Bischof Clemens Pickel ist seit 30 Jahren in Russland
„Den Hunger nach Gott stillen“
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Bischof Clemens Pickel lebt heute im russischen Saratow. 1988 wurde er in Dresden zum Priester geweiht. Zwei Jahre später bat er darum, als Seelsorger nach Russland geschickt zu werden. Erst hier sei er Priester geworden, sagt er.
Seit fast genau 30 Jahren ist Clemens Pickel, der aus dem Bistum Dresden-Meißen stammt, Seelsorger in Russland. 1998 wurde er zum Bischof ernannt. Seit 2002 ist er Bischof des Bistums St. Clemens in Südrussland. Foto: Matthias Holluba |
5000 Kilometer sind es von Dresden nach Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans. Hier leben im Jahr 1990 viele Katholiken, die ihren Glauben in der Sowjetunion lange nicht ausüben durften. „Wir haben zu DDR-Zeiten in der Schule viel über die UdSSR erfahren, diesen Aspekt aber nicht“, sagt Clemens Pickel. Erst im Theologiestudium in Erfurt erlebte er den Besuch einer älteren Frau, die davon erzählte, unter welchen Umständen sie ihren katholischen Glauben bewahrten und dass es bei manchen Jahrzehnte her sei, dass sie einen Priester erlebt hätten. Der Gedanke, dort einmal hinzufahren, ließ ihn nicht los. Als Tourist war er häufiger vor Ort. Und einige Zeit nach seiner Priesterweihe 1988 bat er Bischof Joachim Reinelt um eine befristete Freistellung für die Seelsorge in der UdSSR. Der Bischof schickte ihn für drei Jahre los. Das ist jetzt genau 30 Jahre her.
„In Duschanbe habe ich gesehen, wie die Leute auf Priester warteten, welchen Hunger nach Gott sie hatten“, sagt er heute. Mancher habe noch Inhalte der letzten Predigt eines katholischen Geistlichen wiedergeben können, die er Jahrzehnte zuvor gehört hatte. Die Gläubigen hätten ihn gelehrt, noch mehr zu werden, was er ohnehin schon darstellte: ein Priester. „Deshalb kann ich sagen, dass ich erst drei Jahre nach meiner Priesterweihe wirklich Priester geworden bin.“ Er sei Bischof Reinelt bis heute dankbar, dass der ihm die Möglichkeit gegeben habe.
„In Duschanbe habe ich gesehen, wie die Leute auf Priester warteten, welchen Hunger nach Gott sie hatten“, sagt er heute. Mancher habe noch Inhalte der letzten Predigt eines katholischen Geistlichen wiedergeben können, die er Jahrzehnte zuvor gehört hatte. Die Gläubigen hätten ihn gelehrt, noch mehr zu werden, was er ohnehin schon darstellte: ein Priester. „Deshalb kann ich sagen, dass ich erst drei Jahre nach meiner Priesterweihe wirklich Priester geworden bin.“ Er sei Bischof Reinelt bis heute dankbar, dass der ihm die Möglichkeit gegeben habe.
Pfarrer in der früheren Hochburg der Wolgadeutschen
Im Frühjahr 1991 ernannte der Papst die ersten drei römisch-katholischen Bischöfe für Russland und das in der UdSSR sogenannte Mittelasien. Das sollte das Leben von Clemens Pickel noch einmal verändern. Denn einer der drei war Joseph Werth, damals Pfarrer in Marx an der Wolga. Die Stadt war bis 1941 Hochburg der Wolgadeutschen. Nachdem der deutsche Feldzug gegen die Sowjetunion begonnen hatte, wurden sie von den russischen Machthabern nach Kasachstan und Sibirien deportiert. Jetzt, in Zeiten von Perestroika, kamen sie zurück. Als Werth Bischof in Sibirien wird, wird Pickel sein Nachfolger als Pfarrer in Marx.
