Eskalation um die Ukraine
Beten für den Frieden
Die Warnungen vor einer Eskalation um die Ukraine werden von Tag zu Tag lauter, die Situation ist bedrohlich und kann jederzeit kippen. Ukrainische Christen suchen in Hannovers Gemeinde St. Wolodymyr Zuflucht im Gebet. Tillo Nestmann hat sich am vergangenen Sonntag mit ihnen getroffen.
„Gospodi pomiluj! Gospodi pomiluj! Gospodi pomiluj!“ Der flehende Moll-Gesang des „Herr erbarme Dich unser“ im alten Kirchen-Slawisch ertönt wieder und wieder vor der Ikonostase, der Trennwand zwischen Gemeinde- und Altarbereich. Die Gläubigen verbeugen sich und schlagen weit ausholend das Kreuzzeichen von rechts nach links. Hier in St. Wolodymyr feiern Angehörige der Ukrainisch-Unierten Kirche die heilige Messe.
Die Unierten sind eine mit Rom verbundene Kirche des orthodoxen Ritus, sie erkennen die katholischen Dogmen und den Papst als Kirchenoberhaupt an, allerdings sind die meisten Priester verheiratet. Sich selbst nennen sie Griechisch-Katholisch. Zwischen ihnen und der Römisch-Katholischen Kirche herrscht Sakramentenaustausch. In der Sowjetunion waren die Unierten jahrzehntelang verboten und existierten nur verborgen im Untergrund.
Geistiche Heimat in St. Wolodymyr
Seit der Wende blüht die unierte Ostkirche in der Ukraine wieder auf. Das betrifft auch die Gemeinde St. Wolodymyr in Hannover. Neu aus der Ukraine zugezogene Arbeitskräfte, Studenten und mit Deutschen verheiratete Ukrainer haben in der Hannoverschen Straße 122 in Hannover-Misburg ihre geistliche Heimat gesucht und gefunden. Mit der Ukraine, ihrer irdischen Heimat und ihren dort lebenden Verwandten halten sie über das Internet und Handy-Telefonate regen Kontakt. Und sie sind sehr besorgt.
Ekaterina Flaming (58), eine mit einem Wolga-Deutschen verheiratete Hauswirtschafterin, stammt aus Lipice bei Lemberg in der West-Ukraine. Aus ihrem Dorf waren schon mehrere Männer zum Militäreinsatz eingezogen. Sie sagt: „Ich bete jeden Abend – auch gemeinsam mit Nicht-Ukrainern – den Rosenkranz für den Frieden.“
Die Lemberger Hämato-Onkologin (Fachärztin zur Behandlung von Blutkrebs) Tatyana Kobryn (47) ist mit einem Deutschen verheiratet, Mutter von zwei Kindern und lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Sie sagt: „Für uns Ukrainer ist der Glaube sehr wichtig. Not und Verfolgung haben uns das Beten gelehrt. Mein Mann glaubt nicht an Gott. Aber ich bete mit meinen Kindern und ukrainischen Bekannten für den Schutz des ukrainischen Volkes. Der 1944 gestorbene Lemberger Erzbischof und Metropolit Andrej Scheptyzkyj hat sie geschrieben.“
Lyubov Seyfert (50), eine aus Ivano-Frankivsk in der West-Ukraine stammende Erzieherin lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Sie macht sich Sorgen wegen ihrer beiden Brüder, die im Kriegsfall einrücken müssten. Über die seit neun Jahren anhaltenden Grenzscharmützel ist sie besonders erschüttert. Lyubov Seyfert sagt: „Ich bin ja zusammen mit Russen aufgewachsen und spreche fließend Russisch. Ja, als Kind da habe ich mehr Russisch als Ukrainisch gesprochen. Seit neun Jahren zählt das alles nicht mehr. Die Freunde der Kindheit wirken wie umcodiert, gehirngewaschen. Die Ukraine ist ein freies Land, und ich will, dass das so bleibt!“ Lyubov Seyfert betet jeden Tag für Frieden und Freiheit der Ukraine und besonders nach jedem Sonntagsgottesdienst zusammen mit anderen Frauen.
Anna-Julia Maksymtsiv (17) ist die Tochter des Pfarrers Roman Maksymtsiv. Die Gymnastin der St.-Ursula-Schule in Hannover spielt auch im Orchester der Gemeinde ein ukrainisches Saiten-Instrument, die Bandura. Anna-Julia Maksymtsiv sorgt sich um ihren Onkel, Bruder der Mutter. Er war freiwillig beim Militär, ist jetzt Reservist „und wenn’s knallt, wird er wieder einrücken“. Außer Lehrern und Schülern aus Geschichts- und Gemeinschaftskunde-Leistungskursen erlebe sie niemanden, der sich für die Kriegsgefahr in der Ukraine interessiere. Sie meint: „Die Jugendlichen sind reizüberflutet. Sie können nicht Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden.“
„Ich will nicht noch einmal fliehen“
Ingo Rauzow (64), Dolmetscher, nach eigenen Worten ein Heide, aber seit vielen Jahren Gast im Gottesdienst von St. Wolodymyr, stammt aus dem ostukrainischen Charkiw. Dort hat er noch viele Bekannte. Eine von ihnen heißt Valentyna (36). Sie ist Psychologin und hat an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lemberg studiert. Sie stammt aus dem ost-ukrainischen Luhansk und ist vor neun Jahren nach Charkiw geflüchtet. Sie hat sich wie viele Zivilisten den Territorialstreitkräften, einer Miliz, angeschlossen. Ingo Rauzow sagt: „Valentyna hat mir gesagt, dass sie viel betet, aber auch, dass sie nicht noch einmal fliehen will. Bei einem Angriff wolle sie Charkiw bis zum letzten verteidigen und hier sterben!“
Um das Schlimme abzuwenden, werden in der Kirche St. Wolodymyr am Freitag, 18. Februar um 20 Uhr neben den hannoverschen Ukrainern auch Deutsche und Italiener (Italienische Mission) aus der Wolfsburger Gemeinde St. Christophorus für den Frieden in der Ukraine beten – pünktlich zum Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz.