Gedanken zum Hochfest der Erwählung Mariens von Bischof Georg Bätzing, Limburg

Anfangen unter einem guten Stern

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Fresko der ohne Sünde erwählten Gottesmutter Maria in der Basilika Maria Santissima dell‘ Elemosina in Catania
Nachweis

Foto: adobestock / Renáta Sedmáková

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Fresko der ohne Sünde erwählten Gottesmutter Maria in der Basilika Maria Santissima dell‘ Elemosina in Catania (Italien) – von Giuseppe Sciuti (1896).

Der Anfang muss für mich packend sein, dann steige ich ein und lese gespannt weiter. Wenn der Roman dagegen zu langsam beginnt, sich gleich in Details verliert und vor sich hinplätschert, dann frage ich mich, ob ich das Buch nicht zur Seite lege. Kein Wunder, dass man sich in der Schreibwerkstatt intensiv darüber austauscht, wie man einen guten Buchanfang schreibt. 
 

Bischof Georg Bätzing
Bischof Georg Bätzing

Ein paar Kriterien schälen sich heraus: Es braucht einen guten ersten Satz. Schauplatz und Charaktere sollen vorgestellt werden, ohne bereits zu viel zu verraten. Es ist wichtig, eine Stimmung zu erzeugen und Emotionen zu wecken. Der rote Faden soll von Anfang an erkennbar sein, und am besten steigt man mit dem zentralen Konflikt ein. So gelingt ein knackiger Auftakt; wobei jedem klar sein dürfte, dass die beste Technik alleine nicht ausreicht. Es braucht Talent, viel Übung und vielleicht noch mehr Ausdauer, um ein gutes Buch zu schreiben.
„Buch der Anfänge“, so heißt die Genesis zu Beginn des Alten Testaments im Hebräischen. Mit der bildreichen Schöpfungserzählung und dem anschließenden Sündenfall erfüllt sie alle Kriterien eines gelungenen Intros: Ein toller erster Satz („Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde“: Genesis 1,1), Schauplatz und Charaktere sind einzigartig, Emotionen werden geweckt, und der zentrale Konflikt wird bereits auf den ersten Seiten deutlich (Genesis 3).


Eine ambivalente Beziehungsgeschichte


Mir fiel auf, dass alle drei biblischen Texte der Messe zum Hochfest  der  Gottesmutter am 8. Dezember aus den Anfangskapiteln der betreffenden biblischen Schriften genommen sind. Und so habe ich mich gefragt, ob sie uns möglicherweise Hinweise fürs „Anfangen“ überhaupt geben? Denn das gilt es ja beruflich oder privat immer wieder zu gestalten, im Grunde Tag für Tag. 
Die Geschichte der Beziehung zwischen Gott und seinen Menschengeschöpfen ist von Anfang an ambivalent. „Und siehe, es war sehr gut“ (Genesis 1,31), resümiert der Schöpfer, als er sein Werk betrachtet. Und doch ist offensichtlich – die Geschichte wird es zeigen – von Anfang an „der Wurm drin“ (oder besser „die Schlange“, die die Macht des Bösen verkörpert: Genesis 3,1). Im Nachdenken darüber, wie es denn dazu gekommen ist, warum die Beziehung zu Gott bald nach dem so großartigen Beginn sündhaft verkorkst ist, kommt die Freiheit ins Spiel – und ein Hang zur Ich-Bezogenheit, die sich wie eine Erblast mit verheerenden Folgen durch die Menschheitsgeschichte zieht. Die schlimmen Nachrichten eines einzigen Tages bestätigen es. Es sei der Preis für die menschliche Freiheit, den der Schöpfer aber zu zahlen bereit war, weil er uns Menschen als sein Ebenbild erschaffen wollte. Drunter wollte er es nicht tun. Und darum erzählt schon das Buch Genesis von immer neuen Anfängen, durch die Gott unterwegs durch die Geschichte einzelne Menschen gewinnt, um mit allen Verbindung aufzunehmen, uns zu sammeln unter dem Bogen des Bundes mit Noah, Abraham, den Propheten und schließlich mit seinem menschgewordenen Sohn Jesus von Nazaret. Was für eine Story, was für eine dramatische, konfliktreiche Geschichte des immer neuen Werbens Gottes um unser „Ja“ zu ihm und zu uns und zu den anderen hat sich da entwickelt!


