Was wollen uns die apokalyptischen Bibeltexte sagen?
Das Ende naht!
Zum Schluss des Kirchenjahres werden die biblischen Texte apokalyptisch. Das Ende der Welt droht. Das sagt Jesus, das sagt Daniel, das sagt immer wieder die Apokalypse des Johannes. Was sollen wir heute mit solchen Texten anfangen?
Von Christoph Buysch
Die Sonne wird sich verfinstern, die Sterne fallen vom Himmel, es herrscht große Not. Monster steigen aus dem Meer, eine letzte Schlacht zwischen Gut und Böse tobt, Auserwählte werden errettet werden – willkommen in Hollywood, möchte man denken. Dabei befindet man sich mitten in der Bilderwelt der biblischen Apokalypse, der Enthüllung der letzten Dinge der Schöpfung.
Die bekannteste, bildgewaltigste und womöglich auch unverständlichste ist die Offenbarung des Johannes. Das hängt damit zusammen, dass seine Botschaft vor allem in Metaphern und Symbolen, in den Schilderungen von Visionen und Albträumen überbracht wird. Dabei ist sie tief in den Schriften des Alten Testaments verwurzelt, bedient sich aber auch griechischer und anderer altorientalischer Vorstellungen. Das macht die Interpretation so schwierig.
Nicht Geheimwissen, sondern Stärkung
Dabei möchte diese Schrift kein Geheimwissen vermitteln, sondern christlichen Gemeinden deutlich machen, welchem Gott sie vertrauen und wie sie sich gegenseitig im Glauben stärken sollen. Die Welt um sie herum mag ungerecht sein, vielleicht sogar in Chaos zerfallen, sie aber sollen sich an die göttliche Ordnung und Gerechtigkeit halten. Das steht fast im Gegensatz zu anderen Offenbarungsschriften, die um die Zeitenwende herum im alten Orient entstehen. Oft berufen diese sich auf bekannte Personen aus der biblischen Tradition wie das Henochbuch, die Abraham-, Adam- oder Elija-Apokalypse. Und sie beanspruchen für sich, Geheimwissen über das wahre Wesen Gottes und seiner Schöpfung zu enthüllen. Das geht meistens so: Die Titelperson erfährt in einer himmlischen Reise oder einer nächtlichen Vision, wie Himmel und Hölle aussehen oder wie der endzeitliche Kampf zwischen Gut und Böse, Licht und Dunkel geführt wird.
Auch in der Bibel selbst gibt es apokalyptische Erzählungen wie im Buch Daniel, aus dem heute und in der kommenden Woche gelesen wird. Der Verfasser sieht in einer Vision die Ablösung des persischen Großreichs durch das griechische als Kampf zwischen riesigen Tieren mit Hörnern, deren wachsende und abbrechende Hörner ihre wachsende und vergehende Macht symbolisieren.
Daniel fragt ein himmlisches Wesen: „Wie lange dauert es noch bis zum Ende der unbegreiflichen Ereignisse?“ Das Wesen „erhob seine rechte und seine linke Hand zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Es dauert noch eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit. Wenn der am Ende ist, der die Macht des Heiligen Volkes zerschlägt, dann wird sich das alles vollenden.“ Daniel antwortet: „Ich hörte es, verstand es aber nicht.“ Selbst Jesus sagt: „Jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn.“ Genau das ist typisch für Apokalypsen: Längst nicht alles wird erklärt, die Visionen bleiben in wesentlichen Teilen geheimnisvoll.
Der Kampf ist längst gewonnen
Anderes kann man verstehen. Zum Beispiel in der Johannes-Apokalypse die Zahl der 144 000, die von Gott erwählt wurden, um am Ende der Tage gerettet zu werden. Das ist kaum wörtlich zu nehmen, sondern eher biblische Zahlensymbolik: die 12 als Zahl der Vollständigkeit, somit 12x12 als absolut vollständige Zahl und die 1000 als unermessliche Zahl. 144 000 ist somit die Menge des gesamten Gottesvolkes, egal wie groß es numerisch nun wirklich ist.
Oder der Kampf zwischen Gut und Böse, der jungen Frau und dem Drachen, der Stadt Babylon und der neuen Stadt Jerusalem. Auch wenn der Seher von den Auseinandersetzungen berichtet, ist der Kampf längst entschieden: Durch Tod und Auferstehung Jesu, also das Opfer des Lammes, ist die Schöpfung bereits an ihr gutes Ende gelangt; die letzte Schlacht ist bereits geschlagen. Dafür schließt die Apokalypse des Johannes sogar an das erste Buch der Bibel, die Genesis an, wenn es im 7. Kapitel über die Geretteten heißt: „Sie werden keinen Hunger und keinen Durst mehr leiden und weder die Glut der Sonne noch sengende Hitze wird auf ihnen lasten.“ Das ist das Gegenbild zur Vertreibung aus dem Paradies, als den Menschen diese Mühen der Arbeit und des Alltags erst aufgeladen wurden. „Unter Mühsal wirst du vom Erdboden essen alle Tage deines Lebens“, heißt es im 3. Kapitel der Genesis. Und: „Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen.“
Die biblische Apokalypse begreift sich somit als Happy End zur Vertreibung aus dem Paradies, als Omega zum Alpha, als letzte Schrift, die den Bogen zurück zur ersten schlägt. Und heraufbeschworen wird ein Ende, das Gerechtigkeit für alle schafft, die danach suchen. So heißt es im letzten Kapitel der Bibel: „Komm! Wer durstig ist, der komme! Wer will, empfange unentgeltlich das Wasser des Lebens!“
Sind Menschen bereit, sich für eine gerechte Welt einzusetzen?
Allerdings – und damit kommen wir zur Frage, was wir heute damit anfangen können – sind die biblischen Apokalypsen keine Beschreibung des unabwendbaren Untergangs. Vielmehr geht es um die Menschen, die die Beschreibung hören oder lesen. Die Apokalypse ist ein stetiger Aufruf zur Umkehr, die Mahnung, endlich den Willen Gottes in seiner Schöpfung zu tun und somit das Reich Gottes zu schaffen.
Denn so groß die Krise auch sein mag: Die Bibel erwartet die Gerechtigkeit von Gott nicht ohne das Handeln der Menschen. Mit Blick auf die weltumspannenden Krisen unserer Zeit lässt sich daher fragen, was die Menschen für eine gerechte Welt zu tun bereit sind. Die Existenz unserer Welt ist bedroht durch ein sich aufheizendes Klima, neue Krankheiten und eine immer deutlichere Spaltung zwischen Arm und Reich, Wohlstand und Mangelwirtschaft, Macht und Ohnmacht. Wer braucht da noch einen endzeitlichen Kampf zwischen Gut und Böse? Das Ende der Welt ist heute vielleicht näher als zu biblischen Zeiten, der Ruf zu weltweiter Solidarität und Gerechtigkeit im Geiste Jesu daher umso dringender.