt ein. Es gibt zum Beispiel auch einen ökumenischen Gemeindewandertag.“
Ökumenisch werde auch die Diakonische Kasse verwaltet und für sie um Spenden gebeten, ergänzt Gerd Schmidt. „Die Diakonische Kasse ist ein Spendentopf, aus dem Menschen unterstützt werden können, die neben einem in der Kirchenbank sitzen, nicht auffallen und unter Umständen in einer schweren Notsituation stecken.“
Wichtig ist der Gemeinde zudem gute Kommunikation, sagt Stephan Schmidt. „Nach jeder Sitzung des Kirchortrates wird beim nächsten Sonntagsgottesdienst ein kurzer Bericht gegeben.“ Wer aktuelle Informationen erhalten möchte, könne diese über Pfarrbrief und Gemeinde-Homepage, aber auch per E-Mail bekommen, vorausgesetzt, man hat der Verwendung der eigenen Adresse schriftlich zugestimmt. 120 Leute würden per Mail mit guter Resonanz regelmäßig erreicht. Informiert werde über Termine, aber zum Beispiel auch, wenn Leute für den Kirchenputz nötig sind.
Die Kinder- und Jugendarbeit finde gemeinsam mit den anderen drei Kirchorten auf Pfarreiebene statt, so Schmidt. Auch Familiengottesdienste würden von der Pfarrei angeboten. Darüber hinaus sei vieles in Bewegung. „Gerade ist probeweise eine neue Gottesdienstordnung beschlossen worden. In St. Wigbert findet nun ab Advent sonntags abwechselnd eine Eucharistie- oder eine Wortgottesfeier statt.“
Ehrenamtliche befähigen und Kirchorte erhalten
Schmidt hält es für wichtig, dass noch mehr Gemeindemitglieder für den Dienst als Diakonatshelfer befähigt werden. „Wir sollten jetzt die Zeit dafür nutzen. In wenigen Jahren haben wir voraussichtlich keine zwei Priester mehr wie jetzt. Es ist höchste Zeit, Ehrenamtliche dafür zu befähigen, dass die Gemeinden ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.“ Überhaupt habe er den Eindruck, dass notwendigen Prozessen in der Kirche zu wenig Zeit gegeben werde. „Entscheidungen fallen viel zu spät, oft, wenn es nicht mehr anders geht.“
Manches müsse in der Pfarrei gemeinsam passieren, sagt Schmidt. Zugleich gelte es, möglichst die Kirchorte zu erhalten: „Ältere, aber auch Jüngere sind in ihrem Kirchort verwurzelt und wollen dort Menschen begegnen, die sie kennen, und ein Stück Heimat finden.“
Kirchortsratsmitglied und Diakonatshelfer Winfried Weinrich (69) denkt ähnlich: „Solange dies mit haupt- und ehrenamtlichen Kräften leistbar ist, sollten wir die identitätsstiftende Rolle der Kirchorte erhalten und dort Angebote machen und Aktivitäten pflegen.“ Damit verbunden sei: „Wenn Ehrenamtliche Aufgaben übernehmen sollen, müssen sie dafür entsprechend vorbereitet werden und Verantwortung übertragen bekommen.“
Weinrich, aber auch die beiden Schmidts hoffen, dass die gut gelungene Feier des 550. Kirchweihfestes und die rege Beteiligung daran wieder mehr Gemeindemitglieder zur aktiven Teilnahme am Leben des Kirchortes Crucis-Wigbert motiviert.
Bewegte Geschichte
• um 1210 wird eine Kapelle St. Wigbert erwähnt
• um 1223 wird die St. Wigbertkirche Pfarrkirche
• 1291 Vernichtung der Kirche bei Stadtbrand
• 1409 Beginn des Turmbaus der heutigen Kirche
• 1472/73 Errichtung des Chorraumes und Weihe der neuen Kirche
• Nach der Reformation ist St. Wigbert immer wieder Pfarrkirche, dann auch Klosterkirche der Augustiner, Hofkirche der Kurmainzischen Statthalter und Garnisonskirche
• 1695 Augustiner stellen Neubauten wie Kreuzgang und Sakristei fertig
• 1822 Aufhebung des Klosters, Kirche bleibt katholische Pfarrkirche
• 1944 Kirche bei Luftminenabwurf beschädigt
• mehrmals Renovierung und Umgestaltung
• ab 1999 Einbau neuer Fenster zum Thema „Aufbrüche“
• 2003 Bau eines neuen Gemeindezentrums
• 2004 Altarweihe