Jedes Silvester zerbersten in der Berliner Kirche St. Elisabeth Scheiben

Alle Jahre wieder

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Jedes Silvester zerbersten in der Berliner Kirche St. Elisabeth Scheiben unter dem Beschuss mit Feuerwerkskörpern. Die zuständige Pfarrei St. Matthias fühlte sich bisher von der Polizei allein gelassen, hofft aber auf Besserung.

Das volle Programm: oben eines der zerbrochenen Fenster, unten der mit Farbe bekleisterte Eingangsbereich.    Fotos: Pfarrer Izidor Pecovnik

Die Telefonnummer vom Glaser kennen sie in der Pfarrei St. Matthias Berlin-Schöneberg inzwischen auswendig. Mehr als einmal musste dieser zur Kirche St. Elisabeth in die Kolonnenstraße bestellt werden, weil dort die Scheiben zu Bruch gegangen sind. Seit einigen Jahren ist das Kirchenportal Zielscheibe von Zerstörungslustigen, die sich in der Silvesternacht versammeln und ihre Raketen auf die Kirche richten. „Wir haben den Eindruck, es ist immer die gleiche Klientel, die sich hier einfindet“, sagt Pfarrer Josef Wieneke.

Das Ergebnis kann man noch heute sehen: Die Fenster der Portalfassade des Gotteshauses sind an drei Stellen zerbrochen. Dazu passt die Beschmierung der Klinkerfassade mit roter Farbe, die allerdings nicht auf das Konto der Silvester-Pyromanen geht. Schön ist anders.

Beschuss mit Silvesterraketen
Hauptleidtragender neben der Kirche ist Pfarrer Izidor Pecovnik, den alle nur „Dori“ nennen. Bereits seit sieben Jahren erlebt er, wie sich an Silvester Schießwütige, überwiegend junge Menschen auch aus der Nachbarschaft im Alter von 20 bis 30 Jahren, mit ihrem Arsenal vor der Kirche einfinden. So auch diesmal.
„Die meisten schießen ihre Feuerwerkskörper in die Luft. Dagegen ist auch nichts einzuwenden“, sagt Pfarrer Dori. Einige jedoch hätten wieder ganz gezielt die Kirche ins Visier genommen, unter beifälligem Gejohle der anderen. Dies habe er deutlich beobachten können, zumal in der Straße wieder nur St. Elisabeth Schäden genommen habe.
Doch nicht nur das Kirchengebäude selbst wurde auf diese Weise attackiert, berichtet Pfarrer Dori. Auch das benachbarte Pfarrhaus, in dem der Priester seit 26 Jahren wohnt, sei schon häufiger beschossen worden. Vor einigen Jahren habe eine Rakete sogar eine Scheibe durchbrochen und die Gardine in Brand gesetzt. Zum Glück ist er damals daheim gewesen, erzählt Pfarrer Dori. Seitdem könne er in der Silvesternacht das Haus nicht mehr verlassen, um den Jahreswechsel mit Familie und Freunden zu feiern.
„Ich liebe meine St. Elisabeth-Kirche und ich liebe meinen Beruf als Pfarrer, aber da fühlt man sich bedroht. Das ist schon bösartig“, sagt er. Zumal es sich teilweise um gefährliche Geschosse handele, schließlich seien sogar die verstärkten Scheiben der Kirche durchdrungen worden. Woher die Angriffslust auf die Kircheneinrichtungen rühre? Darüber wolle er nicht mutmaßen. „Ich bin niemand, der vorschnell urteilt. Gern würde ich mal mit diesen Leuten reden, aber meine Gesundheit möchte ich dafür nicht aufs Spiel setzen.“

Hoffnung auf mehr Durchgreifen der Polizei
Und die Polizei? Natürlich hat man die Vorfälle stets angezeigt. Wirklich passiert ist jedoch herzlich wenig, Täter wurden bisher keine ermittelt. Auch die öffentliche Empörung darüber, dass eine Kirche schon öfter bewusst angegriffen wurde, hielt sich in engen Grenzen.
Doch nun hat Pfarrer Dori neue Hoffnung gefasst. „Man spürt, dass es diesmal anders ist. Es scheinen sich mehr Menschen als vorher dafür zu interessieren. Die Polizei hat sich direkt bei uns gemeldet. Wir haben jetzt einen Ansprechpartner und glauben fest daran, dass ernsthaft ermittelt wird“. Die Polizei bestätigt, dass Anzeige wegen Sachbeschädigung gestellt wurde, könne sich zu dem laufenden Verfahren allerdings noch nicht äußern.
Er habe noch immer Vertrauen in die Polizei. Er verstehe auch, dass diese – gerade an Silvester – nicht überall gleichzeitig sein könne. Trotzdem wünsche er sich, dass ein paar Polizeibeamte zum Jahreswechsel einmal demonstrativ vor Ort wären, um ein Zeichen zu setzen.
Die Polizei wollte gegenüber Tag des Herrn eine solche Präsenz vor St. Elisabeth nicht versprechen. Immerhin: Im Hintergrund werde „die Gefährdungslage fortlaufend bewertet, um rechtzeitig durch Anpassungen von Schutzmaßnahmen reagieren zu können.“ Was das nun konkret bedeuten mag? Das weiß man in knapp einem Jahr.

