Bischof Dr. Heiner Wilmer äußert sich in einer Videobotschaft

Bischof: „Zu oft haben wir weggeschaut“

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Männer Gottes haben das Böse in die Welt gebracht: Sünde und schwere Sünde. Über Jahre und Jahrzehnte. Das belegt die große Studie der Deutschen Bischofskonferenz zum Ausmaß sexualisierter Gewalt in deutschen Diözesen.

Die Ergebnisse dieser Aufarbeitung bestürzen mich. Die erhobenen Zahlen sind bundesweite Angaben. Aber natürlich wissen wir auch, welche Zahlen aus dem Bistum Hildesheim in die Studie eingeflossen sind.

In unserer Diö­zese sind ab den 1960er-Jahren bis heute mindestens 153 Menschen von sexua­lisierter Gewalt betroffen gewesen. Ich sage „mindestens“, weil wir nicht wissen, wie hoch die Dunkelziffer ist. Beschuldigt sind 46 Geistliche aus dem Bistum Hildesheim, deren Taten allesamt untersucht worden sind.

Wir sind den Menschen verpflichtet, denen durch Priester schlimmes Leid angetan wurde. Es wäre die Aufgabe unserer Kirche gewesen, ihnen in jedem Augenblick Geborgenheit und Schutz zu gewähren. Doch dabei haben wir versagt.

Zu oft haben wir es unterlassen, den Opfern zu glauben und weiteres Unrecht zu verhindern.

Zu oft haben wir es versäumt, die Täter anzuzeigen und aus dem Verkehr zu ziehen.

Zu oft haben wir weggeschaut und eine fragwürdige Kultur des Schweigens gepflegt.

Es waren in den allermeisten Fällen Betroffene, die sich an die Öffentlichkeit gewandt haben. Dazu gehören enormer Mut und Überwindung. Ich zolle diesen Menschen meinen allergrößten Res­pekt. Und ich bin ihnen sehr dankbar. Sie haben das getan, was wir als Kirche hätten tun müssen.
Ich möchte es deutlich sagen: Wir dienen unserer Kirche nicht, wenn wir die schrecklichen Verbrechen kleinreden und beiseiteschieben, für die wir die Verantwortung zu tragen haben. Wir dienen ihr nur, wenn wir uns klar und offen zu der Schuld bekennen, die auf uns lastet. Denn nur mit der Wahrheit – und sei sie noch so bitter – können wir in die Zukunft schauen.

Das Bild des guten Hirten hat tiefe Risse bekommen. Es ist ein großer Schadensbefund, der uns dazu auffordern muss, die Bedingungen und Strukturen zu überdenken, unter denen der Dienst des Priesters ausgeübt wird.

Ich meine damit besonders Auswüchse von priesterlicher Macht in unserer Kirche, die ich für schädlich halte. Die Studie stellt ganz deutlich fest: Sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch hängen klar zusammen.

Im Umgang mit diesem schwierigen Thema müssen wir uns unserer Verantwortung stellen. Das ist auch eine Lehre aus dem vor knapp einem Jahr veröffentlichten Missbrauchsgutachten eines unabhängigen Münchener Instituts zu Fällen im Bistum Hildesheim.

Als Folge daraus hat der bischöfliche Beraterstab zu Fragen sexualisierter Gewalt mit der ehemaligen Bundesminis­terin Andrea Fischer eine starke und vor allem unabhängige Leiterin erhalten. Außerdem wird das Gremium in den kommenden Wochen um externen Sachverstand deutlich erweitert.

Nicht nachlassen werden wir in unserer Präventionsarbeit. Die Präventionsarbeit ist für uns eine ganz praktische Umsetzung von Nächstenliebe.

Der Umgang mit sexuellem Missbrauch ist auch eine Frage nach Gerechtigkeit. Von den angeschuldigten Klerikern in unserem Bistum sind die allermeisten verstorben. Sie werden sich vor einem höheren Richter verantworten müssen.

Die noch lebenden Täter haben wir zur Rechenschaft gezogen – allerdings müssen wir eingestehen, dass wir dies meist erst viele Jahre später getan haben. Das darf so nicht weitergehen.

Für die Zukunft müssen wir einen Weg der Hoffnung und der Heilung beschreiten. Davon bin ich zutiefst überzeugt und dafür werde ich mich mit aller Kraft einsetzen.
Ich bin mir bewusst, dass es Menschen widersinnig erscheinen mag, zu verzeihen, wenn an ihnen massive körperliche und seelische Verbrechen begangen worden sind. Zu verzeihen heißt, über dem Unrecht zu stehen, das man erlitten hat. Das kann unendlich schwer sein. Trotzdem möchte ich die Betroffenen und alle, die ihnen nahestehen, in Demut um Vergebung bitten.

Ich verbinde das auch mit einer persönlichen Einladung: Wenn Menschen gewillt sind, mit mir als Bischof über das Grauen zu sprechen, das ihnen auf der Seele lastet, dann werde ich das tun. Diese Einladung gilt immer. Ganz gleich, ob jemand nach drei Monaten oder drei Jahren das Bedürfnis hat, mich zu treffen. Ich bin bereit dazu.
Zuhören möchte ich auch den Menschen im direkten Umfeld der Betroffenen – sei es in der Familie, in der Pfarrgemeinde oder anderswo. Wer sich um Menschen kümmert, dessen Seelen verwundet sind, benötigt oft selbst Beistand. Auch diesen Menschen sind wir verpflichtet.

Als neuer Bischof versichere ich: Wir werden alles tun, um sexualisierte Gewalt zu bekämpfen. Wir werden Betroffenen helfen. Und wir werden immer offene Herzen und offene Ohren haben.

Ihr Bischof Heiner Wilmer

Die Videobotschaft zum Hören und Anschauen: www.bistum-hildesheim.de
Kontaktadresse für Betroffene und deren Angehörige: beraterstab@bistum-hildesheim.de