Interview mit Ministerin Barbara Otte-Kinast
„Danken heißt auch teilen!“
Am 2. Oktober wird in der Basilika St. Godehard in Hildesheim das Landeserntedankfest gefeiert. Gast ist Barbara Otte-Kinast. Sie führt mit ihrer Familie einen landwirtschaftlichen Betrieb und ist seit 2017 niedersächsische Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie sagt, dass wir allen Grund haben, für die Ernte zu danken.
Für was danken wir heute überhaupt noch bei Erntedank?
Ich persönlich bin das ganze Jahr über dankbar. Aber besonders an Erntedank erfüllt es mich mit einer großen Dankbarkeit, dass wir es mit unseren Landwirtsfamilien immer wieder schaffen, eine Ernte einzufahren. Jedes Jahr ist in der Landwirtschaft anders, jedes Jahr hält Überraschungen bereit – beim Wetter und seinen Folgen, durch die Politik und auch durch Krisen. Denken wir an die letzten beiden Corona-Jahre und aktuell den Krieg in der Ukraine, in Europa. Trotz aller Unwägbarkeiten, die kommen, gelingt es unseren Landwirtinnen und Landwirten Tag für Tag ihren Job auf den Höfen zu machen und uns Verbraucherinnen und Verbraucher mit dem zu versorgen, was wir zum Leben brauchen, nämlich mit qualitativ guten Lebensmitteln. Und dafür bin ich jedes Jahr aufs Neue dankbar.
Aber was bedeutet es, wenn wir an Erntedank ganz bewusst Gott danken?
Ich bin Christin. Ich bin getauft und konfirmiert und bin in einer Partei, die das C in ihrem Namen trägt. Für mich persönlich spielt die Kirche eine große Rolle. Ich suche manchmal selbst einen Ort, wo ich beten kann. Das kann eine Kirche sein, aber auch ein bestimmter Punkt im Süntel, wo ich zu Hause bin. Wenn ich aus dem Wald heraustrete und das Tal vor mir liegen sehe, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, dass es da oben einen Gott gibt, der dies alles in irgendeiner Form zusammenhält. Ich glaube fest daran, dass es da jemanden gibt, der auf uns aufpasst, der uns Kraft gibt und uns stärkt, uns aber auch an manchen Tagen demütig werden lässt.
Wir Menschen gehen leider nicht immer pfleglich mit der Natur um. Ist Erntedank auch ein Tag, dies zu thematisieren?
Der Sinn des Erntedank ist für mich auch, dass wir uns bewusst machen, dass nichts einfach von irgendwoher kommt, dass wir selber eine Verantwortung haben, dass wir selber dazu beitragen müssen, unser Wasser und unseren Boden zu schützen, dass wir aber auch als Gesellschaft zusammenhalten müssen, um unsere Demokratie zu bewahren. Auch das ist für mich Erntedank, dass ich dankbar dafür bin, dass es oft die Kirchen sind, die Dörfer zusammenhalten und dort vielfach das gesellschaftliche Leben mitbestimmen und prägen. Dies erlebe ich im ländlichen Raum, wo ich viel unterwegs bin, immer wieder.
Kirche ist eine mitbestimmende Größe im ländlichen Raum, sagen Sie. Was erwarten, was wünschen Sie sich von den Kirchen?
Ich würde mir wünschen, dass die Kirchen, die ja oft auch selbst Ländereien besitzen, bei Zielkonflikten eine Vermittlerrolle einnehmen. Das kann Baugebiete betreffen, die Errichtung von Windrädern oder das Verbot vom Ausbringen von Gärresten von Biogasanlagen auf kirchlichen Flächen. Gut wäre, alle Parteien frühzeitig an einen Tisch zu holen und mehr als bisher miteinander zu reden. Ich wünsche mir, dass sich Kirche nicht auf eine Seite stellt, sondern vielmehr die Rolle der Moderation übernehmen sollte, um gemeinsam zu versuchen, das Beste für ein Dorf herauszuholen. Diese Moderatorenrolle der Kirchen vermisse ich in manchen Gegenden.
Was bedeutet die Klimakatastrophe, auf die wir zusteuern, für Erntedank?
Wir in der Kirche dürfen nicht aufhören mit allen zu reden, mit Landwirten, aber auch mit denen, die die Produkte kaufen sollen. Es ist einfach, zu sagen: Die Landwirtschaft muss dieses oder jenes leisten, muss den Boden schützen, muss Wasser sparen, muss Pflanzenschutzmittel reduzieren. Die Wünsche sind ja da, auch seitens der Kirche. Ein wichtiges Thema ist das Tierwohl. Das geht aber nur, wenn nachher an der Ladenkasse ein fairer Preis gezahlt wird, der auch bei den Betrieben ankommt.
