Anstoß 34/22
Angelu Kalva – Ein Berg voller Engel
In der Nähe der litauischen Stadt Trakai steht ein ganz besonderer Engelsberg.
In der Nähe der litauischen Stadt Trakai steht ein fröhlicher Berg. Aus unserer mittel- und ostdeutschen Sicht ist es allerdings nur ein kleiner wiesenblumenübersäter Hügel. Aber für ein Land, dessen höchster Berg keine 300 Meter hoch ist, darf man dort Berg dazu sagen. Nennen wir ihn also ruhig Berg, so wie die Litauer.
Bevor man den klitzekleinen Berg betritt, steht da eine große Tafel. Darauf ist zuerst zu lesen, was man alles darf: Lachen, spazieren, spielen, Ruhe haben, auf die Wiese setzen, den Vögeln lauschen, sich gernhaben. Dann erst folgen die üblichen Ermahnungen. Also nicht rauchen, lärmen, Motorradfahren und kein Feuer machen. Auf dem Berg stehen viele mehr als lebensgroße Engelsfiguren – die meisten mit den frohen Gesichtern sind aus Holz geschnitzt. Der Engel für die Fröhlichen findet sich da ebenso, wie ein Engel für die Gesundheit und für die Verliebten. Ein Engel des Mitgefühls und ein Engel der Trauer und der Hoffnung und und und. Zwischendurch finden sich Bänke zum Verweilen, Schaukeln, Wippen und Spielgeräte.
An manchen Stellen stehen Flügel, die einladen, sich selbst davor zu stellen. Dann wird klar, dass Engel nicht irgendwelche fremden Himmelwesen sind. Engel sind uns viel näher, als wir denken. Denn wir alle können trösten, lieben, helfen, mitleiden oder uns mitfreuen. Wir können einander an die Hand nehmen, uns Zeit, Liebe und Gemeinschaft schenken. Kurz, wir können füreinander zum Engel werden.
Das geht am besten mit einer positiven Haltung. Da wird klar, warum das Schild vor dem Berg mit den frohmachenden Botschaften beginnt. Der ganze Engelsberg ist noch lange nicht fertig. Bis heute können Menschen dort ihren Engel gestalten und aufstellen. Wohl gibt es dafür ein paar Regeln, zu denen gehört aber nicht, besonders fromm zu sein. Eher schon, zu spüren und zu zeigen, dass es eine frohe Botschaft ist, die wir glauben und nach der wir leben und handeln können.
Mag der Engelsberg auch klein sein, seine Botschaft ist riesig. Dort kann man sich in ungeahnte Höhen schwingen. Der Engelsberg verleiht im besten Sinne des Wortes Flügel.
Guido Erbrich, Biederitz