Offenbarung des Johannes

Das Lamm in der Bibel

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In der Offenbarung des Johannes, aus der in der Osterzeit gelesen wird, ist oft vom Lamm die Rede: das Lamm, das neben dem Thron steht, das Lamm, das der Stadt Jerusalem eine Leuchte ist. Was soll das und woher kommt das?

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Eines der bekanntesten Bilder des Lammes: Das Lamm
mit Kreuz und Kelch zu Füßen Johannes des Täufers im
berühmten Isenheimer Altar (Matthias Grünewald, 1516).
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Das Unschuldslamm. Das Opferlamm. Brav wie ein Lamm. In unserer Sprache scheint das Lamm nicht gerade aufregend und heldenhaft. In der christlichen Bildwelt dagegen kommt es zwar auch klein und unschuldig daher, trägt allerdings häufig die Siegesfahne bei sich. Und in der Eucharistiefeier gehört diese liturgische Formel unbedingt dazu: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ 

Dieser Ausspruch stammt aus dem Mund Johannes des Täufers; als er Jesus das erste Mal zu Gesicht bekommt, sagt er es. (Johannes 1,29) Und tatsächlich findet sich in vielen Darstellungen des Täufers ein Lamm zu seinen Füßen oder auf seinem Arm. Warum aber ein Lamm? Warum ist ein junges Schaf das Symbol für Christus? Und wen hat es denn besiegt? Die Antwort auf diese Fragen führt zurück bis in die Jungsteinzeit.

Lämmer: als Opfertiere günstig und gut

Spätestens seit dieser Zeit existieren Schafe als gezüchtete Rasse und gehören mit Ziege und Hund zu den ältesten bekannten Haustieren. Dass das Schaf auch im Alten Testament eine besondere Rolle spielt, zeigt sich nicht nur an seiner häufigen Erwähnung, sondern auch daran, dass für Schafe jeden Geschlechts und Alters sicher zehn verschiedene Begrifflichkeiten gebraucht werden. Auch war das Schaf im Altertum das häufigste Tier für private religiöse Opfer, da es günstig war und gleichzeitig einen besseren Ruf hatte als die ebenfalls günstigen Ziegen. Eine besondere Rolle spielte bei solchen Opfern der vier bis zehn Kilo schwere Schwanz des im Heiligen Land heimischen, syrischen Fettschwanzschafs, da dieser für den Menschen eine reichhaltige und begehrte Nahrung bot (z.B. Levitikus 3,9) und somit ein würdiges Opfer für Gott war. Die teureren Rinder wurden dagegen als Gaben für große, öffentliche Opferungen bevorzugt.

Beim Auszug des Volkes Israel aus Ägypten rückt das Schlachten und das Blut von Lämmern besonders ins Blickfeld. Mose weist die Ältesten an, Passahlämmer zu schlachten. „Dann nehmt einen Ysopzweig, taucht ihn in die Schüssel mit Blut und streicht etwas von dem Blut in der Schüssel auf den Türsturz und auf die beiden Türpfosten! Bis zum Morgen darf niemand von euch das Haus verlassen.“ Es folgt die letzte Plage in Ägypten, als alle Erstgeburten bei Mensch und Tier sterben. Nur das Blut des Passahlamms schützt vor diesem Tod. Diese Tradition des Bluts, das Unheil und Tod abwendet, ist sowohl im Judentum als auch im Christentum bis heute auf die ein oder andere Weise erhalten geblieben, sei es im jüdischen Ritual des Passahfestes oder in der christlichen Eucharistiefeier, in der Leib und Blut Christi gewandelt werden.

Geduldig und Unheil abwendend

Darüber hinaus taucht das Lamm im Alten Testament als ein sehr geduldiges Tier auf, insbesondere, wenn es im Buch des Propheten Jesaja als Vergleich für den Gottesknecht gewählt wird, der die Schuld des ganzen Volks Israel auf sich lädt: „Er wurde misshandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf.“ (Jesaja 53,7)

Die beide genannten Eigenschaften des Lammes finden sich auch im Neuen Testament wieder: die des Unheil und Tod abwendenden Opfers des Passahlamms und die des unschuldigen Lamms, das die Schuld aller anderen auf sich lädt und mit Geduld sein Leiden erträgt. Paulus beschreibt in seinem ersten Brief an die Korinther Jesus als das Passahlamm, weil er den Übergang zu einem neuen Leben markiert: „Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid. Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn als unser Passahlamm ist Christus geopfert worden.“ (1 Korinther 5,7) 

Weitaus dramatischer wird der Übergang in ein neues Leben, in eine neue Welt in der Offenbarung des Johannes beschrieben. Als Heerführer im endzeitlichen Kampf gegen Babylon tritt hier ein Lamm auf, das wie geschlachtet aussieht. Es führt den Kampf gegen die zehn von Babylon beauftragten Könige an. „Sie werden mit dem Lamm Krieg führen, aber das Lamm wird sie besiegen. Denn es ist der Herr der Herren und der König der Könige. Bei ihm sind die Berufenen,
die Auserwählten und die Treuen.“ (Offenbarung 17,14) 

Jubel über den Sieg des Lammes

Im anschließenden Jubel wird die Hochzeit des Lamms gefeiert, und im neuen Jerusalem – sagt die heutige Lesung – ist das Lamm das Licht. Hierher stammt auch die christliche Darstellung des Lamms mit der Siegesfahne.
Aber auch das Lamm, als das der Gottesknecht beschrieben wird und das geduldig sein Leiden erträgt, taucht im Neuen Testament wieder auf. In der Apostelgeschichte erklärt Philippus dem Äthiopier, den er taufen wird, anhand dieses Beispiels die Bedeutung Jesu. (Apostelgeschichte 8,32) Und auch im ersten Petrusbrief wird Jesus mit einem reinen Opferlamm verglichen, was die Schuld der früheren Generationen auf sich nimmt. (1 Petrus 1,19)

Schließlich werden beide Traditionen im Johannesevangelium zusammengeführt und vom Evangelisten gemeinsam auf Jesus hin gedeutet. Spielt „das Lamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Johannes 1,29), noch auf den unschuldigen Gottesknecht an, den der Prophet Jesaja verheißen hat, so wird die Kreuzigung Jesu im Johannesevangelium mit Hinweisen auf das Passahlamm gedeutet. 

Denn im Gegensatz zu den anderen Evangelien wird Jesus im Johannesevangelium einen Tag früher gekreuzigt, so dass er zeitgleich mit der Schlachtung der Passahlämmer auf dem Tempelplatz stirbt. (Johannes 19,31) Wie das Blut des Passahlamms in Ägypten mit Ysop an die Türpfosten gestrichen wird, so wird auch Jesus Essig an einem Ysop-Stengel zu trinken gegeben. Und wie die Knochen eines Passahlamms nicht gebrochen werden dürfen (Exodus 12,46), so werden auch Jesu Beine am Kreuz nicht gebrochen. (Johannes 19,36) 

Das Johannesevangelium führt somit die Traditionen des Passahlamms und des Sündenlamms zusammen und deutet Jesus mit ihrer Hilfe: als Schutz vor Tod und Unheil, als Übergang zu einer neuen Welt und als unschuldig Leidenden, der wie der Gottesknecht bei Jesaja die Schuld des Volkes auf sich nimmt und doch von Gott gerettet wird.

Christoph Buysch