Viele Mütter brauchen nach der Pandemie eine Kur

„Corona in den Knochen“

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Mehr als zwei Millionen Mütter brauchen nach Aussage des Müttergenesungswerkes eine Kur. Diese Zahl wird durch die Corona-Krise noch steigen. Silvia Selinger-Hugen berichtet von der Situation in den Caritas-Kurkliniken auf Norderney.


Haushalt, Homeschooling, Job: Manchmal wird alles
einfach zu viel.

Rückenschmerzen, Kraftlosigkeit, Schlafstörungen, Magenbeschwerden:  Viele Mütter, die mit oder ohne Kinder in eine der zwei Fachkliniken auf Norderney kommen, bringen solche Symp­tome mit. „Alles deutliche Anzeichen von zu viel Stress, das sind echte Krankheitsbilder“, sagt Gesundheitswissenschaftlerin Silvia Selinger-Hugen. Sie leitet das Caritas-Gesundheitszentrum für Familien, zu der die Kurkliniken Thomas Morus und Maria am Meer gehören.

Wobei Selinger-Hugen das Wort „Kur“ gar nicht gern benutzt, weil sie glaubt, dass zu viele Menschen das mit einem netten Urlaub gleichsetzen. Aber es geht um weit mehr als nur Erholung, sondern um Stärkung und Wiederherstellung der Gesundheit. Denn bei einigen der Frauen  liegen schon ernsthafte Angststörungen oder eine Depression vor. Anderen droht ein „Burn-Out“, wenn sie nicht bald Hilfe bekommen. „Die setzen einen Fuß bei uns in die Tür, sitzen im Check-in und dann brechen nicht wenige in Tränen aus, weil sie einfach so fertig sind“, sagt Selinger-Hugen.

Wie gefordert Mütter sind, macht das Müttergenesungswerk in diesen Tagen erneut klar (siehe auch „Zur Sache“). Noch immer lastet ein Großteil der Erziehungs- und Hausarbeit auf Frauen – und im Job müssen sie trotzdem funktionieren. Mit der Pandemie hat sich diese Situation noch verschärft, weiß Selinger-Hugen. Durch geschlossene Kindertagesstätten, Homeschooling, Homeoffice und Kurzarbeit hocken viele Familien enger aufeinander. Gerade die Mütter fangen nach Beobachtung des Caritas-Teams auf Norderney dann emotional den ganzen Frust auf. Dazu kommen Sorgen, weil der eigene Mini-Job vielleicht weggefallen ist.

„Viele Frauen haben Corona in den Knochen, denn diese Krise kostet ständig Energie“, sagt Silvia Selinger-Hugen. „Als ob immer etwas Strom abgezapft wird.“ Dazu fehlt noch der Ausgleich durch den Fitness-Club, den Yoga-Kurs oder die Frauengruppe in der Gemeinde. „Kraftquellen, soziale Kontakte und Strukturen fallen fast überall weg.“ In gleichem Maße gelte das auch für alleinerziehende Väter und  pflegende Angehörige.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fachkliniken auf Norderney spüren das nur zu deutlich. „Der Bedarf an Einzelberatung und intensiven Gesprächen ist enorm angestiegen, weil die Belastung sehr viel höher geworden ist“, sagt die Leiterin. Dass das noch immer nicht genug wahrgenommen wird, ärgert die Sozialpädagogin, und sie berichtet von manchen anstrengenden Telefonaten sogar mit Krankenkassen. „Der Druck auf die Eltern während dieser Krise ist einfach enorm.“ Ihrer Ansicht nach gehören Mütter und Väter zu den Verlierern der Pandemie, die jeden Tag „unheimlich viel auffangen“ – und trotzdem im Beruf volle Leistung liefern müssen.

Die Teams auf Norderney versuchen mit verschiedenen Elementen, einen Ausgleich für sie zu schaffen: zum Beispiel durch Entspannungstechniken und Bewegung an frischer Luft, durch Physiotherapie und Gespräche, durch kreatives Gestalten und Seelsorge. Die im Gegensatz zum dichten Alltag durch den Lockdown „leere Insel“ empfinden viele Teilnehmerinnen als Wohltat. „Kaum jemand beklagte sich darüber, hier nicht ins Café gehen zu können.“

Das Konzept der Gesundheitsmaßnahme musste wegen Corona angepasst werden: mit kleineren Gruppen, die sich nicht mischen dürfen, mit versetzten Essenszeiten, mit einem hohen Maß an Hygiene und festen Regeln. „Wir fahren eine klare Linie“, sagt Silvia Selinger-Hugen. Und das bewährt sich offenbar: „Wir hatten bisher keinen Ausbruch.“

Finanziell bleibt die Situation für viele Kurkliniken nach Wahrnehmung von Selinger-Hugen aber angespannt: im vergangenen Jahr erst drei Monate ganz geschlossen, dann teilweise nur zur Hälfte und auch jetzt meist noch nicht wieder voll belegt. Der große Aufwand für Organisation und Hygienemaßnahmen kostet zugleich aber mehr Geld. In dieser Hinsicht ist die Leiterin sehr dankbar, dass ihr Team das alles mitträgt. „Für uns steht immer eine Frage im Vordergrund: Macht unsere Arbeit Sinn? Und das macht sie.“

Petra Diek-Münchow

 

Hilfestellung
Rund 320 Beratungsstellen bei örtlichen und regionalen Caritas­verbänden und bei den Trägern der Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung beraten über die Möglichkeiten einer Mütter-/Väter- oder Mutter-Kind-/Vater-Kind-Maßnahme. Die Beratungsstelle informiert über das Antragsverfahren, vermittelt zwischen Krankenkasse, Ärzten, Kliniken und der Antragstellerin. Weitere Infos im Internet: www.kag-muettergenesung.de