Auszug aus dem Interview mit Bischof Gerber
Bonifatius als Vorbild für den Umbruch im Bistum Fulda
Was geht Bischof Michael Gerber vor der Amtseinführung durch den Kopf? Im Interview gibt er Einblick in seine Gefühlslage, aber auch in seine Gedanken zu unterschiedlichen kirchlichen Themen.
Sie betreten Neuland. Was überwiegt? Vorfreude, Neugier oder eher vorsichtiges Herantasten an die neue Situation?
Es überwiegt wirklich die Vorfreude. Das hat sehr viel damit zu tun, wie ich seit den letzten zwei Monaten hier im Bistum Fulda aufgenommen worden bin. Das kann ich sagen nach den ersten Begegnungen, die ich im Dezember hatte, und nach mehreren Besuchen in Fulda. Ich bin auf sehr viele Menschen gestoßen, die mir mit einem ganz großen Wohlwollen begegnen. Und zwar sowohl die Menschen, die hier im Bistum sehr viel Verantwortung tragen wie Weihbischof Karlheinz Diez, der Emeritus, Bischof Heinz Josef Algermissen, oder viele Abteilungsleiter, aber auch einfache Menschen, die auf mich zugekommen sind. Das überwiegt sehr deutlich. Ich spüre bei mir auch ganz großes Interesse, auch eine innere Motivation, es regt meine Kreativität an und ich komme sehr gerne nach Fulda.
Ich sage in diesen Wochen immer – und das ist ehrlich gemeint: Ich gehe nicht gerne von Freiburg weg, aber ich gehe gerne nach Fulda. Ich bin aufgewachsen im Erzbis-tum Freiburg und habe bisher, bis auf das Jahr Freisemester in Rom, mein ganzes Leben auch dort verbracht und bin dort sehr vernetzt. Das spüre ich jetzt gerade auch in diesen Wochen des Abschieds. Sehr viele Beziehungen sind gewachsen. Und natürlich hat meine Arbeit in Freiburg von diesen Beziehungen gelebt. Sie haben mir auch geholfen, meine Arbeit dort zu tun. Jetzt gilt es, ein neues Beziehungsnetz im Bistum Fulda aufzubauen. Das ist schon im Gange. Und das ermutigt mich auch sehr.
Sie kommen aus einer sehr großen Erzdiözese, sowohl flächenmäßig als auch von der Katholikenzahl. Fulda ist ein eher kleines Bistum. Wo sehen Sie da die Chancen, oder ist das für Sie im Moment eher gewöhnungsbedürftig?
Ich sehe darin eine große Chance für mich. Wenn man von außen in ein kleineres Bistum kommt, wo dann vieles doch etwas überschaubarer ist, kommt mir das entgegen. Ich muss ja wirklich von Grund auf alle Menschen neu kennenlernen. Und da, das merke ich, hilft mir die überschaubare Größe schon. Das ist für mich und auch für den Einstieg gut so.
Aber auch hier stellen sich natürlich sehr viele komplexe Fragen, die sich in allen deutschen Bistümern stellen, unabhängig von ihrer Größe. Etwa die Frage: „Wie geht der Weg der Kirche in die Zukunft?“.
Sie waren in Freiburg Weihbischof. Was macht ein Bischof anders als ein Weihbischof?
Das werde ich in den nächsten Monaten noch kennenlernen! Vieles hat der Bischof mit dem Weihbischof gemeinsam. Ich bin auch wirklich sehr froh für die Weggemeinschaft mit Weihbischof Diez, die ja weitergeht. Wir kennen uns jetzt schon seit fünf Jahren, über die Bischofskonferenz, aber und auch über das Süd-West-Konveniat der Bischöfe. Das sind Treffen, die wir zweimal im Jahr haben zwischen den Bischöfen in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Was macht ein Bischof anders?
Vieles macht er ähnlich, etwa Firmungen, Taufen und Altarweihen, oder was noch so dazukommt. Der Bischof steht in einer anderen Letztverantwortung für alle möglichen Themen, die ein Bistum betreffen. Ein Weihbischof ist Bischofsvikar für bestimmte Aufgaben. Das bin ich bisher auch in Freiburg gewesen: für die Ordensgemeinschaften, für die Personen des geweihten Lebens, für die pastorale Bildung. Als Diözesanbischof steht man für alle Themen. Es ist dann aber wichtig, dass der Bischof auch gut zusammenarbeitet und die Kompetenzen und die Zuständigkeiten derer schätzt, die für einzelne Bereiche Verantwortung haben.
