Rückblick

Das hat uns 2019 bewegt

Image

Das Jahr 2019 liegt hinter uns. Es gab viel zu berichten. Wieder waren die Redakteure Ihrer KirchenZeitung für Sie im Bistum Hildesheim und darüber hinaus unterwegs, haben eine Menge erlebt und darüber in der KiZ geschrieben. Was sie ganz besonders beeindruckt hat, haben sie hier notiert – in einem persönlichen Rückblick auf das vergangene Jahr.


 


Matthias Bode

Ein Thema nimmt kein Ende

Von Matthias Bode
Anfang  April hat Bischof Heiner Wilmer unabhängige Fachleute mit der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im Bistum Hildesheim beauftragt. Darunter ein ehemaliger Staatsanwalt, der vor seiner Pensionierung die letzten noch lebenden Nazi-Verbrecher gejagt hatte.

Das schreckliche Thema Missbrauch sollte das Bistum im zurückliegenden Jahr nicht mehr loslassen. Pater Peter R., der viele Jahre im Bistum Hildesheim unbehelligt sein Unwesen getrieben hatte, wurde  – mittlerweile fast 80 Jahre alt – aus dem Klerikerstand entlassen. Bei den Ansprechpartnern für Betroffene von sexualisierter Gewalt gab es einen Wechsel, und kurz vor Weihnachten wurde ein neuer mutmaßlicher Missbrauchsfall bekannt – der zwar schon lange zurückliegt, aber erst jetzt ans Licht kam. Zuvor hatte eine Frau ihre – ebenfalls lange zurückliegenden – Erfahrungen im Bistum mit sexualisierter Gewalt in Buchform veröffentlicht. Mehrere Tagungen und Diskussionsveranstaltungen beschäftigen sich mit Missbrauch und gegen Ende des Jahres wurde bekannt, dass der Synodale Weg darauf eingehen wird.

Das Thema scheint schier endlos zu werden, und obwohl es mittlerweile alles andere als neu ist, nimmt es mich doch jedes Mal wieder mit. Es ist neben den furchtbaren Erfahrungen der Opfer auch ein Vertrauensverlust für die Kirche und zieht alle redlich arbeitenden Seelsorger und Seelsorgerinnen in Mithaftung. Eins tröstet mich dabei: Dass es mittlerweile mit schonungsloser Offenheit verhandelt wird und dass die Perspektive der Opfer heute im Mittelpunkt steht. Auch dass das Bistum bereits seit vielen Jahren eine vorbildliche Präventionsarbeit betreibt, um wenigstens die Zahl neuer Fälle soweit wie möglich zu minimieren, macht Hoffnung.

Matthias Bode ist Chefredakteur der KirchenZeitung

 


Stefan Branahl

Nachhilfestunde in Sachen Gottvertrauen

Von Stefan Branahl
Der Anruf kam vor ein paar Wochen. Ich erinnere mich gut, dass es ein Dienstag war, weil wir mitten im Redaktionsschluss steckten. Fast hätte ich nicht abgenommen, weil gerade mehrere  Dinge gleichzeitig zu erledigen waren. Dann griff ich aber doch zum Hörer. Der alte Herr in der Leitung sprach stockend, und mit seinem Namen konnte ich im ersten Moment nichts anfangen. „Meine Frau ist gestorben“, sagte er. „Sie ist im Hospiz ganz friedlich eingeschlafen. Sie hat mich ausdrücklich noch gebeten, dass ich Sie darüber informiere, weil Sie ja noch mit ihr gesprochen haben.“

Schlagartig fiel es mir wieder ein: Im September hatte ich Monika Grundei zu Hause in Winsen besucht. Durch einen Brief war ich aufmerksam geworden: Sie habe nicht mehr lange zu leben und bereite sich mit Gottvertrauen auf ihr Ende vor.

Mit Gottvertrauen auf den Tod vorbereiten – so etwas habe ich in den vielen Jahren bei der KirchenZeitung noch nie gehört. Ja, sagte Monika Grundei, sie sei bereit, sich mit mir darüber zu unterhalten. Und ich dürfe auch darüber schreiben.

Bei unserem Treffen ein paar Tage später lernte ich eine mutige Frau kennen. Sie war schon gezeichnet von ihrer schweren Krankheit, bewusst hatte sie eine weitere Therapie abgelehnt. Sie erzählte mir viel aus ihrem Leben, zeigte mir die Bilder, die sie gemalt hat, schilderte, wie sie der Glaube bis ins Alter getragen hat. Und dann sagte sie einen Satz, der mir bis heute in den Ohren klingt: „Wenn Gott entschieden hat, dass es jetzt zu Ende geht mit mir, warum soll ich dann seine Pläne durchkreuzen?“

Eine Nachhilfestunde in Sachen Gottvertrauen. Einfache Gedanken, einfache Worte am Ende eines langen und erfüllten Lebens. Sie haben mich tiefer beeindruckt als jede ausgefeilte Predigt.