Er setzt dort die Aufbauarbeit fort. Die Baugrube für die neue Kirche ist schon ausgehoben, daneben entsteht ein Kloster. Noch wichtiger ist der persönliche Kontakt zu den Gläubigen. Zwei Stunden Beichte pro Tag, vor und nach der Messe, Fahrten zu entlegenen Orten der Pfarrei, Gottesdienste, Katechese für die Erwachsenen, Erstkommunion, Beerdigung. Nach fünf Jahren will Pickel seinen Bischof gerade um eine weitere Verlängerung bitten, da durchkreuzt der Vatikan seine Wünsche: Papst Johannes Paul II. ernennt ihn zum Bischof. Ob er Angst hatte vor der Aufgabe? „Angst wohl nicht, aber ich habe einen gehörigen Schreck bekommen. Ich fühlte mich wie festgenagelt am Kreuz.“
Jetzt muss wieder ein Pfarrer für Marx gefunden werden. Zwei Jahre lang übernimmt Clemens Pickel selbst noch diese Aufgabe. Mal ist er im Büro in Saratow, mal in Marx. Dazu kommen jetzt Reisen durchs ganze Bistum, das von der Fläche her so groß ist wie Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland zusammen. An 25 Orten leben insgesamt 44 Priester, die sich um 20 000 Gläubige kümmern. „Stellen Sie sich vor, in ganz Deutschland gäbe es nur sechs Pfarrgemeinden. Das entspräche in etwa unserem Durchschnitt.“ Nach zwei Jahren Doppelbelastung ist Pickel müde. „Es ging nicht mehr.“ Aber dann findet sich endlich ein Nachfolger. Natürlich einer aus dem Ausland, denn einheimische Priester gibt es in Russland wenige. Wer dort Priester ist, stammt aus Argentinien, Spanien, Indien, Polen oder Deutschland. „Das ist ein großer Reichtum“, sagt Pickel. „Wir kommen gut unter einen Hut, weil wir alle die gleiche Motivation haben.“
Laien als Gemeindeleiter einsetzen, wie es in Deutschland hier und da geschieht? „Das ist gar nicht so einfach“, sagt Pickel. „Die Menschen in Russland sind nicht dazu erzogen worden, Verantwortung zu übernehmen. Und das hat sich bis heute nicht verändert.“ Die Kirche stecke noch immer in der Phase der Wiedergeburt. „Wir Priester müssen den Leuten helfen, sonst bleiben sie auf der Strecke.“ Und wie steht es um den Priesternachwuchs? Vier junge Männer aus seinem Bistum bereiten sich derzeit auf die Weihe vor. Das ist auch deshalb außergewöhnlich, weil Männer in den Gemeinden gar nicht so oft auftauchen.
Im Frühjahr 1991 ernannte der Papst die ersten drei römisch-katholischen Bischöfe für Russland und das in der UdSSR sogenannte Mittelasien. Das sollte das Leben von Clemens Pickel noch einmal verändern. Denn einer der drei war Joseph Werth, damals Pfarrer in Marx an der Wolga. Die Stadt war bis 1941 Hochburg der Wolgadeutschen. Nachdem der deutsche Feldzug gegen die Sowjetunion begonnen hatte, wurden sie von den russischen Machthabern nach Kasachstan und Sibirien deportiert. Jetzt, in Zeiten von Perestroika, kamen sie zurück. Als Werth Bischof in Sibirien wird, wird Pickel sein Nachfolger als Pfarrer in Marx.
Er setzt dort die Aufbauarbeit fort. Die Baugrube für die neue Kirche ist schon ausgehoben, daneben entsteht ein Kloster. Noch wichtiger ist der persönliche Kontakt zu den Gläubigen. Zwei Stunden Beichte pro Tag, vor und nach der Messe, Fahrten zu entlegenen Orten der Pfarrei, Gottesdienste, Katechese für die Erwachsenen, Erstkommunion, Beerdigung. Nach fünf Jahren will Pickel seinen Bischof gerade um eine weitere Verlängerung bitten, da durchkreuzt der Vatikan seine Wünsche: Papst Johannes Paul II. ernennt ihn zum Bischof. Ob er Angst hatte vor der Aufgabe? „Angst wohl nicht, aber ich habe einen gehörigen Schreck bekommen. Ich fühlte mich wie festgenagelt am Kreuz.“
Jetzt muss wieder ein Pfarrer für Marx gefunden werden. Zwei Jahre lang übernimmt Clemens Pickel selbst noch diese Aufgabe. Mal ist er im Büro in Saratow, mal in Marx. Dazu kommen jetzt Reisen durchs ganze Bistum, das von der Fläche her so groß ist wie Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland zusammen. An 25 Orten leben insgesamt 44 Priester, die sich um 20 000 Gläubige kümmern. „Stellen Sie sich vor, in ganz Deutschland gäbe es nur sechs Pfarrgemeinden. Das entspräche in etwa unserem Durchschnitt.“ Nach zwei Jahren Doppelbelastung ist Pickel müde. „Es ging nicht mehr.“ Aber dann findet sich endlich ein Nachfolger. Natürlich einer aus dem Ausland, denn einheimische Priester gibt es in Russland wenige. Wer dort Priester ist, stammt aus Argentinien, Spanien, Indien, Polen oder Deutschland. „Das ist ein großer Reichtum“, sagt Pickel. „Wir kommen gut unter einen Hut, weil wir alle die gleiche Motivation haben.“
Laien als Gemeindeleiter einsetzen, wie es in Deutschland hier und da geschieht? „Das ist gar nicht so einfach“, sagt Pickel. „Die Menschen in Russland sind nicht dazu erzogen worden, Verantwortung zu übernehmen. Und das hat sich bis heute nicht verändert.“ Die Kirche stecke noch immer in der Phase der Wiedergeburt. „Wir Priester müssen den Leuten helfen, sonst bleiben sie auf der Strecke.“ Und wie steht es um den Priesternachwuchs? Vier junge Männer aus seinem Bistum bereiten sich derzeit auf die Weihe vor. Das ist auch deshalb außergewöhnlich, weil Männer in den Gemeinden gar nicht so oft auftauchen.
