Guido Faccani, Schweizer Archäologe und Katholik, gräbt im Mainzer Alten Dom

Arbeitsplatz Johanniskirche Mainz

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Er ist mittendrin, wenn es „hämmert, tönt und staubt“: Der Schweizer Archäologe Dr. Guido Faccani gräbt in der Mainzer Johanniskirche. Forschen, einordnen – und glauben? Porträt eines Wissenschaftlers und Katholiken. Von Ruth Lehnen

Guido Faccani klettert über eine Leiter aus seinem Büro, ein tiefes Grabungsloch überwindend. Er ist so glücklich heute! Endlich konnte bestätigt werden, was er schon lange angenommen hat: „Die Seiten unseres heutigen Ostchores gehören ins 10. oder frühe 11. Jahrhundert.“ Zwei Jahre hat es gedauert, bis dieses Ergebnis feststand. Der Archäologe stößt die metallene Tür zur Mainzer Johanniskirche auf. Das Gotteshaus, seit 1830 evangelisch, ist eine große Ausgrabungsstätte – Faccanis Arbeitsplatz – und zugleich seit kurzem wieder Ort des Gebets und Gottesdiensts.

 

Spektakuläre Öffnung eines 1000 Jahre  
alten Sarkophags

„Man braucht viel Geduld im Umgang mit Dingen, die 1000 Jahre alt sind“, sagt der 52-Jährige. Die Johanniskirche, oft als „Alter Dom“ von Mainz bezeichnet, hat im Juni großes Aufsehen erregt: Ein zentral in der Mitte der Kirche ausgegrabener Sarkophag wurde geöffnet, viele Kameras übertrugen das Ereignis. Alle hätten es so toll gefunden, wenn die Archäologen gleich hätten sagen können: Hier ist Erkanbald bestattet, der von 1011 bis zu seinem Tod 1021 Erzbischof von Mainz war.

Aber so einfach ist es eben nicht. Alles muss akribisch erforscht werden, die Knochen, die dem Tageslicht ausgesetzt wurden, die Textilreste. Heute sagt Faccani, er sei nicht sicher, ob man je werde nachweisen können, dass es sich um Erkanbald handelt. Als Archäologe brauche er eine abwartende Haltung: „Man muss sich in Demut üben.“ Die Betonung liegt auf Üben.  
Faccani kann eine Stunde oder auch drei frei sprechen über das Abenteuer Johanniskirche. Für ihn ist seine Aufgabe hier ein Sechser im Lotto. Mit Zusatzzahl! Dass er dafür zwischen Basel und Mainz hin- und herpendeln muss, tut seiner Begeisterung keinen Abbruch. Er ist ein großer Kommunikator, in Bewegung mit Händen und Füßen, in seinen staubigen schwarzen Hosen, Wanderschuhen und roten Socken. Der Forschungsleiter ist gern mittendrin, wenn es „hämmert, tönt und staubt“. Und sitzt gern in der Ruhe der Bibliotheken. Lesend. Da werden die Erkenntnisse wie Bausteine zusammengesetzt, „durch Nachdenken! Durch reine Geisteswissenschaft!“    
Lange war der Schweizer Katholik mit einem italienischen Vater und Großvater ziemlich kirchenfern. Die Mutter hat ihm das Vaterunser beigebracht, ein paar Mal war er in der Kirche. Im Studium kam er über Kunst- und Kirchengeschichte näher in Kontakt mit dem Glauben und nennt sich heute einen praktizierenden Christen.

Kein Kuschelchrist,  
sondern „korrekter christlicher Zeitgenosse“

Was das für ihn heißt, erläutert er so: Er versucht den Umgang mit Menschen und Umwelt christlich zu gestalten. „Ich fahre kein Auto. Ich fliege nicht. Ich würde nie auf Kreuzfahrt gehen.“ Dabei geht es ihm darum, „die Welt so zu pflegen, dass sie noch lange besteht“. Im Umgang mit anderen Menschen will Guido Faccani ein „korrekter christlicher Zeitgenosse“ sein, aber kein „Kuschelchrist“.  
Wiederholt hat er sich mit dem Thema Verzeihung auseinandergesetzt, mit der Frage: „Wie gehe ich mit Hass um?“. Faccani sitzt jetzt nachdenklich auf seinem Stuhl, beleuchet von Sonnenstrahlen, die durch die Kirchenfenster fallen. „Ich versuche, so viel wie möglich zu verzeihen, ich kann gut verzeihen, aber ich merke es mir“, sagt er mit einem Lachen.  
Eins ist ihm wichtig: Er sei kein „Kirchenarchäologe“, sondern Wissenschaftler durch und durch. Die tägliche Arbeit in Kirchen hat ihn dem Christentum nicht näher gebracht. „Das Christentum vor 1000 Jahren war einfach scheußlich“, sagt er: „Willigis mit seiner goldenen Kasel – und rundherum sind sie an Seuchen gestorben!“ Umgekehrt wird ein Schuh draus: Dass er die Liturgie kennt, hilft ihm bei seiner Arbeit: „Kirchen sind gebaute Liturgie.“

Schiffe im Modell bauen:  
das ist seine Meditation

Emotionale Glaubenserlebnisse hat der Privatmann Faccani gehabt, nicht der Wissenschaftler: „Ich war mal bei einer Kirchweihe, da war ich hin und weg.“ Oder bei einem Ostergottesdienst, der für den Familienvater vieles verändert hat: Ostern ist jetzt für ihn das Ziel jeden Jahres. Eine entscheidende Predigt hat ihm die „absichtslose Liebe Gottes“ nahegebracht. Das hat ihn elektrisiert. Gott ist für ihn wie für Platon der „unbewegte Beweger“, er nennt ihn den „Pol des Ganzen“.  
Wenn Guido Faccani nicht buddelt, zeichnet, liest und schreibt, dann sitzt er gern daheim und baut. Plastikmodellbau, Holzmodellbau: Flugzeuge und Schiffe. Ein Schiff kann drei Jahre brauchen, bis es fertig ist. „Das ist für mich ein Meditationsobjekt“, sagt der Archäologe. Kleine Hölzchen schleifen. Alles zusammensetzen. Das liebt er. Er ist einfach nicht der Mann, der die Hände stillhält und der Klangschale lauscht.

Zur Sache: Forschung für alle

Die Geschichte des „Alten Doms“ St. Johannis und die Sarkophag-Öffnung lassen sich sehr gut nachvollziehen anhand der Bilder und Videos auf der Homepage des Freundeskreis Alter Dom St. Johannis. Auf der Homepage befindet sich ein Zeitstrahl, der angeklickt werden kann. Zur Öffnung des Sarkophags wurde ein Teil einer Spende des Bistums Mainz an die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in Höhe von 100 000 Euro verwendet.

https://www.mainz-alter-dom.de/

Ruth Lehnen