Eine Ihrer priesterlichen Stationen war das Priesterseminar in Freiburg. Wie lässt sich das Priesterseminar auch in Fulda wieder füllen?
Die Frage der Priesterausbildung spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft der Kirche. Ich war zwölfeinhalb Jahre in der Priesterausbildung tätig. Wir brauchen eine Priesterausbildung, die gut aufgestellt ist. Von zentraler Bedeutung ist hier Frage der menschlichen Reife der Bewerber. Wichtig ist aber eben auch die pastorale Zurüstung, die theologische Zurüstung, auch die geistliche Dimension. Und es braucht eine Spiritualität, die tragfähig ist bei den vielen Herausforderungen, die jetzt kommen, wo sich auch manche Rollen für die Pfarrer verändern. Ich bin immer wieder darüber im Gespräch, wie werden Menschen aufmerksam auf den Priesterberuf – oder überhaupt für ein Engagement im pastoralen Dienst?
Ich habe das immer wieder sehr beeindruckend erlebt – bis hin in die allerjüngste Zeit hinein bei Studierenden, die im Herbst gestartet sind – dass es tatsächlich auch möglich ist, mit jungen Menschen, Wege zu gehen, die in ihnen die Frage nach einer geistlichen Berufung weckt oder wach hält. Es sind oft Vorbilder, die sie animieren. Ich war heute Morgen mit zwei Seminaristen aus Fulda im Gespräch, die jetzt neu angefangen haben im Priesterseminar. Dabei sind wir auch auf die Frage gekommen, was sie dazu motiviert hat. Es sind in der Regel überzeugende Persönlichkeiten, die für diesen Dienst stehen, die auch bereit sind, eine längere Zeit der Begleitung mit einem jungen Menschen zu gehen.
Wie wollen Sie das als Bischof angehen?
Ich werde mit den Verantwortlichen, sowohl in der Jugendarbeit als auch von der Fakultät, von verschiedenen Seiten hinschauen: Welche Initiativen können helfen, um Menschen neu auf den Priesterberuf und auf die anderen pastoralen Dienste aufmerksam zu machen? Die Wege dahin sind andere als früher. Man braucht da immer mehr Zeit. Wichtig ist mir auch: Wo schaffe ich Räume, in denen sich Menschen entscheiden können? Wo kann man sie aufmerksam machen auf die unterschiedlichen pastoralen Dienste? Und es kommt in der Ausbildung darauf an, die verschiedenen pastoralen Dienste im Blick zu haben. Wir brauchen später die Kooperation in der Arbeit und wir brauchen deswegen auch die Kooperation bereits in der Ausbildung. Kooperation meint natürlich auch Kooperation mit den Ehrenamtlichen, deren Rolle immer wichtiger wird. In meiner Verantwortung für die Ausbildung war es mir wichtig, gut hinzuhören, wie erleben die Ehrenamtlichen einen Kandidaten, wie erleben sie die Zusammenarbeit mit ihm und was sagt das über die Eignung aus. Das hat im Einzelfall durchaus auch die Entscheidung mitbestimmt, ob ein Kandidat seinen Weg weitergehen konnte oder nicht.
Der Priester weniger als Einzelkämpfer?
Das sowieso nicht.
...sondern eben als Teil einer Gemeinschaft von Mitarbeitern.
Der Priester hat eine besondere Aufgabe. Er steht in besonderer Weise für die sakramentale Grundstruktur der Kirche. Aber er tut es immer vernetzt mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn wir von der Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgehen, wenn wir ausgehen von der Art und Weise, wie die dogmatische Konstitution über die Kirche aufgebaut ist, da wird dies deutlich. Ausgangspunkt ist das Volk Gottes. Das gemeinsame Priestertum aller Getauften ist die Grundlage. Darauf möchte ja auch das Jahr der Taufberufung im Bistum aufmerksam machen.
Stichwort Taufberufung: Einbeziehen der Laien, das bedeutet ja auch ein Umdenken in den Kirchengemeinden auf allen Ebenen. Wo sehen Sie denn den Knackpunkt des Umdenkens? Manche nennen das Stichwort Klerikalismus im negativen Sinne, dass der Pfarrer als Einzelkämpfer alles dominiert – wo muss da ein Umdenken stattfinden?
