Der Theologe Thomas Söding über die Weltsynode im Vatikan
„2024 brauchen wir Antworten“
Foto: Osservatore Romano/Romano Siciliani/kna
Was erhoffen Sie sich von der Synode?
Die katholische Kirche braucht eine Reformdebatte. Wie will sie sich künftig aufstellen, um die Zeichen der Zeit zu erkennen und daraus vernünftige Schlüsse zu ziehen? Dafür ist die Synode ein erprobtes Instrument. Gleichzeitig wurde sie auch runderneuert, etwa durch die Ernennung von 80 Synodenteilnehmerinnen und -teilnehmern, die keine Bischöfe sind.
Aber was ist Ihre persönliche Hoffnung?
Meine persönliche Hoffnung besteht darin, dass die Probleme, die ja klar identifiziert worden sind, nicht unter den Teppich gekehrt werden. Ich hoffe, dass es eine respektvolle Atmosphäre des Miteinanders, des Hörens und Argumentierens gibt. Schließlich besteht meine Hoffnung darin, dass wir bei der notwendigen Einheit der katholischen Kirche akzeptieren, dass gleichzeitig unterschiedliche Formen und Wege möglich sind.
Was kann am Ende dieser Synode stehen?
Die Synode ist auf zwei Jahre angelegt. Allein das zeigt, dass sehr viel im Raum steht, was sorgfältig bedacht werden muss. Nicht nur in der Synodenaula, sondern auch in der Zeit dazwischen. Wir brauchen einen intensiven Austausch. Wenn der in der nötigen Offenheit im Oktober 2023 angestoßen wird, besteht die Chance, 2024 einige Eckdaten für die Zukunft festzumachen. Wir müssen den Zentralismus relativieren. Wir wollen zusammenhalten, aber wir brauchen zwischen Asien und Lateinamerika, zwischen Afrika, Nordamerika und Europa auch Unterschiede. Wir wollen alle 100 Prozent katholisch sein, aber auf eine Art, wie sie zur Kultur des Landes oder Kontinents passt.
Die Synode wird im nächsten Jahr fortgesetzt. In diesem Jahr brauchen wir also nicht auf greifbare Ergebnisse zu hoffen?
In diesem Jahr wird es wichtig sein, dass sich die katholische Kirche ehrlich macht und identifiziert, wo der Schuh drückt. Das wäre schon ein erstes Ergebnis. Der Schuh drückt nicht, weil die böse Welt Probleme in die Kirche hineinträgt. Es gibt im Inneren der Kirche zu viele Probleme. In der katholischen Kirche wird von Anfang an alles geteilt – vor allem der Glaube, warum dann nicht auch die Macht? Das bisherige System ist stark historisch bedingt und ich meine, es habe seinen Zenit längst überschritten.
Was haben die Synode und der deutsche Synodale Weg gemeinsam?
Es geht bei beiden um Fragen der Leitung. Wir haben eine einseitige Konzentration des katholischen Kirchenbildes auf die Person und Position des Bischofs. Es gehört zum Kern der neutestamentlich begründeten Kirchenlehre, dass eine Leitungsfunktion mit dem bischöflichen Amt verbunden ist. Aber dass die Monarchie die beste Regierungsform der Kirche sei, steht nirgendwo im Neuen Testament. Wir brauchen neue Partizipationsstrukturen. Die werden unterschiedlich aussehen, aber sie sind nötig.
Was sind weitere Gemeinsamkeiten?
In den internationalen Befragungen sind mindestens drei Themen benannt worden, die absolut brennend sind in der Weltkirche. Erstens die Überbetonung der Bedeutung, die Glorifizierung des Priesters, also das, was die Texte Klerikalismus nennen. Zweitens die Zurücksetzung von Frauen und die mangelnden Beteiligungsrechte von Frauen in der Liturgie, in der Leitung, in der Lehre. Und drittens, dass Menschen, die ihr Leben anders führen, als es der Katechismus vorsieht, ausgeschlossen werden. Die Kirche will aber eine inklusive Kirche sein. Ich erkenne eine sehr starke Schnittmenge von dem, was uns in Deutschland aus der Aufarbeitung des Missbrauchs heraus beschäftigt hat, und dem, was weltweit eine Rolle spielt.
Was sind die Unterschiede zwischen dem Synodalen Weg in Deutschland und der Weltsynode?
Der größte Unterschied besteht meines Erachtens darin, dass wir in Deutschland eine ganz klare Beratungs- und Entscheidungsstruktur geschaffen haben. Mit der Synodalversammlung, mit dem Synodalen Ausschuss, mit dem Synodalen Rat, der anschließend eingerichtet werden soll. Das erklärt sich aus der langen Geschichte der engen, nicht konfliktfreien, aber konstruktiven Beziehung zwischen der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Eine vergleichbare Konstellation kennt die römisch-katholische Kirche weltweit nicht.