Bischof Pickel (Mitte) mit dem Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers (links) und dessen Vorgänger, Alt-Bischof Joachim Reinelt, der Pickel 1988 zum Priester weihte und ihn als Seelsorger nach Russland gehen ließ. Foto: Ottmar Steffan |
Seine Diözese bezeichnet Clemens Pickel als „Missionsbistum“, in dem er viel unterwegs ist. „Ich will nicht stolz oder hochmütig sein, aber mir scheint, dass ich das beste Bistum der Welt habe“, sagt er mit einem Lachen in der Stimme. Fast jeden Sonntag ist er in einer der Pfarreien. „Wenn ich sonntags eine Firmung habe, mache ich mich schon am Freitag auf den Weg, komme Samstag an, treffe viele Gläubige und reise montags zurück. Dienstag bis Donnerstag ist dann Verwaltungsarbeit im Büro.“ Gremienarbeit wie in Deutschland sei kaum möglich. Unterstützung in der Leitung des Bistums bekommt er durch seine sechs Dechanten. „Wir treffen uns zwei- oder dreimal im Jahr. Aber das bedeutet ja auch für jeden von uns viel Reisezeit. Wir dürfen uns nicht verzetteln.“ Pickel nimmt die Reisen gerne auf sich, weil er unbedingt seinen Gläubigen nahe sein will. Und dann gibt er noch einen Ratschlag an jene Priester, denen es schwerfällt, ihre Berufung zu leben: „Priester, die zweifeln, ob sie noch am richtigen Platz sind, könnten mal eine Zeit lang nach Russland kommen.“
Die Beziehung zu Christus ist das Entscheidende
Auch Russland leidet unter Corona. „Wir stehen vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen“, sagt Pickel. Die Kirche werde auch weiterhin auf Hilfe von außen angewiesen sein. „Ich hoffe, alle bleiben bei der Stange.“ 59 Jahre alt ist der Bischof gerade geworden. Bis zum Ruhestand bleiben ihm theoretisch noch 16 Jahre. So weit will er gar nicht blicken. „In Russland werden die wenigsten Männer 75 Jahre alt“, sagt er und lächelt. Welches Ziel nimmt er sich vor? „So lange es geht, möchte ich die Menschen das Beten lehren. Falls sie mal wieder ohne Priester auskommen müssen.“ Die Beziehung zu Jesus Christus – die sei doch das Entscheidende in der Kirche.
Ob er sich jemals die Frage gestellt hat, nach Deutschland zurückzukehren? „Natürlich, bevor ich Bischof wurde“, sagt Pickel. Vieles sei in Deutschland leichter, die Bürokratie sei besser zu händeln. „Ich spreche ja auch bis heute besser Deutsch als Russisch.“ Aber er habe eben damals schnell gemerkt, „dass hier in Russland mein Platz ist. Ich bin Seelsorger. Und die werden hier sehr gebraucht“.
Mehr Infos im Internet: www.stiftungsfonds-st-clemens.de
Auch Russland leidet unter Corona. „Wir stehen vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen“, sagt Pickel. Die Kirche werde auch weiterhin auf Hilfe von außen angewiesen sein. „Ich hoffe, alle bleiben bei der Stange.“ 59 Jahre alt ist der Bischof gerade geworden. Bis zum Ruhestand bleiben ihm theoretisch noch 16 Jahre. So weit will er gar nicht blicken. „In Russland werden die wenigsten Männer 75 Jahre alt“, sagt er und lächelt. Welches Ziel nimmt er sich vor? „So lange es geht, möchte ich die Menschen das Beten lehren. Falls sie mal wieder ohne Priester auskommen müssen.“ Die Beziehung zu Jesus Christus – die sei doch das Entscheidende in der Kirche.
Ob er sich jemals die Frage gestellt hat, nach Deutschland zurückzukehren? „Natürlich, bevor ich Bischof wurde“, sagt Pickel. Vieles sei in Deutschland leichter, die Bürokratie sei besser zu händeln. „Ich spreche ja auch bis heute besser Deutsch als Russisch.“ Aber er habe eben damals schnell gemerkt, „dass hier in Russland mein Platz ist. Ich bin Seelsorger. Und die werden hier sehr gebraucht“.
Mehr Infos im Internet: www.stiftungsfonds-st-clemens.de
Von Matthias Petersen