Antijüdische Kunst im Erfurter Dom
Begegnung auf Augenhöhe
Fotos: Eckhard Pohl
Sie schmiegen sich aneinander. Und scheinen sich doch fremd zu sein. Zwei Gestalten, die sich gegenüber stehen. Im Gegensatz zu ihren weichen und doch spannungsgeladenen Formen unter Gewand mit Faltenwurf wirken die beiden Balken, die sie nicht ganz zueinander kommen lassen, massiv und kantig.
Seit einigen Wochen ist im Erfurter Dom St. Marien die Eichenholz-Skulptur „Synagoge und Ekklesia“ aufgestellt. Die beiden Frauengestalten personifizieren zwei Religionen: Die eine verkörpert das Judentum, die andere die Kirche, das Christentum, das aus dem Judentum hervorgangen ist. Die Stele steht für ein langes, problembeladenes Verhältnis und dessen Überwindung durch langsame Versöhnung.
Die Skulptur des in Arnstadt geborenen Künstlers Heiko Börner ist abstrakt. Dass es sich um zwei Menschen, zwei Frauen handeln soll, kann der Betrachter nur vermuten und aus dem Titel der Stele erschließen. Figürlich dargestellt hingegen sind die beiden Frauen draußen am Triangelportal des Domes: „Ekklesia ist den klugen Jungfrauen zugeordnet, die den Bräutigam Christus mit brennenden Öllampen erwarten. Ekklesia, also die Kirche, wird als Erfüllung des Alten Bundes verstanden“, erklärt Domführer Matthias Schmitt. „Synagoge hingegen ist auf der Seite der törichten Jungfrauen zu finden, deren Lampen nicht brennen, die sich dem Evangelium nach nicht auf das Kommen von Christus vorbereitet haben und denen deshalb Gericht und Hölle drohen.“ Synagoge steht nach mittelalterlichem Verständnis für das angeblich überholte Judentum, blind und verstockt.
„Solche Darstellungen gibt es auch anderswo“, sagt Schmitt, der seit 20 Jahren Interessierte durch den Erfurter Dom führt: „Im Magdeburger Dom, in Straßburg, im Bamberger, im Freiburger Dom. Synagoge trägt dort wegen ihrer angeblichen Blindheit im Blick auf Christus oft eine Augenbinde. In Erfurt musste im 19. Jahrhundert der Kopf der Synagoge erneuert werden. Das geschah ohne Augenbinde.“
Das über viele Jahrhunderte hinweg schwierige Verhältnis der Kirche zum Judentum habe im Erfurter Dom wie auch anderswo Spuren hinterlassen, betont der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr, der bei der Deutschen Bischofskonferenz für die Beziehungen zum Judentum zuständig ist. Das zeige sich etwa auch an einer „brutalen antijüdischen Schmähdarstellung im Chorgestühl“. Dort wird gezeigt, wie ein christlicher Ritter dabei ist, einen auf einer Sau reitenden Juden mit einem Spieß zu erstechen. „Das Chorgestühl wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gestaltet, kurz vor dem schrecklichen Judenpogrom 1349 in Erfurt, bei dem alle Juden der Stadt umgebracht oder vertrieben wurden. Die Schmähplastik hat also eine verheerende Wirkungsgeschichte.“
Ringen um angemessenen Umgang
Verantwortliche im Bistum Erfurt, besonders auch der Bischof, haben deshalb seit längerer Zeit nach einer angemessenen Form gesucht, den so viel Unheil stiftenden antijüdischen Einstellungen, die sich in der Kunst spiegeln, zu begegnen. Im Ergebnis ist nun die Stele von Börner am Eingang des Westportals aufgestellt worden. Bischof Neymeyr: „Das Westportal dokumentiert eine Zeit, in der Juden und Christen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts miteinander harmonisch in der Stadt lebten: Figuren von Moses und Paulus begrüßen am Eingang die Menschen, die den Dom betreten.“
Mitte Mai ist die neue Skulptur im Beisein des Künstlers, aber auch des Vorsitzenden der jüdischen Landesgemeinde Thüringens, Professor Reinhard Schramm, im Dom präsentiert worden. Schramm würdigte das Engagement des Erfurter Bistums, bewusst dem antijüdischen Erbe zu begegnen. Man könne solche Bildwerke entfernen, auch vernichten, oder durch entsprechende Tafeln an ihrem angestammten Ort brandmarken. „Bei 1000 vernichteten Synagogen in Deutschland hätte ich nicht geweint, wenn man diese antijüdische Skulptur (im Chorgestühl) herausgeschnitten hätte ... Aber Bischof Neymeyr und seine Mitstreiter haben einen besseren Weg gewählt. Ich achte das sehr“, sagte Schramm. Die Stele sei „ein Symbol unseres heutigen Miteinanders. Ich denke, das ist ein sehr kluger Weg, der hier in Erfurt beschritten wird.“ Luft nach oben gebe es natürlich immer. Vorstellungen der Denkmalpflege, auch antijüdische Kunstwerke an ihrem Platz zu belassen, könnten jedenfalls nicht der alleinige Maßstab sein. Schließlich könnten sie auch in Museen aufbewahrt werden.
