Patriarchalvikar Daibes lobt Lage der Christen in Jordanien
"Bürger wie alle anderen"
Der größte Teil der römisch-katholischen Diözese Jerusalem liegt im Nachbarland Jordanien. Der jüngst zum Bischof geweihte Patriarchalvikar für Jordanien, der Palästinenser Jamal Boulos Sleiman Daibes (57), berichtet im Interview von lebendigen Pfarreien, gutem Miteinander mit der muslimischen Mehrheit und den Herausforderungen für Jordaniens Christen.
Bischof Jamal, wie sieht die katholische Realität in Jordanien aus?
Jordanien stellt mit 35 Pfarreien, 25 Schulen, 35 Kindergärten und vielen katholischen Einrichtungen den größten Teil des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem. Wir haben ein gutes pastorales Leben mit sehr lebendigen Pfarreien und vielen Aktivitäten. Im Rat der Kirchenoberen sind neun Kirchen vertreten; neben uns die griechisch-orthodoxe und die griechisch-katholische Kirche, Maroniten, Kopten, Armenier, Syrisch-Orthodoxe, Lutheraner und Anglikaner.
Insgesamt gibt es rund 180.000 Christen, davon etwa 45.000 Lateiner. Ferner haben wir zwei Gruppen von Ausländern, zum einen Diplomaten und Menschen auf der Durchreise; zum anderen viele philippinische und srilankische Arbeiter, für die wir versuchen, eine seelsorge sicherzustellen. Daneben gibt es die irakischen Chaldäer, deren Zahl stark zurückgegangen ist, weil Jordanien für sie eine Zwischenstation auf der Flucht in den Westen war.
Wie sieht die Ökumene in Jordanien aus?
Die Gläubigen sehen kaum einen Unterschied zwischen uns. Gemischt-konfessionelle Ehen sind sehr verbreitet. Es gibt es viele orthodoxe Christen, die regelmäßig am pastoralen Leben der Katholiken teilnehmen, aber in den orthodoxen Registern geführt werden. Wenn orthodoxe Christen uns um Sakramente bitten, heißt das für uns, dass es einen Bedarf gibt. Auf der Ebene der Hierarchie gibt es freundschaftliche Beziehungen; aber die wichtigen Fragen sprechen wir nicht an. Die Orthodoxen sehen sich als ursprüngliche Ortskirche und beschuldigen uns des Proselytismus. In der Mitte befinden sich die Priester, die oft gute Beziehungen pflegen. Viele sind tolerant in Fragen der Sakramente; aber es gibt auch Hindernisse.
Und die Beziehungen zur Politik?
Jordanien erkennt elf Kirchen offiziell an: die im Kirchenrat vertretenen Kirchen plus die Adventisten und die Presbyterianer. Wir haben gute Beziehungen zur Regierung und den Sicherheitskräften, die bei allen Festen präsent sind. Wir haben kaum Schwierigkeiten bei Visafragen oder Kirchenbauten und ähnlichem. Vor einigen Jahren hat der Ministerpräsident festgelegt, dass die Christen durch den Rat der Kirchenführer repräsentiert werden, dem der griechisch-orthodoxe Bischof vorsteht. Der Status des Rates ist jedoch nicht klar definiert. Während sich einige eine Zentralisierung aller christlicher Angelegenheiten in den Händen des Rates wünschen, sprechen sich andere dafür aus, dass dem Rat eine Rolle der Koordinierung innerhalb der christlichen Gemeinschaften zukommt. Wir bemühen uns gegenwärtig um Klärungen.
Wo sehen Sie die Herausforderungen für Jordaniens Christen?
Die Kirche als Institution hat eine sehr präzise Mission: Unsere Schulen stehen allen offen und gehören zu den besten des Landes. Hier haben wir einen Einfluss auf die Menschen. Ein Beispiel: An der Taufstelle entsteht derzeit eine neue katholische Kirche. Der Tourismusminister, der selbst Muslim ist und Schüler an der Terra-Sancta-Schule der Franziskaner war, sagte: Es reicht nicht aus, eine Kirche zu haben. Er wolle, dass die Taufstelle nicht eine rein touristische Stätte wird, sondern ein spirituelles Zentrum. Wir leisten in unseren Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen und Altenheimen Dienst an den Schwächsten der Gesellschaft. Das ist unsere Präsenz - egal, wie hoch unser Anteil an der Bevölkerung ist.
Haben Jordaniens Christen auch mit Abwanderung der jungen Generation zu kämpfen?
Junge Menschen neigen dann dazu auszuwandern, wenn sie keine Arbeit finden. Sie versuchen, im Land zu bleiben. Viele stehen der Kirche nahe und sind bereit, ihr zu dienen. Hier im Land herrscht Stabilität. Christen sind Bürger wie alle anderen. Sie teilen die Kultur des Landes und identifizieren sich gleichzeitig ohne Scham als Christen. Aber unser Land hat wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Fühlt sich ein jordanischer Christ als Teil der Diözese Jerusalem?
Nicht allzu sehr. Der Patriarch versucht, mit regelmäßigen Besuchen präsent zu sein; aber Fakt ist, dass unsere Gläubigen die andere Seite nicht besuchen. Viele haben Jerusalem nie gesehen. Es braucht mehr Initiativen zur Pilgerfahrt nach Jerusalem. Visa-Probleme erschweren die Lage.
Jordanien setzt seit einigen Jahren verstärkt auf religiösen Tourismus.
Bislang kommen Pilger nach Madaba und zur Taufstelle am Jordan. Es gibt Anstrengungen vor allem auf Ebene des Tourismusministeriums, dies auszuweiten. Zu unseren wichtigen christlichen Stätten zählen die Ruine der Eliakirche in der Nähe des Geburtsorts des Propheten Elia, der Berg Nebo und die Herodes-Festung Machaerus, an der laut Flavius Josephus Johannes der Täufer enthauptet wurde. Aus einem Jordanien-Besuch soll ein Erlebnis werden; etwa indem Begegnungen mit örtlichen Pfarreien oder Wüstentage integriert werden. Auch das lokale Pilgerwesen soll belebt werden. Der Tourismusminister ist sehr interessiert, und er wünscht sich eine größere Beteiligung der Christen.
Jordanien wird oft als Beispiel der Koexistenz mit dem Islam genannt. Stimmt das?
Im Allgemeinen ja. Es ist ein muslimisches Land mit entsprechenden Einschränkungen; aber Christen haben alle Rechte als Bürger. Die Königsfamilie ist in dieser Hinsicht sehr sensibel. Christen sind im Wirtschaftsbereich überproportional vertreten. Andererseits haben fundamentalistische Ideen auch vor Jordanien nicht halt gemacht. Aber es gibt einen Staat, der sich kümmert.
kna