Das ist ja auch eine Kulturfrage – in Afrika etwa ist das „Palaver“, das bei uns negativ besetzt ist, ein Weg, um zu Entscheidungen zu kommen. Das wurde beim afrikanischen Vorbereitungstreffen betont. Waren wir in Deutschland vielleicht zu sehr auf Effizienz und schnelle Ergebnisse fixiert?
Wir haben in Deutschland vor den Synodalversammlungen in den Foren ja sehr lange gesprochen, über jedes Wort. Es gab also viel mehr Beratung, als öffentlich wahrnehmbar war. Nur so erklären sich auch die großen Mehrheiten. Aber natürlich gibt es Mentalitätsdifferenzen zwischen den Kulturen. Ich habe den Eindruck, dass es Franziskus im Moment wichtiger ist, dass die Fragen auf die Tagesordnung kommen, als dass schon die Antworten feststehen. Das kann ich für den weltweiten Prozess der Kirche gut nachvollziehen. Aber 2024 brauchen wir einige Antworten. Eine Synode ist jedoch kein Konzil, sondern ein Beratungsorgan des Papstes. Er hat das letzte Wort.
Viele Menschen in Deutschland warten nicht auf die Fragen, sondern auf Antworten.
Ich auch. Wir können auf keinen Fall die Lösungen der Probleme, die wir in Deutschland angehen können, mit Verweis auf den weltweiten Prozess auf die lange Bank schieben. Das versuchen Einzelne. In vielen Diözesen sind aber längst Umsetzungsprozesse angestoßen worden. Nehmen wir das Thema Beteiligung des Kirchenvolkes an der Ernennung des Diözesanbischofs. Das wurde in Paderborn und Osnabrück aufgegriffen. Man findet vielleicht nicht schon die ideale Lösung, aber eine akzeptable. Andere Bistümer werden folgen. Das wird künftig einfach zur Kultur gehören.
Was wird Ihre Aufgabe bei der Synode sein?
Ich bin ein Experte. Das bin ich zum vierten Mal bei einer Bischofssynode. Wir sind ein großes, internationales Team aus der Theologie und anderen Wissenschaften. Wir arbeiten im Hintergrund. Wir beobachten die Diskussionen im Plenum und in den Kleingruppen und filtern Argumente und Schlüsselworte heraus. Was sind Leitlinien der Argumentation? Welche Konflikte werden offen oder verborgen angesprochen? Was sind die wichtigsten Themen, auf die sich die Synode verständigen kann? Was fehlt? Unsere Arbeit geht dann an die Leitung der Synode, die die Ergebnisse festhalten muss.
Wie bereiten Sie sich vor?
Die Zeit, die ich in den Synodalen Weg in Deutschland investiert habe, ist schon ein Stück Vorbereitung. Einfach durch die praktische Erfahrung, wie Synodalität funktioniert. Ich war in Prag als Delegierter bei dem europäischen Vorbereitungstreffen und habe diese sehr diverse Szene in Europa – Nord, Süd, Ost, West – wahrgenommen und viele Kontakte geknüpft. Ich bin über das ZdK und das Synodalpräsidium auch international viel im Gespräch. Ich nehme an Kongressen zum Thema teil. Selbstverständlich gehört auch dazu, die entsprechenden Dokumente intensiv zu lesen. Die Papiere der Kontinentalsynoden, aber auch besonders das Arbeitspapier, das Instrumentum laboris der Weltsynode. Respekt vor dieser Leistung. Welche andere weltumspannende Organisation schafft es, sich auf eine solche Problemanzeige zu verständigen? Die Vereinten Nationen zum Beispiel nicht.
Sie fahren im Oktober für vier Wochen nach Rom. Kommen Sie da zwischendurch eigentlich auch mal nach Hause?
Das Programm beginnt montags um 8 Uhr und endet samstags am frühen Nachmittag. Soll ich da schnell nach Hause fliegen, um von Samstag auf Sonntag zu Hause zu schlafen? Das wird ein Marathonlauf.
Was muss geschehen, damit Sie nach dem Ende der vier Wochen sagen, mein Engagement hat sich gelohnt?
Wir müssen die entscheidenden Themen klar identifizieren und die Notwendigkeit einer Strukturreform der katholischen Kirche markieren. Es sollten auch Zeichen erkennbar sein, wohin die Reise geht. Wir dürfen nicht nur reden und diskutieren. Ich bin nicht der Einzige, der dann ungeduldig wird. Ich glaube auch nicht, dass man über gar nichts jetzt schon entscheiden könnte. Wir brauchen insgesamt einen Mentalitätswandel für eine Einheit in Vielfalt. Wenn ich den Eindruck habe, das könnte was werden, bin ich zufrieden.
Und wann sind Sie unzufrieden?
Wenn die Ideologisierung des Themas Synodalität, die Teile der digitalen Welt vergiftet, in die Synodenaula schwappt. Die Gefahr gibt es. Reaktionäre Interessengruppen wollen sehr starken Einfluss ausüben. Das dürfen wir nicht zulassen.