Mehr Attraktion durch kulturelle Mitnutzung

Alarm für Frankreichs Kirchen

Image

Die Bausubstanz bröckelt: 40.000 der rund 42.000 Kirchen und Kapellen in Frankreich sind vor 1905 gebaut. Was soll aus ihnen werden?

Foto: kna/Corinne Simon
Kapellen und Kirchen in Frankreich: Häufig sind sie schon über 100 Jahre alt, die Kosten für ihren Erhalt steigen und es ist unklar, wie sie zukünftig genutzt werden sollen. Foto: kna/Corinne Simon


Frankreichs Kirchen geht es schlecht. Und damit sind ausnahmsweise mal nicht die Institutionen gemeint, die von Mitgliederschwund, Aufarbeitung von Missbrauch und internen Querelen befallen sind. Nein, diesmal geht es um die Gebäude; das kulturelle Erbe.

Säkularisierung, Landflucht, Gemeindeumstrukturierungen und wachsende Haushaltszwänge der Kommunen. All das macht nicht nur den Pfarreien, sondern auch den Gesetzgebern Sorgen. Schließlich wurden von den 42.300 Pfarrkirchen und Kapellen in Frankreich 40.300 vor 1905 erbaut - und sind somit, gemäß dem Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat - Eigentum der öffentlichen Hand. Die Baulast der Pfarrkirchen obliegt zumeist den Kommunen, die der Kathedralen den nationalen Behörden.

Bürgermeister aus ländlichen Gebieten hatten beim Kulturausschuss des französischen Senats Alarm geschlagen - und der Ausschuss beauftragte die Senatoren Anne Ventalon (Republikaner, LR) und Pierre Ouzoulias (Kommunisten, CRCE-Fraktion) im Februar mit eigenen Recherchen zum Thema. Nun legten sie der zweiten Parlamentskammer ihre vorläufigen Empfehlungen zum Zustand des religiösen Erbes vor, wie die Zeitung La Croix berichtete.

Der erste Befund: Trotz zu unregelmäßiger Baumaßnahmen sind die Kirchen auf dem Lande vorerst nicht "in einem zu schlechten Zustand". Auch drohe noch nicht unmittelbar eine allmähliche Aufgabe des religiösen Erbes. Allerdings sei eine "rasche Verschlechterung" zu befürchten.

"Das Risiko besteht nicht so sehr darin, dass das Erbe in die Hände privater Eigentümer übergeht, wie es in angelsächsischen Ländern geschieht, wo alte Kirchen in Geschäfte, Hotels, Supermärkte oder Nachtclubs umgewandelt wurden", zitiert die Zeitung aus dem Vortrag der beiden Senatoren. "Architektonische Zwänge" - also Renovierungsstau und Umbaumaßnahmen - weckten nur "mäßig" Begehrlichkeit der Investoren.

Aber, so die Berichterstatter, ein Mangel an Nutzung und Wartung eines Teils dieser Gebäude könnte einen Abriss auf Dauer "unvermeidlich" machen. Diese Gefahr drohe besonders den Kirchen des 19. Jahrhunderts, die rund 30 Prozent des Bestandes an Pfarrkirchen ausmachen. Sie seien mit Blick auf die heutigen Bedürfnisse zu groß und "architektonisch weniger interessant". Schon bis 2030 seien 2.500 bis 5.000 dieser Gebäude in Gefahr, aufgegeben, verkauft oder abgerissen zu werden.


Kirchen sollen auch für nichtreligiöse Bevölkerung nützlich sein

Die wichtigste Empfehlung der beiden Senatoren: Gerade Kirchen im ländlichen Raum sollten sich öffnen für parallele nichtkultische Nutzung, sollten "nützlich" werden auch für den nichtreligiösen Teil der Bevölkerung. Konkreter heißt das: Orgel- und sonstige Konzerte, Fotoausstellungen könnten Aktivitäten sein, die sich an Bedürfnissen der Bürger nach Bildung und Gemeinnützigkeit orientieren. Weitere Vorschläge im Senatsbericht: "In jüngster Zeit wurden Kirchen im Rahmen des Hitzewelle-Plans als Unterstände genutzt. Warum könnten sie morgen nicht zum Beispiel Studenten aufnehmen, die für ihre Prüfungen lernen?"

Diese Idee stammt von Benoit de Sagazan, Chefredakteur der Zeitschrift "Le Monde de la Bible" und Leiter des Institut pelerin du patrimoine. Er sprach mit den Senatoren etwa über eine Kirche in der Vendee, die sieben Monate im Jahr zu einem Zentrum zum Umgang mit Buntglas geworden ist. Oder über eine Kirche in Lyon, die in ihrer Krypta einen genossenschaftlichen Lebensmittelladen und im Eingang einen "Ort des Zuhörens" für Studierende beherbergt. Noch "schüchtern" nennt der Experte solche Initiativen; und er erinnert daran, dass Kirchen bis zur Französischen Revolution "sowohl religiöse Kultorte als auch Orte der Geselligkeit" waren.

Der Generalsekretär der Französischen Bischofskonferenz, Hugues de Woillemont, wandte sich zwar nicht grundsätzlich gegen eine Mitbenutzung. Es gelte aber wachsam zu bleiben, insbesondere angesichts möglicher "Teilung" von Kirchengebäuden. So dürfe am Ende nicht dabei herauskommen, dass Gottesdienste nur im Chor stattfinden. Alle Teile des Gebäudes seien Ausdruck des Glaubens. Das Thema liege aber auf dem Tisch.

Der kommunistische Berichterstatter Ouzoulias sagte, man sei sich der "Spannungen" bewusst, die das Thema hervorrufen könne, vor allem in ländlichen Gebieten. Die Gespräche der vergangenen Monate habe man zumeist mit Pfarrern, Bistümern und Kommunen geführt; sie müssten auf Pfarrgemeinden und Dorfgemeinschaften ausgeweitet werden. "Wenn wir sie vor vollendete Tatsachen stellen, werden wir auf Ablehnung stoßen."

kna