Bloggen über Gottes Wort

Bibel, tagesaktuell

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„Man las aus dem Buch der Weisung vor und gab dazu Erklärungen, so dass die Leute es verstehen konnten“, heißt es in der ersten Lesung des Sonntags. Dass die Leute das Wort Gottes verstehen, ist auch Werner Kleine wichtig. Er betreibt dafür einen Blog.

 

Foto: Christoph Schönbach
Werner Kleine ist überzeugt: In Debatte und Diskussion kommt man dem Wort Gottes näher. Foto: Christoph Schönbach

Von Michael Kinnen

„Man muss Bibel und Zeitung lesen“, so wird der frühere Bundespräsident Johannes Rau zitiert: „Man muss die Bibel lesen, damit man die Zeitung versteht. Die Zeitung verwirrt einen, wenn man sie nicht liest auf der Basis dessen, was die Bibel an Menschenbild und Zukunftsperspektive hat.“ Man werde sonst „hin und her getrieben vom Wind der Meinungen“.
 
Bibel und Zeitung, das sind im übertragenen Sinn auch die Arbeitsgeräte von Werner Kleine. Der Pastoralreferent arbeitet in der Citykirche in Wuppertal. Als promovierter Neutestamentler interessiert er sich wissenschaftlich für die Bibel und ihre Entstehungsgeschichte, aber gerade auch für ihre Relevanz im Alltag. „Was hat die Bibel zu den heutigen gesellschaftlichen Themen und Diskussionen beizutragen?“, fragt er – etwa in der Kirchen-, Gesundheits- und Klimakrise?

Ranga Yogeshwar ist ein großes Vorbild

Ein Online-Blog, also ein virtuelles Tagebuch, ist dazu das Mittel. Er betreibt es schon seit über sechs Jahren – zusammen mit seinem Kollegen Till Magnus Steiner. Der hat sich auf das Alte Testament spezialisiert, Kleine auf das Neue Testament. Gemeinsam diskutieren sie in Textbeiträgen auf ihrer Internetseite „Dei Verbum“ („Wort Gottes“) tagesaktuelle gesellschaftliche Themen aus biblischer Perspektive. „Die Kirche und das Geld: Wie Kontrolle Vertrauen möglich macht – und ihr Fehlen zerstört“, heißt es da. Oder: „Die Rückkehr der Dämonen: Traurige Ansichten eines Neutestamentlers über die Situation in Afghanistan“. Im Format „Dei Verbum live“ gibt es auch Gesprächsrunden: teils per Videoschalte – Steiner lebt in Jerusalem –, teils mit Publikum in Wuppertal.

Als Vorbilder nennt Werner Kleine Mai Thi Nguyen-Kim und Ranga Yogeshwar, die im Fernsehen einem großen Publikum komplizierte naturwissenschaftliche Phänomene erläutern: Wie funktioniert das Coronavirus? Wie läuft der Klimawandel ab? Bei „Dei Verbum live“ lauten die Themen dann „Freund oder Feind? Der Hund in der Bibel“ oder „Kann Liebe Sünde sein?“ Gerade, wenn es um zentrale Fragen des Glaubens geht, werden sie theologisch-kontrovers, biblisch grundgelegt und exegetisch ausgelegt – und zwar im Hinblick darauf, was das für uns heute bedeutet. Die Videodiskussionen sind bis zu eineinhalb Stunden lang.
 
90 Minuten Diskussion über bibelwissenschaftliche Fragen – erreicht man da nicht nur einen sehr begrenzten Fachkreis? „Unterschätzen Sie das vermeintlich einfache Publikum nicht!“, sagt Kleine. „Selbst die Omma Piepenbrink hat ihre Glaubensfragen“, sagt er im typischen Ruhrpottdialekt. Er will, wie er sagt, „die Themen ansprechen, die dem Leben dienen“. Und da habe die Bibel was zu sagen. „Da ist Zunder drin!“, sagt der Theologe. Mit Leidenschaft bewegt er sich zwischen dem griechischen Originaltext des Neuen Testaments und den verschiedenen Übersetzungen.

Ist das alles Gottes Wort?

Denn da sehen die Heiligen Schriften ziemlich unterschiedlich aus. Allein auf Deutsch gibt es die katholische Einheitsübersetzung, die Lutherbibel und zahlreiche andere Übersetzungen von der „Bibel in gerechter Sprache“ bis zur „Bibel in Kurznachrichten“. Das Erste Testament hat seine Wurzeln in der hebräischen Bibel, vor allem mit der Tora und den Prophetenschriften. Im Islam gibt es den Koran als Heilige Schrift, in anderen Religionen weitere. Ist das alles Wort Gottes? 

„Wir sind Gestaltgeber für das Wort Gottes“, sagt Werner Kleine. Die Bibel sei Gottes Wort in Menschenmund gesprochen und von Menschenhand aufgeschrieben. Um die Bedeutung für das Leben zu verstehen, hat es zahlreiche Aneignungsprozesse gegeben. Die (eine) Bibel gibt es also gar nicht. Und sowieso: „Für uns Christen ist Jesus Christus das Wort Gottes“, sagt Kleine. Die Bibel erinnere daran. 

Mehr leidenschaftlicher Streit wäre sehr gut

Für Kleine genügt es nicht, wenn man einzelne biblische Sätze aus dem Kontext herauslöst, um scheinbare Bestätigungen für die eigene Sicht der Dinge zu finden. „Wir brauchen eine Wiedergabe des Urtextes mit einer sprachlichen Verständlichkeit von heute“, sagt Kleine. Exegetinnen und Exegeten hätten die Aufgabe, hier Brücken zu bauen, damit weder die wortwörtliche Wiedergabe von damals den Sinngehalt heute unverständlich macht noch eine zu freie Übersetzung die eigene Brille und Perspektive zum alleinigen Maßstab erhebt.
Das sorgt auch für Streit. Und genau den konstruktiv-leidenschaftlichen Streit wünscht er sich auch in der Kirche heute, sagt Kleine: ein Streit, „bei dem es nicht darum geht, nur Recht zu haben und den anderen mit seinen Argumenten am Boden liegen zu sehen“. Das gilt für die Alltagsdiskussionen über das, was in der Zeitung steht, ebenso wie für die Themen der Bibel – wenn und weil beides lebensrelevant ist.

www.dei-verbum.de