Da sehe ich eine Chance und Aufgabe der Kirche besonders auch die junge Generation zu sensibilisieren. Sie sollte die Gelegenheit von Kommunionvorbereitung sowie Firm- beziehungsweise Konfirmationsvorbereitung nutzen, um mit den Kindern und Jugendlichen einen Bauernhof zu besuchen. Zeigen sie ihnen wo die Milch herkommt, wie Kartoffeln oder Zuckerrüben geernet werden, wie gesät wird. Bringen sie die Jugendlichen ins Gespräch mit den Landwirtsfamilien, damit sie mit ihnen auch über ihre Sorgen und Nöte reden können.
Ich habe schon an ein paar Erntedankfesten gedacht, warum stehen wir nur an diesem Tag zusammen? Da ist eine schöne Erntekrone gebunden, da ist ein Erntealtar aufgebaut, aber die Arbeit der Landwirte oder den Mangel an Wasser sehen wir Erntedank nicht. Da feiern wir und freuen uns über die Früchte, die es dort gibt.
Seit fünf Jahren wünsche ich mir, dass wir – Kirche, Jugend, Landwirtschaft und Politik – uns zum Beispiel im Laufe des Wachstums auf einem Acker treffen, wo vielleicht alles vertrocknet ist, wo Risse in der Erde sind. Wo man deutlich macht, es ist so schwer, hier vernünftige Ernten einzufahren. Es gehören Wasser- und Pflanzenschutz, Tier- und Artenschutz sowie Klima- und Umweltschutz dazu. Wir müssen an diesen Themen gemeinsam und ernsthaft arbeiten. Wir müssen sie über das ganze Jahr im Blick behalten, nicht nur an Erntedank, wo doch die Freude über die eingefahrene Ernte im Vordergrund steht.
Von der Landwirtschaft wird erwartet gute Lebensmittel zu produzieren und dabei auch die Auflagen zu Tierwohl und Umweltschutz einzuhalten. Das geht aber nur, wenn es für die Produkte faire Preise gibt.
Wenn die Verbraucher höhere Standards zum Beispiel in Pflanzen- und Umweltschutz fordern, steigen für den Landwirt die Produktionskosten. Er kann also für seine Produkte auch einen fairen Preis erwarten. Auf der anderen Seite liegt es aber auch an unserem eigenen Verhalten, dass beispielsweise ein immer höherer Bedarf an Fleisch vorhanden ist, der von den Betrieben geliefert werden soll. Vielleicht sollte man seinen eigenen Konsum überdenken und nicht jeden Tag Fleisch essen, sondern den Fleischkonsum auf den Sonntagsbraten beschränken, ihn genießen und hat für den Montag noch genug Reste. Und im Verlauf der Woche gibt es andere schmackhafte Lebensmittel, die wir ja auch haben. Da müssen wir offen miteinander umgehen. Und für die Erwartungen, die die Verbraucher haben, müssen sie bereit sein, auch mehr Geld zu bezahlen.
Auf der anderen Seite kann ich aufgrund der aktuellen Krise verstehen, dass viele Menschen beim Einkauf auf den Preis und nicht das Gütesiegel achten. Denn viele wissen nicht, wie sie angesichts der steigenden Energiekosten über die Runden kommen sollen.
Werden Nahrungsmittel und damit ja auch die Arbeit auf den landwirtschaftlichen Betrieben wertgeschätzt?
Das Thema liegt mir besonders am Herzen. Viele kaufen planlos ein, ohne Einkaufsliste, und dann wird die Hälfte hinterher in die Mülltonne geworfen. Ich wünsche mir, dass Lebensmittel wieder wirklich wertgeschätzt werden. Und da sollten wir schon in der Kita und der Schule dran arbeiten.
Können wir bei uns mit gutem Gewissen für eine Ernte danken, wenn Millionen Menschen auf der Welt hungern – verstärkt durch den Krieg in der Ukraine?
Gerade jetzt müssen wir für die reiche Ernte dankbar sein, die wir hier einfahren. Denn dadurch haben wir die Möglichkeit zu teilen, durch Hilfslieferungen in alle Teile der Welt, aber auch mit den Flüchtlingen hier bei uns aus Afghanistan und Syrien, aus Afrika und aktuell aus der Ukraine. Auch sie müssen mit Nahrung versorgt werden und dafür brauchen wir gute Ernten. Und, Gott sei Dank, haben wir in Niedersachsen gute Standorte mit relativ guten Böden und meist mit ausreichend Regen zur rechten Zeit – nicht immer. Aber die Erträge waren in diesem Jahr je nach Region wieder recht gut im Vergleich zum Rest der Welt. Deshalb sollten wir für jede Ernte dankbar sein, denn von jeder Ernte, die wir haben, können wir abgeben. Danken heißt für mich auch teilen.
Interview: Edmund Deppe