Seit Jahren wird darüber diskutiert, wie mit antijüdischem Erbe in und an Kirchen am besten umzugehen ist. Prominentes Beispiel ist die „Judensau“-Darstellung außen an der evangelischen Stadtkirche St. Marien in Lutherstadt Wittenberg. In vier Metern Höhe ist auf einem Relief ein Schwein zu sehen, an dessen Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Stand ist, dass die Darstellung an ihrem Platz belassen wird und sichtbar bleibt. In der Kirche informiert die Gemeinde mittels Aufstellern über Judenfeindlichkeit im Christentum, Antijudaismus bei Martin Luther und Verschwörungstheorien. Außen unterhalb der Schmähdarstellung bittet sie auf einer schon 1988 in den Boden eingelassenen Platte und auf einer neuen Stele „Gott und das jüdische Volk“ um Vergebung. Zudem heißt es: „Die Evangelische Kirche sieht sich in der Verantwortung, ihren Anteil zur jahrhundertelangen Gewaltgeschichte gegen Juden kritisch aufzuarbeiten und gegen Antijudaismus und Antisemitismus aktiv einzutreten.“ In Deutschland gibt es Fachleuten zufolge rund 30 „Judensau“-Darstellungen, zum Beispiel auch in Zerbst oder im Nordhäuser Dom.
Auch in Erfurt hat man sich dafür entschieden, die Kunstwerke im Dom, zu denen auch noch ein Kreuzigungs-Gemälde mit antijüdischem Affront gehört, an ihrem Ort zu belassen. „Das Entfernen oder Verhüllen würde den Eindruck erwecken, wir wollten uns von unserer Geschichte verabschieden“, so Bischof Neymeyr bei der Präsentation der neuen Stele. In Erfurt legt das Domkapitel St. Marien nahe der Skulptur einen Flyer „Zum Verhältnis von Christentum und Judentum“ aus. Darin finden sich kurze Erläuterungen zu den judenfeindlichen Bildwerken, ein weiterer Abschnitt ist der neuen Stele gewidmet. Zu Beginn wird kurz erklärt, wie es auch durch theologische Aussagen zum Judenhass kam. In einer Stellungnahme bitten Domkapitel und Gemeinde „das jüdische Volk um Vergebung“ und erinnern an den Wandel im Verhältnis zwischen Judentum und Katholischer Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. In vielen fruchtbaren Dialogen sei seitdem ein Vertrauensverhältnis gewachsen. Ein Höhepunkt dabei sei gewesen, dass „die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum 2015 erklärt hat, Gott habe den Bund mit Israel niemals aufgekündigt, sodass es keine institutionalisierte Judenmission geben dürfe“, heißt es in dem Flyer. Von herausragender Bedeutung sei zudem die Bitte „um Vergebung für Sünden und Verfehlungen gegenüber den Juden“ gewesen, die Papst Johannes Paul II. anlässlich des Heiligen Jahres 2000 im Petersdom gesprochen hat.
Beide Religionen gleichwertig dargestellt
Künstler Heiko Börner, der „Synagoge und Ekklesia“ bereits 1999 als seine Abschlussarbeit an der Meisterschule für Holzbildhauerei München schuf, lässt die beiden Religionen in seinem Werk bewusst gleichwertig gegenübertreten. „Mir war wichtig, dass nicht erkennbar ist, wer wer ist. Ich wollte Begegnung auf Augenhöhe schaffen ... als würdevolles Miteinander.“ Bedeutsam seien auch die Balken, die mit ihren Spitzen nach oben weisen. „Gelesen als empor wachsender Zeitstrahl ist die Basis der Skulptur als gemeinsamer Ursprung beider Religionen interpretierbar, gefolgt von einem spannungsvollen Nebeneinander mit nach oben hin offenem Ausgang.“
„Versöhnung ist meist ein langer Prozess“, sagt Bischof Neymeyr. „Er kann ein Menschenleben dauern oder auch Generationen herausfordern, ja mitunter ist Versöhnung nur im Angesicht Gottes möglich.“