Wünsche kluger Köpfe für die Nach-Corona-Zeit
Auf dass es bleiben möge …
Wir haben Menschen gefragt, was nachwirken soll, wenn die Corona-Krise einmal vorbei sein wird. Was bleiben soll, lesen Sie hier.
Diskretion bitte
Erst Corona macht(e) es möglich: eine jüngere Nachbarin fragt(e) mich, ob sie für mich einkaufen solle (denn ich bin eine „Risiko-Person“ und lebe allein). Solche Initiativen hatte es vorher noch nie gegeben. Eine andere Nachbarin stellt jedem überraschend ein Blümchen vor die Tür mit dem Zettel „der Frühling ist nicht abgesagt“.
Das sind nur zwei Momentaufnahmen aus dem Alltag, beliebig zu ergänzen. Was bisher ausdrücklich nur an den „allerheiligsten“ Stätten der Gesellschaft steht – besonders am Bank- und Postschalter –, gilt nun elementar: „Diskretion bitte“. Abstandhalten wird zum Inbegriff sorgsamen Umgangs miteinander. Da ist nicht mehr das Gedrängel bis zur Rücksichtslosigkeit, da herrscht nicht diese Übergriffigkeit, die den oder die andere platt macht oder vereinnahmt. Und durch den Mundschutz schauen wir genauer auf die Augen.
Diskretion ist ein Urwort christlicher Spiritualität, meist mit „Unterscheidung“ übersetzt. Es meint das Gespür für das Anderssein des Anderen, für sein (und dein) Lebensgeheimnis. „Achte den anderen höher als dich selbst“ (Philipper 2,3).
Mit Blick auf den Samariter fragt Jesus: „Wer ist dem, der unter die Räuber fiel der Nächste geworden?“ Diese samaritanische Wende, das Herzstück des Christlichen, ist das ganz Menschliche.
Ist nicht Gott selbst unglaublich diskret? Er hält Abstand, damit wir werden, was wir sind: Mitmenschen, Mitgeschöpfe – ganz auf der Spur Jesu.
Gotthard Fuchs
Reaktionsvermögen
Was bleiben möge – nach der Krise? Na, zum Beispiel das Tempo, mit dem viele Gemeinden auf die gesellschaftliche Herausforderung reagiert haben. Sonst braucht die Institution „Kirche“ ja bisweilen Jahre, um überhaupt zu bemerken, dass Handlungsbedarf besteht … jetzt galt vielerorts: Gottesdienste konnten nicht mehr analog stattfinden. Schade! Aber dann wurde eben improvisiert. Zum Beispiel: gestreamt. Oder die Pfarrerin kam in den Vorgarten. Oder die Predigt lag im Briefkasten. Oder man sang miteinander auf den Balkonen. Oder stellte füreinander Kerzen ins Fenster. Blitzschnell. Und ohne Dutzende von Gremien, die jedes Für und Wider so lange durchkauen, bis man auf ein Projekt gar keine Lust mehr hat.
Verblüffend auch: Während eine hochrangige Schar von Theologen nach wilden Debatten überwiegend zu dem Schluss kam: „Eigentlich darf man Abendmahl NICHT online feiern“ haben es viele Gemeinden einfach gemacht. Ein Stück Brot, ein Schluck Wein. Ein Bildschirm. Und irgendwie fühlte man sich – obwohl jede und jeder im eigenen Wohnzimmer saß – dadurch trotzdem mit den anderen und mit Gott verbunden. Ich jedenfalls. Und geschadet hat dieses Experiment, glaube ich, keinem. Weder den Teilnehmenden, noch dem Abendmahl selbst.
Diese Fähigkeit, aus der Not eine geistliche Tugend zu machen, schnell und kreativ auf Veränderungen der Gesellschaft zu reagieren und Neues einfach mal auszuprobieren, die möge uns, bitte, erhalten bleiben.
Fabian Vogt
Probierhase und Captain Tom
Diese Wochen waren (und sind) irgendwie eine seltsame und interessante Zeit zugleich. Trotz „Abstand halten“ ist ein Zusammenhalt spürbar, und auch Kreativität scheint irgendwie ansteckend zu sein. Manchmal verliert man fast den Überblick, wann man wie mit wem beten soll – oder welche Andacht grad wo zu finden ist. Erfreulicherweise kommen ganz viele Initiativen aus dem ehrenamtlichen Bereich und sind auch verbunden mit einem kräftigen Schub an Digitalisierung. Wir haben Kirche und Glauben wieder nach Hause geholt und selbst gebetet.
Für mich eine der schönsten Erfahrungen: (Fast) keiner hat gemeckert oder gejammert, sondern jede*r hat sein Bestes gegeben – und das ist oft ziemlich gut und überzeugend. Kirche ist das, was wir alle miteinander daraus machen – das ist das Behalten wert!!
Und Bilder will ich mitnehmen: Der Papst alleine auf dem Petersplatz und die Regentropfen, die am Kreuz wie Tränen hinunterliefen, der Trompeter der Düsseldorfer Feuerwehr, der hoch über der menschenleeren „Kö“ die „Ode an die Freude“ spielte, Captain Tom, der 100jährige ehemalige britische Offizier mit seinem Rollator und dem Lied „You’ll never walk alone“, der Kinderchor mit seinem Lied, in zwanzig verschiedenen Wohnzimmern aufgenommen.
Und behalten möchte ich das eine oder andere neue Kochrezept, in diesen Tagen ausprobiert – und den „Probierhasen“, ein Wort, aktuell neu erschaffen, als mir das „Versuchskaninchen“ grad nicht einfiel.
Andrea Schwarz
Luxuriöse Einfachheit
Gerade hatten die Schulen, Büros und Kindergärten ihre Türen geschlossen. Es war also in jenen Tagen, die nun oft als Phase der tiefsten Verunsicherung bezeichnet werden. Da wurde ich von der Ruhe überrascht.
Mein Sohn und ich waren mit den Rädern in die Hörweite des Frankfurter Flughafens eingedrungen. Nur hörten wir ihn nicht. Die Räder legten wir ins Gras der Schwanheimer Wiesen, die kaum zählbar viele Fußballplätze groß sind. Ein Hauch von Unendlichkeit in der Nachbarschaft.
Mein Sohn kletterte in einer Weide herum, die ihre Zweige ungehemmt in den Luftraum ausstreckte. Es war kein offizieller Kletterbaum, der pädagogisch zertifiziert und sicherheitstechnisch abgesegnet war. Also war er auch nicht mit rot-weißem Band verhüllt. Ich setzte mich in die Wiese und genoss das Fest der Stille. Dabei waren wir bei weitem nicht die einzigen! Viele flanierten und radelten vorbei. Und trotzdem war da eine Abgeschiedenheit, bei der ich mich wiederum mit den anderen verbunden fühlte. Diese Erfahrung war von einer solch luxuriösen Einfachheit, dass ich sie nicht verloren geben will. Sie soll der Zukunft gehören. Denn keiner hatte ein Telefon in der Hand, keiner schaute auf den Bildschirm, keiner führte geschäftig seine Stimme vor, wie das unterdessen längst schon wieder üblich ist. Stattdessen waren alle, die da waren, nur an diesem Ort und sonst nirgends. Endlich angekommen.
Georg Magirius