Liederserie

Aufbruchstimmung

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Liederserie
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Foto: kna/Cristian Gennari/Romano Siciliani/Katrin Kolkmeyer

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„Der Geist des Herrn durchweht die Welt, gewaltig und unbändig ...“

Wie soll man ihn begreifen, diesen Heiligen Geist? Dass man ihn wunderbar besingen kann, beweist Maria Luise Thurmair mit einem ihrer beliebtesten Lieder: „Der Geist des Herrn erfüllt das All“

Als ihr jüngster Sohn vor einigen Jahren heiraten wollte, war klar, dass ein Lied im Gottesdienst unbedingt gespielt werden sollte. „,Der Geist des Herrn erfüllt das All‘ ist der Schlager bei uns. Das Lied darf nicht fehlen“, sagt Veronika Obermayer. Ihre Mutter Maria Luise Thurmair (1912 – 2005) hat das Stück gedichtet. Die schwungvolle Melodie und dazu der bildgewaltige, Gott lobende Text machen das Lied für Obermayer wertvoll: „Da spürt man beim Singen dieses Pfingstliche, diese Aufbruchstimmung.“

Obermayers Eltern Maria Luise und Georg Thurmair haben mit ihren Dichtungen die Musik der katholischen Kirche in den deutschsprachigen Ländern geprägt. Lieder wie „Dank sei dir Vater für das ew’ge Leben“, „Den Herren will ich loben“ oder „Erfreue dich, Himmel, erfreue dich, Erde“ haben das Potenzial zu Ohrwürmern, die noch lange im Kopf klingen. 

Mit ihren Stücken hat Maria Luise Thurmair das Gotteslob entscheidend gestaltet. 44 Lieder steuerte sie für die erste Ausgabe bei. Als einzige Frau arbeitete sie in der Textkommission mit. Dort wurde, gemeinsam mit einer Kommission für die Musik, festgelegt, was in den Kirchengemeinden in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils gesungen werden sollte. Denn auf einmal konnten nicht nur lateinische Choräle, sondern auch muttersprachliche Lieder in den Gottesdiensten genutzt werden.

„Für meine Eltern war das ein riesiger Fortschritt“, erinnert sich Obermayer. Sie hatten sich zu Beginn der 1940er Jahre in der liturgischen Bewegung der Jugend kennengelernt und setzten sich dafür ein, dass Laien stärker in die Messfeier eingebunden werden und Lieder auf Deutsch gesungen werden. 


Biblische Psalmen und Hymnen als Inspiration

Die Leidenschaft des Ehepaars aber war die Musik. Sie dichteten Texte auf bekannte Melodien aus dem evangelischen Liederbuch und veröffentlichten Liedsammlungen. Obermayer erzählt, ihr Vater habe meist in seinem Arbeitszimmer gesessen und geschrieben. Die Mutter habe vor allem am Abend gedichtet, wenn die Arbeit im Haushalt getan und die sechs Kinder versorgt gewesen seien.

Dann habe sie sich ins Schlafzimmer zurückgezogen, wo sie einen kleinen Schreibtisch hatte. Die biblischen Psalmen und Hymnen haben sie inspiriert. „Sie betete regelmäßig das Stundengebet und hat gerne Bibelstellen übersetzt. Daraus hat sie die Ideen und Bilder für ihre Lieder geschöpft“, sagt Obermayer.

Ihrer Mutter sei es wichtig gewesen, dass die Lieder gut zu singen sind. „Darum hat sie sich immer bemüht. Es sollte nicht banal, aber bodenständig sein“, sagt Obermayer. Ihre Dichtungen seien nüchterner gewesen als die Stücke des Vaters. „Der schwebte manchmal mit seinen Liedern davon. Aber genau das ist wohl auch der Grund, warum sich Mutters Stücke stärker durchgesetzt haben“, sagt Obermayer.

Es gab aber auch Kritik. „Später, als meine Mutter schon krank war, und kurz nach ihrem Tod hieß es, ihre Texte seien Alltagslyrik“, sagt Obermayer. „Reime wie Sohn und Thron wurden ein wenig belächelt.“ Solche Einwände habe ihre Mutter, sofern sie sie noch erlebte, schlicht hingenommen. „Sie hat das akzeptiert. Und der Erfolg ihrer Lieder gibt ihr ja Recht“, sagt Obermayer und lacht.

Die Königin des Gotteslobs

Auch wenn Maria Luise Thurmair manchmal als „Königin des Gotteslobs“ betitelt wurde, war sie nicht übermäßig stolz auf ihr Werk. „Nein, sie war ganz und gar uneitel“, sagt Obermayer. Oft habe sie Aufträge aus der Textkommission zum Gotteslob erfüllt. „Dann hieß es: ‚Frau Thurmair, für die Fastenzeit brauchen wir noch ein Stück‘“, erinnert sich Obermayer. „Dafür war sie sich nicht zu schade.“

Und sie scheute sich nicht, Liedtexte auf Wunsch zu verändern. Für das evangelische Gesangbuch überarbeitete Thurmair ihr Lieblingslied „Dank sei dir Vater für das ew’ge Leben“. Darin hieß es in der dritten Strophe: „...sind Christi Leib, sind seines Leibes Glieder, und alle Brüder.“ In den Texten war bis dahin nie die Rede von Schwestern oder Geschwistern. „Wir haben das ergänzt“, sagt Obermayer und lacht. Gemeinsam überprüften Mutter und Tochter alle Liedtexte der Thurmairs und feilten an Formulierungen. „Sie hätte niemals gesagt, dass ihr Werk so perfekt sei, dass Änderungen verboten seien“, sagt Obermayer.

Das Werk ihrer Eltern liegt ihr am Herzen. Sie freut sich, wenn Menschen ihr erzählen, wie gerne sie die Lieder singen. Obermayer ist Organistin in ihrer Pfarrgemeinde St. Quirin im Münchner Westen. Sie sagt: „Ich finde das, was meine Eltern geschaffen haben, unglaublich schön. Und ich pflege es, indem ich diese Lieder immer wieder in Gottesdienste einbringe.“

Kerstin Ostendorf