Stefan Branahl ist Redaktionsleiter der KirchenZeitung

 


Johannes Broermann

Die Erinnerung wach halten

Von Johannes Broermann
74 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war 2019 für mich ein Jahr voller berührender Erinnerungen an den Holocaust. Merkwürdigerweise scheinen viel zu viele Menschen solche Erinnerungen zu verdrängen oder gar leugnen zu wollen.

Bei der 72-Stunden-Aktion des BDKJ begleitete ich Bischof Dr. Heiner Wilmer auf das Gräberfeld des KZ Moringen. Engagierte aus der dortigen Kolpingsfamilie kümmerten sich mit zahlreichen Jugendlichen und den Mitarbeitern der Gedenkstätte um die Grabplatten. Sie mussten gereinigt werden, anschließend wurden die eingravierten Namen mit frischer Farbe nachgezogen. Auch Bischof Heiner packte mit an. Jeder einzelne Name steht für unvorstellbares Unrecht und Leid.

Bald darauf wurde bekannt, dass der Göttinger Edith-Stein-Preis 2019 an Prof. Dr. Thomas Buergenthal verliehen wird. Er überlebte als Kind das KZ Auschwitz und den Todesmarsch nach Sachsenhausen. Nur durch einen Zufall findet er nach dem Krieg seine Mutter in Göttingen wieder und emigriert später in die USA. Als Jurist spezialisiert er sich auf Menschenrechte und wird Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Nicht nur die Preisverleihung im Alten Rathaus hat mich besonders berührt. Darüber hinaus war ich immer mal wieder den Tränen nahe, während ich Buergenthals Autobiographie gelesen habe. Sein Schicksal und auch sein überlegter Verzicht auf Rache halten bei mir die Erinnerung dauerhaft wach.

Dr. Johannes Broermann ist Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den Dekanaten Göttingen und Untereichsfeld

 


Sabine Moser

Aufbruch der Frauen

Von Sabine Moser
Im zurückliegenden Jahr habe ich Frauen in Aufbruchsstimmung erlebt, bereit ihre Kirche zu verändern und auch das Thema Sexualität auf die Tagesordnung zu setzen. So kamen zahlreiche Frauen zum Vortragsabend „Aphrodites Töchter“ in die Dominikanerpfarrei St. Albertus Magnus in Braunschweig.

Aphrodite gilt in der griechischen Mythologie ja als schönste und lieblichste aller Göttinnen, als Göttin der Liebe, der Schönheit und der Sinneslust. Referentin Regine Hain, Leiterin der Ehe-, Familien-, und Lebensberatung der Stadt, beleuchtete an dem Abend kurzweilig Facetten der weiblichen Sexualität und Faktoren, die sie beeinflussen.

Erstaunt hat mich das rege Interesse und die große Altersspanne der zahlreichen Besucherinnen aus allen Gemeinden der Stadt – auch dass es in Zeiten, in denen das Thema Sexualität in den Medien allgegenwärtig ist, häufig vorkommt, dass Frauen gar nicht so viel über sich und ihren eigenen Körper wissen. Und genau dieses Unwissen und das Unvermögen über Sexualität sprechen zu können, habe letztendlich zum Scheitern ihrer Ehe geführt, erzählt eine 70-Jährige.

Vor lauter Pflichtgefühl fällt es gerade Frauen oft schwer, lustvoll zu genießen und sich in der eigenen Haut wohlzufühlen. Oft Auswirkungen der Erziehung, wie ich im Gespräch mit den Zuhörerinnen zwischen 20 und 80 Jahren erfahre.

Das alles klang nicht nach „weiter so“. Ganz wie die Aktion Maria 2.0. Im Mai traten – ebenfalls in St. Albertus Magnus – die Frauen für eine Woche in den Kirchenstreik. Sie wollten zeigen, was der katholischen Kirche ohne sie fehlt und unter anderem ihre Forderungen nach voller Gleichberechtigung unterstreichen.

Sabine Moser ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Dekanat Braunschweig

 


Edmund Deppe

Gelebte Inklusion oder Dabeisein ist alles

Von Edmund Deppe
Zum 11. Mal veranstaltete im September die Heimstatt Röderhof ihren Benefizlauf. Der Gewinn kommt der Einrichtung und seinen Bewohnern zu Gute. Doch das ist eigentlich nur ein netter Nebeneffekt. Viel wichtiger ist das Miteinander von Beeinträchtigten und Nichtbeeinträchtigten. „Bei diesem sportlichen Event wird Inklusion wirklich gelebt, stehen nicht die Beeinträchtigung oder die besondere sportliche Leistung im Vordergrund, sondern der gemeinschaftliche Spaß und die Freude von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung“, betonte Bischof Heiner, der Schirmherr der Veranstaltung.