Ich gehe mal davon aus, dass es auch im Bistum Fulda gewisse Ungleichzeitigkeiten gibt, dass es Pfarreien oder Pastoralverbünde gibt, die schon an einem ganz anderen Punkt sind als andere. Deswegen ist das mit dem Umdenken immer so die Frage: Wo an welchem Punkt denkt jetzt wer um? Wenn man die Kirche vor dem Konzil anschaut, kommen wir traditionell von einer Pfarrei, die vom Pfarrer her gedacht wird. Und da gibt es Menschen, die dem Pfarrer dabei mithelfen, seinen Dienst zu tun. Wenn wir aber die biblischen Bilder bemühen, dass die Kirche den Auftrag hat, das Salz der Erde zu sein, Christus das Licht der Welt strahlen zu lassen, dann meint es die gemeinsame Berufung aller Getauften.
Es braucht sicherlich ein Umdenken. Und zwar in dem Sinne, deutlich zu machen: Jeder im Organismus der Kirche steht auch für den Auftrag der Kirche, das Evangelium den Menschen zu verkünden, Menschen mit Jesus Christus in Berührung zu bringen. Das Engagement der Laien ist zunächst einmal ein Engagement in dieser Welt: da, wo sie hineingestellt sind, wo sie in beruflichen, familiären, freundschaftlichen Bezügen sind.
Hier ist es eine Aufgabe der Kirche, Laien zu helfen, dass sie befähigt sind, Zeugnis zu geben, überzeugt als Christen zu leben. Das ist bei uns, glaube ich, wichtig, dass wir bei allen Problemen struktureller und sonstiger Art, die wir in der Kirche haben, jetzt nicht nur einfach binnenkirchlich denken, sondern immer auch nach außen. Denn die Sammlung Jesu ist immer eine Sammlung zur Sendung. Er hat zwölf um sich geschart, damit sie bei ihm bleiben und damit er sie sendet. Das Bei-Jesus-Sein und das Gesandt-Werden – das sind immer die zwei Dimensionen, die sich gegenseitig bedingen.
Nehmen wir an, es gibt Menschen, die sich engagieren wollen. Müssen dann nicht die Bedingungen der heutigen Zeit angepasst sein?
Das müssen wir deutlich im Blick haben – etwa unter dem Stichwort „neues Ehrenamt“. Wir haben Menschen, die stärker bereit sind, sich projekthaft einzubringen. Wir brauchen weiterhin, wenn ich jetzt an die Pfarrgemeinderatswahlen im November denke, Menschen, die bereit sind, über eine längere Zeit sehr verbindlich Verantwortung zu übernehmen. Darum muss man sicherlich ringen, dass wir diese Menschen auch gewinnen in den unterschiedlichen Gremien. Aber wir müssen auch neu den Menschen etwas anbieten, die sagen, ich kann nur in diesem Projekt Verantwortung übernehmen. Hier ist ein Umdenken angezeigt.
Das Engagement hat auch etwas mit der bereits erwähnten Taufberufung zu tun?
Sicherlich ist zu fragen: Was kommt jedem aufgrund seiner Berufung von Taufe und Firmung auch zu? Was sind die genuinen Aufgaben? Anders gesagt: von der Taufberufung her zu fragen und einen Dienst nicht als Hilfe für den Pfarrer zu denken, ihn von daher abzuleiten. Ich glaube, dass in der Wertschätzung dieser unterschiedlichen Berufungen ein Schlüssel liegt. So habe ich das selber auch erlebt. Wir haben zum Beispiel im Jahr 2006 in Freiburg, da war ich selbst auch mit verantwortlich, nach dem Weltjugendtag in Köln ein Jahr der Berufung gemacht. Dabei haben wir beides sehr deutlich in den Blick genommen, sowohl die gemeinsame Berufung zum Priestertum aller Getauften als auch die spezifischen Berufungen im Priestertum und Ordensleben.
Wir haben gemerkt: Da, wo wir beides im Blick haben, beide wertschätzen, kann auch ein Klima entstehen, wo Menschen aufeinander verweisen. Auch die einzelnen Berufungen verweisen dann aufeinander.
Das gesamte Interview lesen Sie in der Extra-Ausgabe "Pilgernder Hirte: Bischof Michael Gerber"