Attacken auch aus der politischen Ecke
Doch nicht nur Vandalen haben sich St. Elisabeth in der Vergangenheit als Betätigungsfeld ausgesucht. Zuletzt traten Gegner der Corona-Maßnahmen auf den Plan, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen. „Gegen 2G“ und „Kirche für alle“, sprühten sie mit schwarzer Farbe auf den Gehsteig rechts vom Eingang.

Pfarrer Dori bei der Taufe in seiner Heimatkirche St. Michael während seines Urlaubs im slowenischen Vransko.

In der Regel sind es aber Aktivisten von linksaußen, die für ungewollte Farbtupfer sorgen. Radikale Abtreibungsbefürworter haben die Kirche in der Vergangenheit mehrfach mit Parolen versehen, zum Beispiel „My Body, my Choice“ (dt. mein Körper, meine Entscheidung).
Auf dem linksautonomen Portal „Indymedia“ erklärten die Urheber, St. Elisabeth habe ihre Räumlichkeiten vor dem Marsch für das Leben 2019 Abtreibungsgegnern zur Verfügung gestellt. Überhaupt würden die Institution Kirche und die Bibel „mit dem Patriarchat eine menschenverachtende Ideologie“ fördern. Weil „kirchliche Häuser“ mitunter strukturell Teil der „Neuen Rechten“ seien, gelte es, diese anzugreifen.
„Wir hoffen nach wie vor auf einen Dialog und beten für die Täter“, schrieb Pfarrer Wieneke einmal auf der St.-Matthias-Website. Bisher habe sich leider noch niemand gemeldet, um inhaltlich Standpunkte zu dem Streitthema auszutauschen.
Finanziell sei die Beseitigung der Schäden für die Pfarrei eine enorme Belastung. „Wenn man das Ganze summiert, ist man im fünfstelligen Bereich“, so Pfarrer Wieneke. Ohne teure Zusatzversicherung bleibe man meist auf den Kosten sitzen, auch wenn das Erzbistum schon mal Geld beigesteuert habe.

St. Elisabeth ist Integrationsstütze
Ob sich die Täter aus dem linken Spektrum wirklich mit ihrer Projektionsfläche beschäftigt haben? Schließlich ist St. Elisabeth nicht irgendeine Kirche. Seit 1989 ist hier die Slowenische Katholische Mission zu Hause. Mehrere Generationen Berliner Slowenen fühlen sich hier auch dank St. Elisabeth zu Hause.
„Die Menschen hier haben uns mit aller Herzlichkeit aufgenommen, es wurden wahre Freundschaften geschlossen und viele Gemeinsamkeiten gefunden“, schrieb Pfarrer Dori in einem Beitrag. „So werden wir Slowenen für immer hier bleiben und unseren Beitrag zur Bereicherung der Multikultur der großen Hauptstadt Berlin beisteuern.“
Neben der slowenischen ist auch die Englischsprachige Katholische Mission in St. Elisabeth beheimatet. Ihre Mitglieder sind Menschen, die schon lange in Berlin leben und solche, die neu angekommen sind – unter anderem auch Flüchtlinge.
Auch in der Ferne hilft St. Elisabeth mit. Die Gelder aus der Mittwochskollekte der gesamten Pfarrei gehen regelmäßig in den Senegal, tragen dort dazu bei, dass Kinder in die Schule gehen und später einen Beruf erlernen können – und dass ihren Familien Ackerflächen zur eigenen Bewirtschaftung zur Verfügung stehen.

Neue Geschlossenheit gefunden
Ihr Gutes haben die jüngsten Angriffe auf St. Elisabeth in der Silvesternacht in gewisser Weise dennoch, sagt Pfarrer Dori. Die gesellschaftliche Zerrissenheit, die er zuletzt auch in Gemeinde und Umfeld wahrgenommen habe, gehöre aktuell der Vergangenheit an. „Überall war Spaltung, doch nun habe ich das Gefühl: Wir sind wieder vereint.“
Mitglieder der eigenen und anderer Gemeinden, auch die Kollegen aus der Priesterschaft, darunter jene, mit denen er nicht immer über alles einer Meinung sei: „Alle haben mit mir gelitten, mir Beistand geleistet und Mut zugesprochen. Das war ein schönes Gefühl.“ Wenn sie angegriffen wurde, sei die Kirche eben schon immer besonders stark gewesen, sagt der Priester.

Von Stefan Schilde