Einträchtig nebeneinander liefen Schülerinnen und Schüler von Marienschule und Albertus-Magnus-Schule und Jugendliche der Heimstatt. Mit dabei waren Laufgruppen, Handball- und Fußballmannschaften, Sportlerinnen und Sportler aus der Region – gemeinsam sind sie unterwegs auf den Strecken zwischen 1800 und 10 000 Meter, gehend beim Walking oder eben laufend.
Klar, wer eine gute Platzierung erreicht, freut sich darüber. Doch für viele zählt einfach nur: Ankommen, den ganzen Weg durchhalten, sich durchbeißen, bis ins Ziel.

Besonders in Erinnerung ist mir ein Junge mit Trisomie 21 geblieben. Angespannt wartete er auf den Startschuss von Bischof Heiner. Mit strahlendem Gesicht ging er auf die Strecke, ich glaube, es waren die 5000 Meter. Als er nach ungefähr 40, 45 Minuten durchgeschwitzt, mit hochrotem Kopf  – aber lächelnd – wieder an uns vorbeikam und zur abschließenden Platzrunde ansetzte, machte er erst noch ein kleinen Luftsprung. Und angefeuert von der Menge erreichte er das Ziel – weit weg vom Siegertreppchen, aber glücklich, vor Freude strahlend, beglückwünscht von Beeinträchtigten und Nichtbeeinträchtigend. Auch beim Benefizlauf in Röderhof zählt der olympische Gedanke: „Dabeisein ist alles!“

Edmund Deppe ist Redakteur der KirchenZeitung

 


Rüdiger Wala

Zwischen Abrissbirne und Versöhnung

Von Rüdiger Wala
Ist das ein Symbolbild für unsere ganze Kirche? Eine Abrissbirne schlägt große Löcher in die Kirche St. Christophorus in Hannover-Stöcken. Mit Räumlöffeln und Greifern werden Holz und Stein erst getrennt geschichtet, dann abtransportiert. Ziegel und Ziegel, Brett um Brett verschwindet ein Gotteshaus, weicht für 40 Wohnungen.

Im Januar letzten Jahres wurde die Kirche profaniert. Mit Kerzen in den Händen haben Gemeindemitglieder um sie geweint. Bitterlich. Und ihrem Unmut Luft gemacht. Die Bagger rückten im Mai an. Jetzt, ein Jahr nach der Profanierung, ist dort eine große Baustelle. Es wird noch bis Mitte 2021 dauern bis die ersten Mieter einziehen können.

Abbruch, Baustelle, Warten auf Neues – also doch ein Sinnbild für unsere ganze Kirche. Ja, aber anders als auf den schnellen Blick. Denn die ersten Mieter werden behinderte Jugendliche und junge Erwachsene sein, die mit „Caritas Wohnen“ neue Formen des Zusammenlebens ausprobieren können. Auf dem gleichen Flur mit anderen Mietern wie du und ich.

Das neue Gebäude wird baulich an die Kirche erinnern. Ehemalige Kirchenfenster werden eingegliedert – wie auch der Grundstein und die Aposteltafeln. Bilder, Bänke und der Beichtstuhl sind bereits woanders. Mit ihnen wurde eine nach Zerstörung im Bürgerkrieg wieder aufgebaute Kirche in Bosnien ausgestattet. Auch mit Kreuzweg, Seitenaltar, Osterleuchter, Vortragekreuz und Tabernakel aus St. Christophorus. Also tatsächlich ein Symbolbild für unsere ganze Kirche: Etwas Wertvolles vergeht. Wie das Samenkorn, das aufgeht, Frucht trägt – und auch vergeht. Aber Neues entsteht. Und das Neue muss anders sein als das Alte. Oder woanders.

Noch in weiterer Hinsicht ist das ein Symbolbild für unsere ganze Kirche. Für etwas, dass uns auszeichnet: Trost spenden, Versöhnung finden. Denn eine Wohnung für die, die sonst keine finden; ein Kirchenfenster in Stöcken, wo viele Jahre gebetet wurde; Ambo und Tabernakel in Mrkonjić Grad, wo ein zerschossenes Gotteshaus wieder errichtet wird: Das ist ein Sinnbild – für Trost, Versöhnung, Frieden und Gemeinschaft im Glauben.

Rüdiger Wala ist Redakteur der KirchenZeitung