Frauenwallfahrt auf dem Kerbschen Berg
Auf die Zwischenräume achten
1800 Frauen kamen zu ihrer traditionellen Wallfahrt auf den Kerbschen Berg. Sie dachten darüber nach, wie in den festgefahrenen Alltagsstrukturen Räume für Zwischenmenschliches geschaffen werden können.
Zusammen mit 1800 Wallfahrerinnen feierte Bischof Neymeyr den Gottesdienst. | Foto: Gregor Mühlhaus |
Bei bestem Wetter feierten am Muttertag zahlreiche Frauen und Mädchen auf dem Kerbschen Berg in Dingelstädt die nunmehr 57. Frauenwallfahrt des Bistums Erfurt. Die meisten der knapp 1800 Pilgerinnen hatten sich bereits am frühen Morgen auf dem Klostergelände eingefunden. Dort feierte der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr gemeinsam mit Weihbischof Reinhard Hauke und drei weiteren Priestern das Wallfahrtshochamt. Die Wallfahrt stand unter dem Leitwort „Dazwischen ist Raum“. So lud Annegret Rhode vom Seelsorfgeamt des Bistums zu Beginn der Messe dazu ein, aufmerksam zu werden für die vielen „Zwischenräume“, in denen das Leben auch stattfinde.
Der Erfurter Bischof zeigte sich erfreut, dass trotz des gleichzeitig stattfindenden Katholikentages in Münster so viele Frauen zur alten Klosterkirche bei Dingelstädt gekommen waren. Neymeyr erinnerte daran, am Muttertag an die vielen Mütter auf dieser Welt zu denken, besonders aber an die eigene Mutter.
Freiraum für das Wesentliche schaffen
Das Leitwort der Wallfahrt beleuchteten im Anschluss Barbara Sieling und Marion Pietzuch bei einem Anspiel näher. „Wir erleben im Alltag so viele festgefahrene Strukturen, dass wir glauben, keinen Freiraum mehr zu haben. Die Tageszeiten, der Arbeitsrhythmus, die Mahlzeiten – alles ist festgelegt. Aber dazwischen ist Raum“, so der Tenor zu Beginn des Anspiels. Die beiden Frauen sinnierten darüber, wofür ein Mensch denn Freiraum brauche und erkannten, dass der eigenen Familie viel Zeit eingeräumt werden sollte. Obwohl der Alltag den Menschen oft viel abverlange, seien es gerade die Frauen, „die alles irgendwie unter einen Hut bringen müssten“.
Anschließend warfen sich alle Wallfahrerinnen große bunte Bälle zu. „Wir spielen uns wie im Alltag den Ball irgendwie zu“, erkannten die beiden Referentinnen. Mit rot-weißen Absperrbändern, die alle Frauen durch die Pilgerreihen zogen und festzurrten, symbolisierten sie anschließend, dass Frauen auch manchmal an ihre Grenzen kommen.
Zu Beginn seiner Predigt sprach Neymeyr über den ehemaligen Aachener Bischof Klaus Hemmerle, der ein Buch mit dem Titel „Der Himmel ist zwischen uns“ geschrieben hatte. Es handelt unter anderem von zwei Bekannten, die ein kühles Verhältnis zueinander haben. Neymeyr betonte, das das Zwischenmenschliche einen besonderen Stellenwert im Leben haben müsse. „Ja, indem wir einander anschauen, indem wir aufeinander zugehen, indem wir miteinander sprechen, gewinnt alles erst seinen Ort, seine Farbe und sein Licht“, zitierte Neymeyr Bischof Hemmerle. Die Welt zwischen den Menschen könne vielfältig vergiftet oder gar zerstört sein. Den Zwischenraum menschlicher Beziehungen bezeichnete der Bischof als einen Raum, der den anderen zunächst und zuerst als einmaligen Mitmenschen sehe und für die Christen im Besonderen als Mitgeschöpf.
Im Tagesevangelium war von der Ehebrecherin die Rede, die gesteinigt werden sollte. Neymeyr: Die Begegnung Jesu mit der Frau sei eine emotional extrem aufgeladene Situation gewesen. „Jesus nimmt sich auch hier Zeit für den Raum der Zwischenmenschlichkeit. An uns liegt es, uns solche Zwischenräume zu nehmen und sie anderen auch einzuräumen.“
Nach dem Wallfahrtshochamt war ebenfalls Zeit und Raum für vielfältige Begegnungen. Weiterhin stellte sich der Erfurter Bischof den Fragen der Wallfahrer.
Von Gregor Mühlhaus