Menschlich werden in der Spur Jesu


In den von Paulus gegründeten Gemeinden geht ein Schreiben ein. Und an dessen Anfang steht ein überschwänglicher Lobpreis für die Geschenke Gottes an die kleine Schar derer, die sich Jesus zugehörig zählen (Epheser 1,3-6.11-12). Wir sind mit allem Segen des Himmels gesegnet. Denn er hat uns erwählt, noch bevor er an die Welt gedacht hat: aus Liebe. Er wollte, dass wir zu Jesus finden. Als Töchter und Söhne Gottes treten wir das Erbe Jesu an. So sind wir ein sichtbares Gottes-Lob, ein lebendiges Bekenntnis zu Gott in dieser Welt. Und dabei kommt es nicht darauf an, ob wir viele sind oder nicht. Diese wenigen Zeilen am Beginn des Epheserbriefes nennen den roten Faden, der sich von Anfang an bis heute durch die Geschichte zieht: So heillos es auch aussehen mag um uns herum, nicht selten auch in uns und schon gar in der weiten Welt, Gott hört nicht auf zu werben, zu sammeln, zu lieben. Denn er gibt seine großartige Idee vom Anfang der Schöpfung nicht auf. Am Ende wird es sich erweisen.
Und dazu setzt Gott alles auf eine Karte. Alles, was er hat. Der Anfang des Lukasevangeliums ist kein Paukenschlag, sondern die Geschichte des intimen Werbens Gottes um das Ja einer Frau aus dem Volk Israel (Lukas 1,26-38). Da wird vom Zweifeln und Ringen der jungen Frau erzählt.

„Maria ganz Ohr / und Gott ganz WORT / Synergie von menschlichem / und göttlichem Ja // das WORT nahm Gesicht an / in Seinen großen Kinderaugen / in Ihm spricht Gott sein Ja zur Welt / und hört zugleich der Schöpfung Amen“ (aus: Andreas Knapp, Tiefer als das Meer. Gedichte zum Glauben, Würzburg 2005, 32). So geschieht, was kaum zu glauben und gerade darum zu glauben ist: Gottes Sohn wird Mensch wie wir, damit wir wieder menschlich werden in seiner Spur.


Zuversicht beim Anfangen


Sind das nicht drei wunderbare Anfänge, so reizvoll, dass sie dazu verlocken, die ganze Geschichte kennenzulernen, ja, mehr noch, einzusteigen in diese spannende Geschichte, die auf der Bühne der Welt wirklich gespielt wird?
Drei packende Anfänge. Sagen sie auch etwas darüber aus, wie wir anfangen können, jeden Tag und immer wieder? Ich finde schon: Mit erhobenem Haupt lässt es sich leichter anfangen als mit hängender Zunge und gebeugtem Blick; erhoben, weil Gott uns erwählt hat. Uns steht ein umsichtiges Selbstbewusstsein gut zu Gesicht. Und auch, wenn wir den Eindruck haben, da steckt von Anfang an der Wurm drin, dürfen wir gläubig darauf setzen, dass alles gut begonnen hat, ja sogar sehr gut; und dass es entscheidend darauf ankommt, die persönliche Freiheit ins Spiel zu bringen und die der anderen hochzuschätzen und Gängelungsversuche nicht fraglos hinzunehmen. Und schließlich: anfangen im Wissen darum, dass Gott immer wieder mit uns anfängt; und dass der beste Anfang aller Zeiten unser Bruder Jesus ist, den wir jederzeit zu Hilfe rufen können, denn er ist nicht fern. Ich finde, mit solchen Perspektiven steht unser „Anfangen“ unter einem guten Stern. Also, guten Mut und Zuversicht bei allem, was Sie in diesen Zeiten anfangen.