Missbrauchsskandal in Deutschland
Ackermann: "Bedrückend und beschämend"
Laut einer von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie hat es in den vergangenen Jahrzehnten 3677 Opfer sexueller Übergriffe von mindestens 1670 Priestern gegeben. Die Studie löst heftige Reaktionen aus.
Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, hat mit Bestürzung auf die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zu Missbrauch in der deutschen Kirche reagiert. "Wir wissen um das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs, das durch die Ergebnisse der Studie belegt wird. Es ist für uns bedrückend und beschämend", erklärte der Trierer Bischof in Bonn. Er sei davon überzeugt, "dass die Studie eine umfangreiche und sorgfältige Erhebung ist, die Zahlenmaterial und Analysen bietet, aus denen wir weiter lernen werden".
Unter anderem hatten der "Spiegel" und die "Zeit" über eine Zusammenfassung der Studienergebnisse berichtet. Wissenschaftler hatten dafür seit 2014 mehr als 38000 Akten aus allen 27 deutschen Bistümern ausgewertet. Dabei hatten sie 3677 Opfer sexueller Übergriffe sowie mindestens 1670 Täter im Zeitraum von 1946 bis 2014 identifiziert. Die Dunkelziffer liege vermutlich höher, hieß es.
Dass erste Ergebnisse nun vorab schon veröffentlicht worden seien, nannte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz gerade mit Blick auf die Betroffenen verantwortungslos. "Der Vorgang ist umso ärgerlicher, als bislang noch nicht einmal den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz die Gesamtstudie bekannt ist." Mit Blick auf die Betroffenen sexuellen Missbrauchs sei "die verantwortungslose Vorabbekanntmachung der Studie ein schwerer Schlag".
Die Studie soll während der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe vom 24. bis 27. September vorgestellt werden. Es sei geplant, dann auch eine Hotline für Betroffene von sexuellem Missbrauch freizuschalten, die aufgrund der Berichterstattung aufgewühlt seien, so Ackermann.
Betroffene von sexueller Gewalt und Kirchenvertreter forderten Konsequenzen aus der Studie. So plädierte die Opferinitiative Eckiger Tisch für eine Teilnahme von Missbrauchsopfern an dem von Papst Franziskus geplanten Spitzentreffen zu dem Thema im Vatikan. Papst und Bischöfe müssten immer noch lernen, "uns zuzuhören", sagte der Mitbegründer des Eckigen Tischs, Matthias Katsch, dem ZDF-Morgenmagazin. Der Papst will sich vom 21. bis 24. Februar mit den Chefs der Bischofskonferenzen weltweit im Vatikan beraten. Bei der von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie bemängelte Katsch, dass die daran beteiligten Wissenschaftler keinen direkten Zugriff auf die kirchlichen Archive gehabt hätten.
Für die Kirche sei eine Debatte über den Zölibat zentral, so Katsch, "weil es nicht lebbar ist, weil es dazu führt, dass Menschen im Geheimnis, in der Intransparenz leben, und das ist ein Milieu, in dem alle Formen von Gewalt wuchern und Kinder eben besonders gefährdet sind".
Der Jesuit Klaus Mertes, der 2010 maßgeblich zum Bekanntwerden des Missbrauchsskandals beigetragen hatte, erklärte, die Weltkirche werde aus der Krise grundlegend verändert hervorgehen. Mertes sieht die vorzeitige Weitergabe der Studie an die Medien als Zeichen: "Die Kirche verliert die Kontrolle und damit auch die Deutungshoheit über die Aufarbeitung von Missbrauch", schrieb der Direktor des Jesuitenkollegs Sankt Blasien in einem Beitrag für das Internetportal katholisch.de.
Daraus könne man der Kirche in Deutschland nicht den Vorwurf machen, "dass sie es war, die diese Studie initiierte", so der Jesuitenpater. "Nur: Damit gibt es eben auch das Glaubwürdigkeitsproblem." Dieses Glaubwürdigkeitsproblem könne die Kirche nicht in eigener Regie lösen. "Aber sie könnte Konsequenzen auch in ihren eigenen Strukturen dahingehend ziehen, dass sie selbst mehr zu einer glaubwürdigen Aufarbeitung beitragen kann, zum Beispiel durch mehr innerkirchliche Gewaltenteilung." (kna)